»Feelgood« heißt ein englisches Theaterstück, das gerade am Berliner Kurfüstendamm angelaufen ist, eine boshafte Abrechnung mit modernen Regierungsformen, die nicht auf die britische Insel beschränkt sind. »Feelgood« – ein Wort wie aus Orwells »1984« – meint, vor allem Wonnegefühl müsse Politik ausstrahlen, ganz unabhängig und eher im Widerspruch zum Inhalt dieser Politik; nur dann könne sie erfolgreich sein. Diesem Grundsatz scheint auch die CDU mit dem Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms folgen zu wollen.Denn da wimmelt es nur so von anheimelnden Begriffen und pathetischen Zielsetzungen: Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit, Würde, Sicherheit, Nächstenliebe, Gleichberechtigung, Familie, Heimat, Weltoffenheit, Verantwortung vor Gott. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Wie ein aufgedonnerter Markenartikel wird die CDU angepriesen; und nicht wenige Beobachter stellten denn auch fest, es ginge ihr weniger um Grundsätze als um griffige Formulierungen für den nächsten Wahlkampf.Was die Christdemokraten tatsächlich planen, ist dem Programmentwurf nur schwer zu entnehmen, die wirklichen Ziele werden verschwiegen oder verbergen sich gekonnt hinter den wohlfeilen Floskeln. So ist viel von sozialer Sicherheit die Rede, wird der Sicherheitsbegriff sogar ausdrücklich auf dieses Feld erweitert, doch in der Sache bestätigt der Entwurf das neoliberale Wirtschaftskonzept, das die CDU 2003 in Leipzig beschloss und mit dem sie bei der Bundestagswahl zwei Jahre später nur deshalb nicht durchfiel, weil der Frust der Wähler über die SPD noch größer war. Und folgerichtig tauchen die alten Forderungen auch im Detail wieder auf: »Flexibilisierung« des Kündigungsschutzes, Abschaffung der Branchentarifverträge, Aufweichung der Mitbestimmung, auf dass sie »zukunftsfähig, betriebsnah und beschäftigungsfreundlich« werde. Zwar sollen »Existenz sichernde Einkommen« erzielt werden können, aber nicht zu Lasten der Unternehmen, sondern der Steuerzahler: »Hierfür wollen wir niedrig entlohnte Arbeitsplätze finanziell unterstützen.« Und natürlich bleibt die Kopfpauschale in Kranken- und Pflegeversicherung Programm, was bei der CDU jetzt »solidarisches Prämienmodell mit Kapitalbildung« heißt. Wer das nicht bezahlen kann und Kinder sollen aus staatlichen Mitteln alimentiert werden; auch hier erfolgt also die Umverteilung von den Unternehmen zur Allgemeinheit.»Freiheit« – ein Begriff, den die CDU ganz groß schreibt, erweist sich somit vor allem als Freiheit für die Wirtschaft, ohne wesentliche Beschränkungen schalten und walten zu können, während für die Masse der Bürger nur die Freiheit bleibt, »ihre Lebensumstände in eigener Verantwortung zu gestalten statt passive Leistungsempfänger zu sein«. Oder an anderer Stelle noch deutlicher und schon mit gewissem Zynismus: »Sozialstaatliche Daseinsvorsorge darf nicht zur Entmündigung durch den Staat führen. Sie muss die Leistungsfähigkeit des Einzelnen und sein solidarisches Engagement fördern.« So entpuppt sich die Losung vom »Rückzug des Staates« als ein Programm, das jenen mit den starken Ellenbogen freie Bahn schafft und die Schwachen weitgehend sich selbst und ihren Mitmenschen überlässt: »Eine nur auf finanzieller Zuwendung beruhende Vorstellung von Sicherheit und Solidarität lehnen wir ab. Nur eine Kombination aus Eigenverantwortung, Staat und bürgerschaftlichem Engagement kann die Sicherheit schaffen, die die Menschen brauchen.«Anderswo jedoch wird der Staat gebraucht, ist plötzlich vom »starken Staat« die Rede. Und der ist nicht zimperlich bei seinen Forderungen, auch wenn die CDU solche Sätze auf Seite 75 ihres Programmentwurfs versteckt: »Eine wehrhafte Demokratie muss es ihren staatlichen Organen erlauben, sich im Rahmen festgelegter Grenzen die zur Kriminalitätsbekämpfung notwendigen Informationen zu beschaffen. Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden.« Bekanntlich ist der CDU-Innenminister längst intensiv dabei, diesen Programmpunkt in die Tat umzusetzen – wie auch den folgenden: »Bestandteil eines solchen Konzepts zur Stärkung des Heimatschutzes ist auch die Bundeswehr. In besonderen Gefährdungslagen muss ihr Einsatz im Innern möglich sein.«
Hintergrund des Parforceritts Wolfgang Schäubles über die rote Linie der Rechtsstaatlichkeit, die sich im CDU-Programmentwurf wohl bewusst nur sehr fragmentarisch wiederfindet, ist die kühle Kalkulation, dass eine entfesselte Wirtschaft über kurz oder lang die Widersprüche in der Gesellschaft derartig zuspitzen könnte, dass das System ohne Einschränkung demokratischer Rechte nicht mehr zu erhalten ist. Die sozialen Eruptionen zum Beispiel in Frankreich werden als Alarmsignal verstanden – und wie dort ein Law-and-order-Politiker jetzt an die Spitze des Staates tritt, soll auch hierzulande »Vorsorge« für den Fall sozialer Konflikte getroffen werden. Experten wissen längst, dass die meisten der von Schäuble geplanten Überwachungsmaßnahmen sich nicht für die Terrorbekämpfung eignen, wohl aber zur Abwehr innerer Unruhen.
Insofern meint auch der Begriff der »Leitkultur« bei der CDU viel mehr als nur eine Vorschrift für Einwanderer, die in Deutschland leben wollen. Generalsekretär Ronald Pofalla versteht Leitkultur als »gemeinsame Grundlage aller Menschen« hierzulande, und das schließt für ihn neben der Werteordnung des Grundgesetzes unter anderem auch Patriotismus, Verantwortung gegenüber der Geschichte und Vaterlandsliebe ein. Nicht jeder Einheimische mag sich von der CDU derart unter ideologische Kuratel stellen lassen. Macht er sich vielleicht damit schon verdächtig und rechtfertigt einen »Anfangsverdacht«?
Das neue CDU-Programm soll Wahlkämpfe nicht erschweren und auch für eine nicht unwahrscheinliche Fortsetzung der großen Koalition kompatibel sein. Dem dient das »Feelgood«, das aus allen Zeilen tropft. Zugleich aber soll es den Christdemokraten die Möglichkeit offen halten, auch andere Töne anzuschlagen, wenn die Voraussetzungen dafür kommen sollten. Zwischen den Zeilen kann man auch dieses Konzept herauslesen.
(Wer solch Text lieber auf gutem altem Papier lesen mag, findet ihn auch im Blättchen, Heft 11 vom 28.05.2007.)