Ursula von der Leyen verordnet der CDU eine neue Familienpolitik, vergisst aber dabei nie die Interessen der Wirtschaft
Wer nur platt boshaft sein will, wird die Auszeichnung mit breitem
Grinsen quittieren: Wer anders als eine siebenfache Mutter, die sich zudem noch in der Politik bis fast nach ganz oben gearbeitet hat, sollte prädestinierter sein für eine Ehrung, die sich »Goldene Henne« nennt. Morgen erhält die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den Preis der Boulevard-Illustrierten »Super-Illu« – aber nicht wegen ihres überdurchschnittlichen Beitrags zum Kampf gegen den demografischen Wandel, sondern, wie der Chefredakteur des bunten Blattes hervorhob, weil »sie den Frauen in den neuen Ländern eine Stimme gegeben und sich um das Zusammenwachsen von Ost und West in Deutschland verdient gemacht«.
Das war zwar kaum die Absicht von Ursula von der Leyen, als sie vehement daran ging, die vor allem im Westen der Republik offensichtlichen Erschwernisse für eine Berufstätigkeit von Müttern zu reduzieren. Im Gegenteil, immer wieder wehrte sie sich gegen Unterstellungen aus den eigenen Reihen, sie wolle eine DDR-Errungenschaft hoffähig machen. »Wenn der Eindruck entsteht, es sei das Beste, wenn Eltern ihr Kind nach zwölf Monaten in professionelle Hände geben, dann erinnert mich das schon an die DDR«, hatte ihr der sächsische Kultusminister Flath vorgeworfen, worauf sie ihn, aber auch die DDR-Praxis kühl abfertigte: »Ich finde es bedenklich, wenn der sächsische Kultusminister die Kindertagesstätten im eigenen Bundesland ausgerechnet mit der gottlob überwundenen DDR vergleicht.« Dennoch räumt sie ein, dass es mit dem Babyjahr für DDR-Mütter schon etwas Vergleichbares zum gerade erst eingeführten Elterngeld gab – mit dem Ergebnis: »Die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie war für diese Frauen kein Thema, weil sich das Problem offenbar nicht stellte.«
Kein Hilfsprogramm für sozial Schwache
Dass sie nun dieses in den Osten zurückgekehrte Problem angeht, hat Ursula von der Leyen zu einer der Wohlgelittensten aus dem Regierungspersonal gemacht. Bei einer Umfrage im Juni hielten sie 49 Prozent der Ostdeutschen für eine vertrauenswürdige Politikerin; Angela Merkel lag nur fünf Prozentpunkte vor ihr. Dabei hat ihr kaum geschadet, dass die Motive ihres Vorgehens von jenen der DDR nicht weit entfernt sind. Damals ging es angesichts chronischen Arbeitskräftemangels um die Gewinnung der Frauen für die Produktion, was ihnen durch großzügige Regelungen auch bei der Kinderbetreuung erleichtert werden sollte. Zwar ist die heutige Arbeitsmarktsituation mit jener der DDR nicht vergleichbar, aber in bestimmten Bereichen fehlt bereits qualifiziertes Personal. Unternehmen sehen darin einen Trend und schlagen Alarm.
Eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung beschäftigte sich wohl auch daher mit »Nutzen und Kosten familienbezogener Leistungen« und stellte unter anderem fest: »Bei höher qualifizierten Müttern kann eine Erwerbstätigkeit dann von besonderem Interesse sein, wenn der prognostizierte Fachkräftemangel eintritt.« Die gleiche Expertise fand noch weitere wirtschaftliche Vorteile außerfamiliärer Kinderbetreuung, so eine geringere Entwertung der Berufserfahrung oder gar Hochschulbildung von Frauen, ein steigendes Steuer- bzw. Beitragsaufkommen der Sozialversicherungen durch ihre Erwerbstätigkeit, Arbeitsmarkteffekte aus dem höheren Bedarf an Erzieherinnen, Sozialpädagogen und anderen sozialen Tätigkeiten. Zudem sei die Rendite einer qualitativ guten frühkindlichen Erziehung und Bildung langfristig hoch. Fazit: Der volkswirtschaftliche Nutzen der Betreuung in Kindertageseinrichtungen ist höher als die Kosten.
Zu solchen ökonomischen Aspekten dürften eigene Erfahrungen der »regierenden Mutter«, wie eine Zeitung sie nannte, gekommen sein. Denn obwohl Ursula von der Leyen als Tochter des früheren niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht Privilegien genoss, gestaltete sich ihr Berufsweg kaum weniger schwierig als der anderer junger Frauen. Sie brach ihr erstes Studium der Volkswirtschaft nach drei Jahren ab und wechselte zur Medizin, wo sie sieben Jahre bis zur Approbation brauchte. Inzwischen 29 Jahre alt, wollte sie Fachärztin für Gynäkologie werden, doch da war bereits ihr erstes Kind geboren. Zwei Jahre später kam das nächste, und als das dritte unterwegs war, setzte sie – inzwischen Dr. med. – die Ausbildung nicht fort, sondern bediente das Rollenbild der Frau, die sich der Karriere des Mannes unterordnet, indem sie ihm, Geschäftsführer einer Biotec-Firma, in die USA folgte.
Sie sei überfordert gewesen: Im Krankenhaus gab es Vorwürfe an die Assistenzärztin, weil sie ein Kind hatte. Im Privatleben Bedenken gegen die Berufstätigkeit. »Nicht zu vergessen die endlosen Schwierigkeiten und das herbeigeredete schlechte Gewissen, die auf Dauer mutlos machen können.« Zwar erwarb sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland einen zweiten Abschluss, den Master of Public Health, doch da war sie bereits 43 Jahre alt, und in ihrem Wunschberuf einer Frauenärztin arbeitete sie auch nicht mehr. Statt dessen begab sie sich auf die politische Laufbahn, wo sie durch Familie und politisches Umfeld mehr Unterstützung erfuhr.
Solche Diskrepanzen will sie nun überwinden, unter anderem durch das Elterngeld, das jedoch nicht allen Frauen gleichermaßen zugute kommt. Zwar sieht es vor, berufstätigen Elternteilen, die nach Geburt eines Kindes aus dem Job aussteigen, ein Jahr lang zwei Drittel des Nettogehalts zu zahlen und – wenn das andere Elternteil das anschließend auch tut – die Leistung weitere zwei Monate zu gewähren. Doch wer nicht arbeitet oder wenig verdient, erhält nur einen Mindestbetrag von 300 Euro. Das frühere Erziehungsgeld in gleicher Höhe, das an Geringverdiener für zwei Jahre gezahlt worden war, fiel weg, was vor allem für alleinerziehende Frauen eine Verschlechterung darstellt. Befriedigt stellte die »Frankfurter Allgemeine« fest: »Mit einer Unterstützung für sozial Schwache sollte das Ganze nichts zu tun haben.«
Von der Leyens Konzept geht es also nicht zuerst um die Frauen, sondern um ökonomische Effekte, aber sie nützen eben auch jungen Müttern. Kritiker der Familienministerin – vom Augsburger Bischof Mixa bis zu Christa Müller, der frauenpolitischen Sprecherin der Saar-LINKEN – finden, dass die unternehmerfreundliche Politik von der Leyens Frauen und Kinder zu sehr den Verwertungsinteressen des Kapitals unterwerfe. Christa Müller schlägt daher vor, Eltern generell ein Erziehungsgeld zu zahlen, das mit 1600 Euro im ersten Jahr beginnen und vom vierten bis 20. Lebensjahr noch 500 Euro betragen soll. Dann würden Frauen und ihre Familien »von der entfremdeten Erwerbsarbeit unabhängiger« sein und müssten nicht mehr Niedriglohnjobs annehmen.
Der soziale Charme des Vorschlags ist unübersehbar, doch Müller entwertet ihn durch ideologische Debatten. Die Schaffung von Krippenplätzen, gerade erst von der Regierung auf von der Leyens Drängen beschlossen, nennt sie »Zwang zur Fremdbetreuung«, Krippenerziehung ist aus ihrer Sicht schädlich für ein Kind. Dagegen sprechen nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch tausendfache Erfahrungen gerade in Ostdeutschland. Entsprechend brüsk ist die Ablehnung der Müller-Thesen bei vielen Frauen aus der Linkspartei; sie argwöhnen, über eine durchaus großzügige soziale Maßnahme an Heim und Herd verbannt zu werden. Ursula von der Leyen, die Müllers Idee – prinzipiell wie aus Kostengründen – auch ablehnt, hat mit ähnlicher Zurückweisung zu kämpfen, jedoch aus entgegengesetzter Richtung. Ihre Vorstellungen stoßen konservativen Kräften in CDU und CSU sauer auf, weil sie darin eine Abkehr vom tradierten Familienbild der Union sehen. Daher verweist sie auch mal darauf, dass sie natürlich Familienwerte erhalten wolle – das alles aber »unter modernen Bedingungen«.Verfechterin der Kopfpauschale
Dazu gehört für sie vor allem eine Politik ohne sonderliche soziale Sentimentalitäten. So war sie als Mitglied von Angela Merkels »Kompetenzteam« vor der letzten Bundestagswahl eine entschiedene
Verfechterin der selbst von der CSU abgelehnten »Kopfpauschale« im Gesundheitswesen. Als Sozialministerin in Niedersachsen setzte sie den Rotstift bei den Schwächsten der Gesellschaft an, den Behinderten. Sie kürzte deren Eingliederungsbeihilfen und strich das Blindengeld. Auch die Privatisierung der Landeskrankenhäuser diente der Einsparung , so dass die Opposition sie als »Ministerin der sozialen Kälte« bezeichnete.
In der Bundesregierung hat die designierte »goldene Henne« ebenfalls schon ziemlich faule Eier gelegt. So schlug sie vor, das Elterngeld unter anderem aus Einsparungen bei Hartz IV zu finanzieren, obwohl gerade diese Maßnahme der rot-grünen Regierung wesentlich zur Kinderarmut beitrug. Bereits jedes sechste Kind ist davon betroffen, und die Familienministerin tut fast nichts dagegen. Zwar sollen jetzt Niedriglöhne durch einen etwas erhöhten Kinderzuschlag aufgebessert werden, doch Hartz IV-Betroffenen hilft das nicht.
Kürzen heißt auch das Programm beim Kampf gegen Rechts – unter anderem dadurch, statt örtlichen Initiativen den Kommunen Mittel zukommen zu lassen, obwohl letztere oft ein Problem mit Nazis leugnen und daher gar keine Gelder anfordern. Zugleich sollen dadurch die zumeist linken Initiativen weitgehend ausgebootet werden. Erst heftige Proteste verhinderten dies.
Ursula von der Leyen bedient die konservative Seele auch auf ganz medienprofessionelle Weise. Sie scheut den aristokratischen Auftritt nicht – sei es auf dem Reitplatz, bei Modesessions für »Frau im Spiegel« oder bei der medialen Vorführung eines gutbürgerlichen Familienglücks. Als Reiterin hatte sie acht Jahre lang Rassepferde vorgeführt, die versteigert werden sollten; die präsentierte sie mit ihren besten Seiten, um den Erlös zu erhöhen. Manchmal wir
Gedruckt in: Neues Deutschland vom 18.09.2007