Amnesty International war es, das das Gefangenenlager in Guantanamo einmal als den »Gulag unserer Zeit« bezeichnete. Jetzt haben die USA auch das erste »Gulag«-Geständnis nachgereicht. Wie die Delinquenten in NKWD-Gewahrsam gab Khalid Sheikh Mohammed alles zu, was ihm vorgeworfen wurde – nicht nur den 11. September, sondern bereits den Anschlag auf das World Trade Center von 1993, den Schuhbomber von Paris 2001, die Bombe in einem kenianischen Hotel 2002, zahlreiche misslungene Anschläge, unter anderem gegen die Ex-Präsidenten Carter und Clinton sowie den Papst, die Zerstörung des Panamakanals und etlicher Atomkraftwerke.
»Was von den Angeklagten gestanden wurde, bildete das im voraus amtlich präparierte Zerrbild der Wirklichkeit, ihre synthetisch hergestellte Alternativgestalt. Die Anklagebehörde präsentierte ein Sammelsurium von Einzelangaben, in denen sich wirkliches Geschehen unentwirrbar mit erdichtetem verflocht. Die Beimengung des Fiktiven malte die andere, die nichtexistente Wirklichkeit an die Wand: eine unzerreißbare Verkettung von Gefahren, die eingetreten wären, wenn sich die regierende Hierarchie nicht als übermenschlich wachsam erwiesen hätte.« Dies ist kein aktueller Kommentar zum »Geständnis« des El-Kaida-Aktivisten, sondern ein Abschnitt aus dem Buch »Politische Justiz« von Otto Kirchheimer, einem deutsch-amerikanischen Rechtstheoretiker und Politologen aus dem Jahre 1961. Das zugehörige Kapitel heißt »Prozesspraxis außerhalb des rechtsstaatlichen Raumes und bezog sich natürlich vordergründig auf Vorgänge in der damaligen Sowjetunion und Osteuropa. Bei ihm kann man auch nachlesen, was weiter folgt: ein Geheim- oder Schauprozess mit einem bestellten und präparierten Gericht, angepassten und damit machtlosen Verteidigern (wenn es überhaupt welche gibt) und einem im Prinzip vorgefertigten Urteil, das auf drakonische Strafen bis hin zum Todesurteil hinausläuft.
Noch kann man wohl fairerweise die USA nicht mit jenen Staaten gleichsetzen, aber es gibt dort viele, die intensiv daran arbeiten, dass dies bald unumgänglich wird. Denn sie haben offensichtlich auch Kirchheimer gelesen und wenden ihn vielleicht ganz bewusst an, zum Beispiel seinen Hinweis für die Stabilisierung einer wankenden Regierung: »Die Methode der Geständnisse, die darauf baut, dass der Angeklagte eine Reihe erdichteter Verbrechen zugibt, kann gerade infolge des übertriebenen Ausmaßes der zugegebenen Risse im Mauerwerk des Staates negative Reaktionen in der Bevölkerung auslösen … Andererseits kann die Tatsache, dass man das offen ausspricht, einen Schock auslösen und die Bevölkerung dazu bringen, die Reihen zu schließen oder doch mindestens darauf zu verzichten, aus der Unzufriedenheit mit konkreten Missständen weitgehende politische Forderungen abzuleiten.«