Über ein Volk sollte man sich nicht ärgern, auch wenn man glaubt, dafür Gründe zu haben; am Ende setzt sich seine kollektive Weisheit doch durch. So jetzt auch in Polen, wo die Kazcynski-Brüder nach nur zwei Jahren die Quittung für eine Politik erhielten, die einfach nicht mehr in die Landschaft passt – so großspurig sie auch vertreten wird. Materiell haben sie die Lage ihrer Landsleute kaum zu bessern vermocht, eher im Gegenteil. Und ideell versuchten sie, ein Land mitten in Europa auf teilweise mittelalterliche Positionen zurückzuzerren. Schnell erkannten die gegenüber Obrigkeiten stets kritischen Polen, dass wieder einmal ihre Freiheiten in Frage gestellt werden sollten und sagten dazu deutlich nein. Am Ende mögen sie gefürchtet haben, dass alte Zeiten geistiger Restriktion nicht nur wiederauferstehen, sondern sogar zementiert werden könnten. Denn die Kazcynski-Brüder fanden ihre Ideologie zwar nicht – wie die Beherrscher des staatssozialistischen Polens – im Marxismus-Leninismus, sondern in der konservativen katholischen Kirche, aber hinsichtlich der Herrschaftsmethoden nahmen sie gern Anleihen bei der »Kommune« auf; mitunter hatte man gar den Eindruck, sie wollten diese einschließlich des Kriegsrechts gegen »Solidarnosc« noch übertreffen.
Doch trotz aller Erleichterung und Freude, dass diese Entwicklung gestoppt ist, liegen über dem weiteren polnischen Weg noch noch allerlei Unwägbarkeiten. Zum einen ist nur einer der Brüder auf die Oppositionsbänke verwiesen, während der andere weiter als Staatspräsident fungiert. Man kann sicher sein, dass der abgewählte Jaroslaw Kazcynski – wie schon bei den Verhandlungen in der EU – seinem Bruder Lech mittels Telefon Weisungen geben wird, die ihm gestatten sollen, auch aus der Opposition heraus weiter mitzuregieren. Und zum anderen bleibt abzuwarten, inwieweit Wahlsieger Donald Tusk tatsächlich einen Neuanfang wagt oder ob er sich nicht gern des einen oder anderen Gesetzes aus der Kazcynski-Hinterlassenschaft bedient; immerhin hat er nicht wenigen von ihnen mit seiner Partei ausdrücklich zugestimmt. So bleibt Polens Zukunft derzeit ungewiss, aber nach dem gestrigen Wahlgang kann man hoffen, dass das polnische Volk seine Weisheit behält und sich nicht noch einmal so leicht für dumm verkaufen lässt.
Dass die Polen sich für dumm verkaufen ließen, würde ich so nun nicht sagen. Eher haben sie das gemacht, was sie wollten und die da oben machen lassen. Politikverdrossenheit, würde ich das eher nennen. Nur waren die Kaczynskis wohl lang genug ein wenig zu laut und rüpelhaft. Den übrig gebliebenen Zwilling halte ich auch für nicht so gefährlich, da Tusks PO mit 209 Sitzen plus potenziellen 31 Sitzen insgesamt 240 von 460 Sitzen im Parlament hat, wo die PiS von Kaczynski über insgesamt 166 Sitze verfügt.
Man muss aber dazu wissen, dass Lech Kaczynski als Präsident alle Beschlüsse des Parlaments mit einem Veto belegen kann, und das Parlament braucht dann 60 Prozent der Stimmen, um das Gesetz dennoch in Kraft zu setzen. 60 Prozent von 460 Abgeordneten aber sind 276, und die haben Tusk und die gemäßigte Bauernpartei nicht.
Ja, stimmt, da bedarf es dann einiger widerwilliger Köpfe mehr. Aber die gibt es in Polen ja in ausreichendem Maße. Wie geschrieben, ich lasse mich gern überraschen und habe die Hoffnung noch nicht verloren.