Roland Koch betätigt sich gerade als Wiedergänger. 1999 hatte er bei den Landtagswahlen die SPD aus der Regierungsverantwortung für Hessen gedrängt, indem er durch eine ausländerfeindliche Kampagne die Mehrheit der Wähler auf seine Seite zog. Mittels einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft appellierte er an die niedrigsten Instinkte der um Wohlstand und Sicherheit besorgten Bürger, indem er Ausländer, die jahrzehntelang als »Gastarbeiter« an der Mehrung dieses Wohlstandes mitgewirkt hatten, zur Gefahr erklärte. »Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?« kam prompt das Echo aus der Mitte der verängstigten Bürger, und Koch sicherte sich und der beifällig applaudierenden CDU deren Stimmen, um Ministerpräsident zu werden. Nun, da erneut Landtagswahlen vor der Tür stehen und Koch aufgrund einer miserablen Politik für sein Land Gefahr läuft, Mehrheit und vielleicht sogar Amt zu verlieren, startet er eine Neuauflage solch hetzerischen Populismus gegen Ausländer; diesmal sind es kriminelle Jugendliche, die er beinahe ausschließlich in Migrantengruppen ausmacht und deshalb mit härteren Strafen, Erziehungscamps und sogar Ausweisung bedroht.
Zu seinen besten Wahlhelfern wurden dabei zwei junge Münchener Ausländer, die einen Rentner, der sie ermahnte, sich ans Rauchverbot zu halten, brutal zusammenschlugen und den am Boden Liegenden auch noch hemmungslos mit Füßen traten. Derartige Schläger, die es nicht nur unter Ausländern, sondern vor allem auch unter sich als besonders gute Deutsche wähnenden Neonazis gibt, sind in ihrer Mehrzahl allerdings das Produkt heimischer Erziehung in deutschen Schulen und Ausbildungsstätten – also ein Ergebnis unseres Bildungssystems, auch des hessischen, das gerade im Wahlkampf besondere Kritik erfährt. Dass unter den Gewalttätern der Ausländeranteil prozentual höher liegt als in der Bevölkerung, verrät möglicherweise ebenfalls mehr über deutsche Politik, nämlich Integrationspolitik, als über völkerspezifische Verhaltensweisen, wie uns Roland Koch glauben machen will. Und wie hessische »Integrationspolitik« aussieht, wissen wir ja spätestens seit dem Wahlkampf 1999.
Es dürften also ganz wesentlich Versäumnisse der Politik sein, die ihren Beitrag zur Gewaltkriminalität leisteten und leisten – wozu auch noch jene kommen, die mit unzureichender polizeilicher Ermittlungsarbeit, überlasteten Gerichten, überfüllten Strafanstalten und fehlendem Personal für Resozialisierungsmaßnahmen zu tun haben. Zwar fordert Koch strengere Strafen, doch ist es kein Geheimnis, dass zwischen Tat und Verurteilung nicht selten Monate oder gar Jahre liegen, was jede Wirkung einer Strafe ins Leere laufen lässt, dass schon jetzt der Strafrahmen – immerhin bis zu zehn Jahren für Gewalttäter – oft nicht ausgeschöpft wird, Bewährungsstrafen mitunter nur deshalb ergehen, weil kein Platz im Gefängnis ist, und Planstellen für Sozialarbeiter sukzessive gekürzt werden. Als neue Idee hat der hessische Ministerpräsident »Erziehungscamps« ins Spiel gebracht, jedoch nicht hinzugefügt, wieviel Geld er aufwenden will, um sie zu bauen, auszustatten und für sie qualifiziertes Personal bereitzustellen. Neue Gesetze braucht es dafür nicht, wie das Vorzeigebeispiel eines hessischen Boxcamps erweist – oder schweben Koch vielleicht doch Verhältnisse wie in amerikanischen »Bootcamps« vor oder wie in Jugendwerkhöfen der DDR, die in Nachwendezeiten als Musterbiespiel für Menschenrechtsverstöße galten?
Von der ethnischen Diffamierung, bei Koch – wie bei der bayerischem CSU und ihren alten wie neuen Führungskräften, die ihn daher auch lautstark unterstützen – seit jeher probates Mittel der Politik, kommt er flink zur ethnischen Säuberung, indem er die schnelle Ausweisung gewalttätiger Ausländer fordert – wohl wissend, dass nicht wenige von ihnen Deutsche sind, in Deutschland geboren, aufgewachsen, gebildet, geprägt. Sie würden er, Unionsfraktionschef Kauder und die CSU nun gern in den Ländern ihrer ethnischen Herkunft, die zu den kriminellen Karrieren allerdings nichts beigetragen haben, entsorgen.
Dass Roland Koch mit seiner erneuten ausländerfeindlichen Aktion keinen Erfolg hat, kann man nach den Erfahrungen von 1999 nicht unbedingt voraussetzen – zumal die SPD nach anfänglicher Empörung oft einknickt und ihre Anfangsposition aus ähnlich gelagertem Populismus verwässert. Auf jeden Fall steht in den nächsten Wochen bis zum Wahltag am 27. Januar ein Schmutzwahlkampf in Hessen bevor, der einmal mehr zeigt, dass Koch und der CDU nichts zu schäbig ist, um an der Macht zu bleiben.
Der Hauptgrund für erhöhte Gewaltbereitschaft ist eine „prekäre soziale Lage“ oder auf verständlich Armut. Die Kriminalität ist in der Unterschicht in deutlicher höherem Maß vorhanden als in Schichten, die in der Hierarhcie höher gelegen sind. Der deutsche Unterschichtler ist ebenso kriminell wie derjenige mit Migrantenhintergrund. Da aber mehr Migranten (und Migrantenkinder, -enkel usw.) in der Unterschicht leben als in den höheren Schichten, kann man eine Statistik natürlich so zurechtbiegen, dass man eine Ausländerhetze betreiben kann, wie in alten Zeiten.
Die hauptursache für Kriminalität bleibt aber Armut, daran ändern auch härtere Sztrafen nichts. Oder ist schon einmal jemand sozial aufgestiegen, indem er eine Gefängnisstrafe verbüßt hat? Eher nicht, eher im Gegenteil.
Darum ist es ganz gut, dass hier der stumpfen deutschtümelnden Propaganda kräftig der Wind rasugelassen wird (und wen wundert es, sie entpuppt sich als heiße Luft).