Laut Mittelhochdeutschem war der Tagelöhner einst einer, »der zum taglohn arbeitet«; er wurde in einem Atemzug genannt mit »armen hantwerksleuten« und »hausarmen hausgesinden«. Was im Mittelalter gang und gäbe war, schien längst überwunden. Arbeit wurde mit der technischen Entwicklung, die einer gewissen Qualifikation bedurfte, zu geregelter Tätigkeit, die nicht mehr der absoluten Willkür des »Arbeitgebers« unterlag – und damit geeignet, den Lebensunterhalt – wenn oft mehr schlecht denn recht – zu sichern.
Damit ist es jetzt offensichtlich zumindest in Teilen vorbei. Die »Tagelöhnerei«, nie ganz verschwunden, da es stets Saisonarbeit gab, kehrt in großem Maße zurück – als Zeitarbeit. Wie der Tagelöhner arbeitet der Zeitarbeiter »zum Taglohn«. Er weiß oft heute Abend nicht, ob er morgen früh wieder arbeiten kann; auf jeden Fall hat er keine Garantie, seine Arbeit noch nächste Woche oder nächsten Monat zu tun. Zeitarbeit ist das klassische prekäre Arbeitsverhältnis – ohne Sicherheit und Perspektive.
Der gegenwärtige kleine Aufschwung im Lande lebt wesentlich von Zeitarbeit. Im letzten Jahr stieg die Zahl der derart Beschäftigten, die in der Regel von Zeitarbeitsfirmen ausgeliehen werden, um 35 Prozent: inzwischen sind es bis zu einer Million. Das jedoch weniger, weil Arbeitskräfte gesucht, sondern vor allem, weil feste, geregelte Arbeitsplätze abgebaut werden. An ihre Stelle treten Zeitarbeitsplätze; sie sind für den Unternehmer in fast jeder Hinsicht lukrativer. Und für den Zeitarbeiter in aller Regel eine Schlechterstellung. Denn er muss nicht nur mit der ständigen Unsicherheit fertig werden. Er verdient auch weniger als der fest Angestellte, will doch die Firma, die ihn verleiht, ihrerseits daran verdienen. Er hat keinen festen Arbeitsplatz und keine festen Arbeitszeiten. Voll und ganz muss er sich nach den Wünschen des ausleihenden Unternehmers richten. Rechte, die die Gewerkschaften in den vergangenen mehr als 100 Jahren erkämpften, werden wieder abgeschafft.
So vollzieht sich also – schon nicht mehr schleichend,sondern in atemberaubendem Tempo – ein Rückschritt von geregelter, zum Leben auskömmlicher Arbeit zu moderner Tagelöhnerei – man könnte auch sagen: Ein Rückschritt ins Mittelalter.