Wenn es ihnen passt, erklären CDU und CSU die Tarifautonomie zu einem ihrer höchsten Güter. Und es passt ihnen vor allem dann, wenn die Gewerkschaften schwach sind, so dass die Arbeitgeber ihnen den Tarifvertrag weitgehend diktieren können. Dann wird er sogleich zum ehernenen Gesetz erklärt.
Ist es aber einmal anders und sind die Konstellationen so, dass eine Gewerkschaft einen einigermaßen fairen, gerechten Tarifvertrag aushandeln kann, dann ist plötzlich die Tarifautonomie keine »heilige Kuh« mehr. Dann setzt sich sogar die CDU-Bundeskanzlerin nassforsch darüber hinweg und fordert Neuverhandlungen – und das sogar dann, wenn sie in der Koalition und im Kabinett dem in Frage stehenden Tarifvertrag gerade noch zugestimmt hat. So geschehen mit dem Abkommen zwischen Post-Unternehmern und verdi-Gewerkschaft, das nun für die Branche als verbindlich erklärt werden und damit auch für neue Postdienstleister gelten soll.
Das aber wollen CDU mit Angela Merkel an der Spitze und CSU mit Wirtschaftsminister Glos nicht – und das, obwohl die neuen Dienstleister nur dann – wie sie selbst erklärten – existenzfähig sind, wenn sie ihren Angestellten Hungerlöhne zahlen, die diese zwingen, beim Staat um zusätzliche Hartz-IV-Almosen zu betteln. Anstatt gegen solch zumindest unmoralisches, vielleicht sogar kriminelles Tun vorzugehen und dadurch auch noch die ihnen anvertraute Staatskasse zu schonen, wollen die Merkel und Glos die »neuen« Unternehmen, hinter denen wenigstens zum Teil aber große Konzerne (zum Beispiel Springer) stehen, auf diese Weise mit Staatsmitteln subventionieren. Von der Erniedrigung, die sie den von ihnen rekrutierten Arbeitswilligen durch die Niedrigstlöhne zumuten, ganz zu schweigen.
Die SPD als Koalitionspartenr verhält sich gegenüber solch offen unsozialer Politik merkwürdig still. Sie hat zwar protestiert, als jetzt auch noch die beiden CDU-Ministerpräsidenten von Hessen und Niedersachsen ankündigten, dem Beschluss von großer Koalition und Kabinett im Bundesrat nicht zuzustimmen, was sie inzwischen relativierten, aber zum dreisten Eingriff der Kanzlerin und ihres Wirtschaftsministers in die Tarifautonomie sagten sie nichts. Die Union ist da ganz anders. Man erinnere sich nur, dass deren Fraktionschef Volker Kauder unlängst schon bei einer CDU-kritischen Rede eines SPD-Angeordneten im Bundestag demonstrativ den Plenarsaal verließ – ein Verhalten, das bisher nicht einmal gegenüber der Opposition, außer vielleicht den Linken, praktiziert wurde. Die SPD jedoch hält weitgehend still, und vielleicht arbeitet sie ja schon an einem »Kompromiss«, der den Lohndrücker-Firmen entgegenkommt und einen bereits bestehenden gültigen Tarifvertrag aushebelt.