Die Probleme, die die SPD gegenwärtig in der großen Koalition hat, handelte sie sich vor zwei Jahren mit ihrer Zustimmung zu diesem unnatürlichen Bündnis ein; sie sind auch eine der unseligen Hinterlassenschaften des jetzt zurückgetretenen Franz Müntefering. Denn er war es, der im Chor mit der Union die unsinnige Behauptung aufstellte, der Wähler habe mit seinem Votum gerade diesen einen und keinen anderen Auftrag erteilt. Dabei dürfte es nicht einen Wähler gegeben haben, der sich für CDU, CSU oder SPD entschied – in der Hoffnung, diese drei Parteien würden daraufhin zusammenarbeiten. Ganz im Gegenteil: Union und Sozialdemokraten führten einen scharfen Wahlkampf gegeneinander, und wer sich dann für eine der beiden Parteien entschied, erwartete natürlich dass die seiner Wahl regiert – mit einem kleinen, pflegeleichten Partner und nicht mit dem nahezu gleich großen gerade noch entschiedenen Gegner.
Müntefering und eine noch von Schröder geprägte SPD-Fraktion wollten es anders und zogen damals die tatsächliche Mehrheit, die sich ungeachtet aller Unterschiede in sich links von Union und FDP gebildet hatte, überhaupt nicht in Betracht. Das war von Anfang an ein schwerer strategischer Fehler, möglicherweise einer der schwerwiegendsten, die die SPD jemals beging. Denn er brachte die Sozialdemokraten sofort in die Hinterhand und ermöglichten Angela Merkel, aus der Niederlage, die sie mit ihrem Kurs und ihrer Wahlkampagne eigentlich erlitt, doch noch einen unverhofften Sieg zu machen. Indem sich Müntefering mit der Fraktion zu ihrem Steigbügelhalter herabließ, leitete er den Niedergang der Partei ein, denn weder Wähler noch ein übergroßer Teil der Basis fand sich in dieser Konstellation wieder.
Zwei Jahre lang hoffte der »Vizekanzler« auf die Belohnung seitens der Kanzlerin; jetzt musste er erkennen, dass sie dazu natürlich nicht bereit war, sondern ihre Stellung eiskalt nutze, um ihn ins Aus zu manövrieren. Damit ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende, denn auch Kurt Beck verschwendet keinen Gedanken daran, eine strategische Umorientierung vorzunehmen. Ganz im Gegenteil; gerade der Abgang Münteferings scheint ihn veranlasst zu haben, nun dessen Rolle wenn nicht in der Regierung, so doch im Koalitionsausschuss einzunehmen. Dafür spricht das von der SPD als angeblicher Erfolg gefeierte Ergebnis zum Arbeitslosengeld I, das mit dem Beschluss der SPD auf ihrem Parteitag nur noch sehr wenig gemein hat. Hätte nicht Rüttgers im Vorjahr der CDU eine diesbezügliche Initiative aufgedrängt, wäre die SPD natürlich auch damit grandios gescheitert. So aber musste sie hier etwas tun, das allerdings nur zu den eigenen Bedingungen, die Beck beinahe wortlos schluckte.
Damit ist die Linie der großen Koalition auch für die Zukunft vorgegeben. Die Union wird bestimmen, was geschieht. Die SPD wird es grummelnd schlucken, denn das Mitmachen am Regierungstisch ist der SPD-Spitze wichtiger als die Durchsetzung inhaltlicher Alternativen, wie das Beispiel Mindestlohn (für den es übrigens im Parlament die genannte Mehrheit links von Union und FDP gibt!) zeigte. So lange die Prioritäten bei der SPD so gesetzt sind, wird die CDU auf Siegeskurs bleiben – verstärkt noch dadurch, dass die schimpfende und meckernde, sich dann aber doch immer wieder unterordnende Sozialdemokratie als der Störenfried in der Koalition erscheint, während die Union vornehm darauf verweist, dass sie nicht in gleicher Weise zurückschlage. Das muss sie auch nicht, denn sie sitzt am längeren Hebel, den ihr die bereitwillig überlässt.