Schon unmittelbar vor ihrer Reise nach China bekam Angela Merkel einen Vorgeschmack davon, wie sehr die Chinesen inzwischen auf allen nur denkbaren Gebieten mitmischen. Noch ehe ihr Innenminister Wolfgang Schäuble sein geliebtes Projekt der Online-Durchsuchung von Computern seinem ablehnenden Volk auch nur richtig schmackhaft machen konnte, blickten in der deutschen Regierungszentrale schon gewissermaßen gelbe Trojaner vom Bildschirm. Was ihr könnt, können wir schon lange, lautete wohl die Botschaft – und sie ist angekommen, wie die zunehmend nervöse Reaktion des Westens auf den chinesischen Vormarsch vor allem in wirtschaftlicher, aber auch wissenschaftlich-technologischer Hinsicht zeigt.
Erstmals hat es der Westen mit einer Macht zu tun, die er als formal kommunistisch regiertes Land zwar ideologisch ablehnt, aber deshalb doch nicht mehr auf Distanz halten kann und will – sowohl wegen Chinas Größe und Menschenreichtum als auch um der eigenen Interessen im globalen Wettbewerb willen. Das alte Muster von Gut und Böse, auf dessen Grundlage noch die Sowjetunion niedergerungen werden konnte, funktioniert nicht mehr – auch weil Ideologie in China nur noch Fassade und Abwehrmittel gegen gesellschaftliche Erosionsprozesse ist, während ökonomisch längst nach vulgär-kapitalistischen Gepflogenheiten verfahren wird. Das erst ermöglichte den Aufschwung des fernöstlichen Reiches und macht es dem Westen zugleich schwer, mit seinen Phrasen von Moral, Fairness und Menschenrechten zum Zuge zu kommen. Wer selbst seine Welt aufbaute und stark machte, ohne sich viel um derlei hehre Begriffe und ihre Inhalte zu scheren, lassen chinesische Politiker mit der ihnen eigenen Sicht auf die Geschichte durchblicken, hat kein Recht, andere unter Hinweis darauf zu zügeln oder gar zu behindern.
China dreht den Spieß um und wird seinen Weg weitergehen. Um westliche Reaktionen oder gar Ermahnungen wird es sich dabei wenig kümmern, wie sich ja auch der westliche Kapitalist von den sozial teilweise verheerenden Resultaten des Globalisierungsprozesses nicht beeindrucken lässt. Denn China hat die Lehre aus dem Niedergang der UdSSR und ihres »Weltsystems« verstanden: Entscheidend sind nicht Ideologien, sondern die harten ökonomischen Tatsachen.