Franz Josef Jung versucht als Verteidigungsminister, rechtskonservative CDU-Politik nach innen wie nach außen durchzusetzen
Von Peter Richter
Siehe Printausgabe des Neuen Deutschland vom 13.10.06
Und hier – vom Autor – der Text:
Überraschend verkündete Bundesverteidgungminister Jung vorgestern, über den von der Union lange geforderten Einsatz der Bundeswehr im Inneren bestehe nun Konsens in der Koalition. Gestern wurde er von der SPD zurückgepfiffen. Es ist nicht das erste Mal, dass Jung wie ein Panzer vorprescht, um seine Ziele durchzusetzen.
Seit etwa einem Jahr ist bei Franz Josef Jung eine gewisse nostalgische Ader nicht zu übersehen. Er erinnert sich plötzlich unbequemer Knobelbecher und lobt die heutige Fußausrüstung der in den Kongo ziehenden Soldaten. Oder er spricht von den »Panzerplatten«, dem Kommissbrot, das er während seines Grundwehrdienstes 1968/69 brechen musste und das es in jetzigen Verpflegungssätzen gottlob nicht mehr gebe. Im Winter 68/69, als sowjetische Panzer in Prag standen, habe er sogar im Lipperland an einer harten Übung in Eis und Matsch teilgenommen. Seit Jung Verteidigungsminister ist, vergisst er es nicht, auf solche militärischen Erfahrungen ausdrücklich hinzuweisen. Schließlich hatte er sogar eine Offizierslaufbahn ins Auge gefasst – ein Entschluss, der allerdings allzu nachhaltig nicht gewesen sein kann, denn als überraschend sein Vater starb, fand Jung schnell darin den Grund, der militärischen Karriere den Rücken zu kehren und und neben der Organisation des heimischen Winzerhofes Jura zu studieren. Er wurde Rechtsanwalt und organisierte parallel dazu seinen politischen Aufstieg in der CDU.
Es ist daher auch weniger militärischer »Stallgeruch«, aus dem sich die Kompetenz Jungs für die Übernahme des Verteidigungsministeriums in der CDU/CSU/SPD-Koalition ergab, als vielmehr seine Nibelungentreue gegenüber Roland Koch, dem hessischen CDU-Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten, der als einer der einflussreichsten Widersacher Angela Merkels in der Partei gilt. Er hatte Jung beizeiten als seine rechte Hand aufgebaut, ihn 1987, als er selbst Fraktionsvorsitzender war, zu seinem Parlamentarischen Geschäftsführer und zugleich zum Generalsekretär der Landes-CDU gemacht, und 1999, als die CDU die Landtagswahl gewann, für Jung extra die Funktion des Chefs der Staatskanzlei zu einem Kabinettsposten aufgewertet.
Das half dem so hemdsärmligen wie spitzzüngigen Koch-Vertrauten allerdings wenig, als er im Zuge der CDU-Spendenaffäre ein Jahr später nicht erklären konnte, warum er in seiner damaligen Funktion als Generalsekretär nichts über schwarze Konten seiner Partei wusste, auch mehrere Briefe des Finanzberaters Weyrauch zu diesen Vorgängen nicht erhalten haben wollte. Koch musste ihn – um im Militärjargon zu bleiben – aus der Schusslinie nehmen, aber schnell wurde klar, dass mit dem Rücktritt aus der Landesregierung im Herbst 2000 Jungs Karriere noch lange nicht zu Ende war.
Koch hatte noch viel mit ihm vor und bot ihn gute zwölf Monate später dem gerade gekürten Kanzklerkandidaten Edmund Stoiber als Wahlkampfmanager an; schon damals wollte er ihn als Aufpasser in einer möglichen unionsgeführten Regierung etablieren. Das misslang, denn noch zu frisch war die Erinnerung an den Schwarzgeldskandal. Aber nach der Landtagswahl 2003 rehabilitierte ihn Koch endgültig und machte Jung zum CDU-Fraktionschef. Und Angela Merkel konnte bei der Bildung ihrer Regierung den Wünschen des heimlichen Rivalen aus Wiesbaden nicht mehr Paroli bieten. Sie musste einen Hessen ins Kabinett nehmen, Koch präsentierte wieder seinen Vertrauten – und so wurde Franz Josef Jung Bundesverteidigungsminister.
In der Regierung hat sich der heute 57-Jährige nicht nur als treuer Diener seines Herrn, sondern auch als Vertreter jener so nassforschen wie autoritären politischen Linie erwiesen, die die hessische CDU seit jeher prägt. Mit Dregger, Kanther und Koch sind aus der Partei geistige Hardliner hervorgegangen, denen Jung offensichtlich nachzueifern sucht. So beschweren sich Bundestagsabgeordnete immer öfter, dass Jung mit »Entscheidungen« in die Öffentlichkeit geht, ehe das Parlament dazu gesprochen hat. Schon bei der Vorbereitung des Verteidigungs-Weißbuches im Frühjahr verzichtete das Ministerium auf die Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt und lancierte einen eigenen Entwurf in die Öffentlichkeit, der prompt heftige Kritik auslöste.
Geändert hat das nicht viel, denn Jung hat sich, wie in der als eine Art Wagenburg organisierten hessischen CDU üblich, seine wichtigsten Mitarbeiter von Rhein und Main mitgebracht. Sachverstand zeichnet sie weniger aus, dafür jedoch ein Machtinstinkt, der demokratische Gepflogenheiten schon mal ignoriert. So hätten Parlamentarier die Details über den Kongoeinsatz der Bundeswehr zuerst aus der Zeitung erfahren, und auch das Engagement an der libanesischen Grenze wäre vom Minister schon in den ersten Tagen des Krieges lauthals verkündet worden, ohne den parlamentarischen Prozess zu berücksichtigen. Die Opposition spricht bereits von einem »Debakel« (FDP-Chef Westerwelle), Jung sei »nicht lernfähig und instinktlos« (FDP-Wehrexpertin Elke Hoff), er passe besser in den »Blauen Bock« als in ein Ministerium, das bei Militäreinsätzen über Leben und Tod entscheide (Claudia Roth von den Grünen). Selbst Abgeordnete des SPD-Regierungspartners nannten ihn einen »Schaden für Koalition und Bundeswehr«, und auch in den eigenen Reihen wächst die Kritik über den »Schwadronikus«.
Allerdings sind dies keine grundsätzlichen Differenzen, im Gegenteil. Die Politik, die Jung im Verteidigungsministerium macht, ist durchaus im Sinne von CDU-Führung wie Rüstungsindustrie. Beide fürchten jedoch, dass Jungs forscher Eifer und das allzu offenherzige Ausplaudern ihrer Absichten deren Durchsetzung erschweren könnte. So hatte er einen deutschen Einsatz im Nahen Osten sofort als »Kampfeinsatz« gegen die Hisbollah bezeichnet, was zwar den Intentionen der schwarz-roten Bundestagsmehrheit entsprach, aber doch nicht so deutlich ausgesprochen werden sollte. Auch Angela Merkel war ungehalten über solche Offenheit; man legte sich schließlich auf den verschleiernden Begriff des »robusten Mandats« fest.
Keine Kritik hörte man jedoch aus diesen Kreisen, als Jung im Entwurf des von ihm geplanten »Weißbuchs der Bundeswehr« unverblümt vor allem wirtschaftliche Interessen zur Grundlage deutscher Sicherheitspolitik erklärte. Es gelte, »wegen der Export- und Rohstoffabhängigkeit Deutschlands, sich besonders den Regionen, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert werden, zuzuwenden“. Das ist zwar nicht zum ersten Mal so formuliert, aber Jung ist bestrebt, diesen Grundsatz mit voller Kraft in die Realität umzusetzen. Zwar beteiligt sich die Bundeswehr im Rahmen des Anti-Terror-Krieges seit Jahren an »out-of-area«-Einsätzen; etwa 7000 Soldaten waren bereits beim Regierungswechsel im Ausland im Einsatz Doch unter Franz Josef Jung stieg ihre Zahl um weitere 3180, als fast 50 Prozent.
Und damit stiegen natürlich auch die Gefahren für die Truppe. In Afghanistan sind schon 18 Soldaten umgekommen; die Verschärfung der dortigen Kämpfe lässt Schlimmes befürchten. Doch auch daran hat der umsichtige Jung bereits gedacht. Über Anschläge auf deutsche Soldaten soll nicht mehr berichtet werden – es sei denn, Journalisten fragen direkt und konkret danach. Um ihnen das zu erschweren, wurde gleichzeitig ein Einreiseverbot für Parlamentarier und Journalisten beim deutschen Isaf-Kommando verfügt.
Weiterer Schwerpunkt in Jungs Militärpolitik ist die Aufrüstung der Bundeswehr, von ihm neben ihrer militärischen Bedeutung ausdrücklich auch als ein Stück Industriepolitik deklariert. Noch in diesem Jahr sollen für sechs Milliarden Euro Fregatten, U-Boote und gepanzerte Transportfahrzeuge angeschafft werden. Eine Kürzung des Militäretats lehnt Jung strikt ab, und er hat dabei die Unterstützung seiner Parteivorsitzenden. »Ein Mitteleinsatz von nur 1,4 Prozent auf mittlere und lange Sicht wird nicht ausreichen, um die politische Dimension der Verantwortung Deutschlands mit den militärischen Notwendigkeiten zusammenzubringen«, erklärte Angela Merkel kürzlich. Doch für 2007 sind bereits 27,8 Milliarden und 2008gar 28, 4 Milliarden Euro fürs Militär vorgesehen.
Besonders zielstrebig verfolgt Jung das alte Unionsziel, die Bundeswehr im Inland einsetzen zu können. Schon bei den Koalitionsverhandlung versuchten CDU und CSU dies durchzusetzen; damals verschob man die Entscheidung bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das noch von Rot-Grün verabschiedete Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss eines gekaperten Passagierflugzeuges vorsah, wenn damit ein Terroranschlag zu befürchten wäre. Doch die Karlsruher Richter verwarfen dieses Gesetz im Mai als verfassungswidrig, was jedoch Jung nicht daran hinderte, seine Anwendung weiterhin zu fordern. »Wenn solche Angriffe stattfinden, muss klar sein, dass die Bundeswehr ihre Aufgabe wahrnimmt, die Bevölkerung zu schützen«, sagte er unmittelbar vor der Fußball-Weltmeisterschaft – eine Aussage, die allgemein als Ankündigung eines Verfassungsbruchs interpretiert wurde. Gleichzeitig strebt er – tatkräftig unterstützt von Innenminister Schäuble – eine Verfassungsänderung noch in diesem Jahr an, denn: »Heute sind innere und äußere Bedrohung nicht mehr so klar zu trennen wie früher.«
Der Verteidigungsminister versuchte diese Sicht der Dinge auch im schon genannten Bundeswehr-Weißbuch unterzubringen. »Infolge der neuen Qualität des internationalen Terrorismus sind heute Anschläge Realität geworden, die sich nach Art, Zielsetzung und Intensität mit dem herkömmlichen Begriff des Verteidigungsfalls gleichsetzen lassen« , heißt es da im Gleichklang mit Schäuble. Mit dieser Neudefinition eines Krieges konnte er sich bisher nicht durchsetzen, weshalb er es nun wohl im Handstreich versuchte. Immerhin hat die SPD bereits erkennen lassen, dass sie im begrenzten Bereich der Luft- und Seesicherheit unter bestimmten Bedingungen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht, Einsätze auf Bahnhofen und Flughäfen aber derzeit ablehnt. »Die Bundeswehr ist keine Hilfspolizei«, erklärte ihr verteidigungspolitischer Sprecher Rainer Arnold.
Doch Franz Josef Jung rechnet wohl damit, dass solche Vorwärtsstrategie seine Gegner letztlich mürbe macht. Schließlich war bereits in der Schülerzeitung seines Gymnasiums in Anspielung auf den damals noch quicklebendigen CSU-Rambo Strauß zu lesen gewesen, dass »vormilitärische Ausbildung« bei »Franz Josef, dem Jungen« in den besten Händen sei.