Armut, so lernen wir aus der gegenwärtigen Diskussion über die Unterschicht, ist zwar in der Regel mit fehlendem Geld verbunden, darauf aber nicht zu reduzieren. Vielmehr zeichne sich die Unterschicht auch durch »Bildungsferne« und eine gewisse Kulturlosigkeit aus – Folgen der finanziellen Misere, die zur Einschränkung bei allem zwingt, das entbehrlich scheint. Erst wenn der Einzelne diesen Status materieller Not erreicht, der ihn nicht nur beim Essen, sondern vor allem bei geistigen Gütern sparen lässt, ist er wirklich auf dem Niveau der Unterschicht.
Diese Zusammenhänge dürften die Karlsruher Verfassungsrichter im Kopf gehabt haben, als sie sich ein Urteil über die Finanzsituation der deutschen Hauptstadt bildeten. Zwar könne man bei mehr als 60 Milliarden € Schulden durchaus von Armut sprechen, aber der notwendige Stand von Bildungsferne und Kulturlosigkeit sei noch lange nicht erreicht, um »Stütze« beanspruchen zu können. Noch gehöre Berlin nicht zum »abgehängten Prekariat«; es lasse sich in der Stadt doch weiß Gott prächtig leben. Die Aufgabe des Senats bestehe also darin, Berlin auf jene »Bildungsferne« und Kulturlosigkeit hinabzuregieren, die der Unterschicht nachgesagt werden. Dann, aber auch erst dann könne man noch einmal um Finanzhilfen nachsuchen.