Sehr aufschlussreich war in den letzten Wochen und Monaten, wie die Mehrheit der westlichen Medien mit offensichtlich großer Begeisterung in die alten Zeiten des kalten Krieges zurückfiel und das heutige Russland in einer Art darstellte, als sei es mindestens genau so schlimm, wenn nicht noch schlimmer als die längst verschwundene Sowjetunion. Dabei könnte man fast alles, was sie dem Putin-Land vorwarfen, bei entsprechenden ideologischen Scheuklappen, nur in anderen Farben, auch den so genannten westlichen Demokratien anlasten. Oder haben amerikanische Wähler etwa eine Wahl zwischen echten Alternativen, wenn sie sich zwischen ihren Demokraten und Republikanern entscheiden müssen? Findet man tatsächliche Abweichler, etwa in der Frage Krieg und Frieden, bei den gegenwärtigen Vorwahlkämpfen? Und wie war das bei der ersten Bush-Wahl mit den Stimmen für ihn? Ist über seine Präsidentschaft nicht am Ende nur noch von einigen Bundesrichtern entscheiden worden, die ganz gewiss nicht repräsentativ für das amerikanische Volk waren? Wieviel Platz wird denn hierzulande im Wahlkampf kleineren Parteien in den Medien eingeräumt, damit sie ihre Positionen an den Mann bringen können? Und gab und gibt es nicht immer wieder Versuche der großen Parteien, unerwünschte Mitbewerber mit juristischen Mitteln kalt zu stellen, angefangen mit der Fünf-Prozent-Klausel? Gibt es nicht sogar gegenwärtig eine unterschwellige Diskussion darüber, inwieweit demokratische Wahlen zum Hindernis für »effizientes« Regieren werden?
Es sind aber gar nicht die tatsächlichen oder vermeintlichen Verletzungen demokratischer Regeln, die Motiv für die antirussische Kampagne vor allem der Medien, aber auch einer Reihe von westlichen Politikern in den letzten Wochen waren. Schließlich drücken sie bei Wahlmanipulationen ihrer Verbündeten, zum Beispiel in Pakistan, Kenia, Georgien, wohl auch in Armenien, gern ein Auge zu. In Wirklichkeit ist es die selbstbewusste Politik eines neuen Russland, die stört. Dass es Putin gelungen ist, in den gut acht Jahren seiner Amtszeit das Bruttosozialprodukt um 70 Prozent zu steigern und auch die Löhne in fast gleicher Weise anzuheben, so dass sich der Anteil jener, die unter der Armutsgrenze leben, halbierte, dass er ein jährliches Wirtschaftswachstum zwischen fünf und zehn Prozent – gegenwärtig 6,5 Prozent – erreichte und die Inflation von 85,7 Prozent am Ende der Jelzin-Zeit schon im Jahr darauf auf 20 Prozent senkte, während sie heute bei 7,5 Prozent liegt – all das stößt dem Westen sauer auf, nicht hingegen der übergroßen Mehrheit der Russen, die ihrem scheidenden Präsidenten – trotz aller noch bestehenden Probleme – gerade diese Entwicklung zugute halten und daher heute für die Fortsetzung dieser Politik votieren werden, ohne Zwang und Manipulation, wie westlicherseits gern und ohne überzeugende Beweise immer wieder behauptet wird.
Da nicht sein kann, was nicht sein darf, nimmt man einfach nicht zur Kenntnis, dass die Mehrheit der Russen den Segnungen der westlichen Ordnung mit großer Skepsis gegenüber steht und deshalb einen anderen, eigenständigen Weg gehen will – und das auch kann. Sie wollen nicht das schwache, auf den Westen fixierte Russland, das ihnen Jelzin beschert hatte und in dem wildgewordene Kapitalisten zum Schaden des Volkes nach Gutdünken schalten und walten konnten. Da hatte man kaum eine solche Entrüstung wie heute artikuliert, war doch dieses Russland kein starker Konkurrent, sondern ein unerschöpfliches Reservoir zur Selbstbedienung. Putin aber wird diffamiert, weil er sein Haupt nicht beugt und damit auch den Menschen seines Landes neues Selbstbewusstsein gegeben hat, was viele im Westen als bedrohlich empfinden. Sie werden dennoch damit leben müssen, wozu feindselige Kampagnen allerdings keinen konstruktiven Beitrag leisten.
Tatsache ist, in unseren kosmetischen Demokratien hat der Mann der Straße nicht viel mehr echten Einfluss als in Russland. Es braucht nicht zu verwundern, dass die anti-demokratischen Verhältnisse in anderen Ex-Ostblockstaaten (besonders NATO-Kandidaten) in den Medien nicht breitgetreten werden. Mittlerweile sollte bekannt sein, wie unabhängig und objektiv die Presse ist. Die USA bzw. NATO sind fleißig dabei, Putin’s Russland mit Raketen zu umzingeln, also gräm Dich nicht über die wiederaufgewärmte Propaganda.
Russland ist dennoch ein Land, in dem kritische Oppositionelle nicht lange leben, daran ändert Deine falsch + falsch = richtig-Argumentation nichts. Nach dem Chaos der Jelzin-Ära war ein starker Mann gefragt, und das ist Putin. Ich halte ihm zugute, dass er den allgemeinen Lebensstandard verbessert (woher hast du deine Zahlen?) und Russland am völligen Zusammenbruch gehindert hat, allerdings auf Kosten der Tschetschenen und der Meinungsfreiheit im eigenen Land, und das heißt in diesem Fall für viel Blut an den Händen. Bush und Putin, beide sind Kriegsverbrecher.
Geopolitisch ist Russland kein „Konkurrent“ mehr für die USA, und das weiss auch Putin. Die Amerikaner betrachten China als ihre nächste Herausforderung.
@ Ich
Die Zahlen sind aus unverdächtiger Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 24.02.2008
Hallo Pri,
Mein Kommentar ist übergreifend:
Bei den Gesängen der letzten Wwochen fällt auf, dass Du Dich zwar mit allem Möglichen (und durchaus Wichtigem!)- Dutschke, Knut (!), Toskana, Tibet, „heutiges Rußland“ ect. pp. beschäftigst, aber ein Themae, nämlich die „Berliner Zeitung“ vollkommen außen vor läßt.
Wiewohl gerade Du zu diesem Thema weit mehr als nur eine Null-acht-Fuffzehn-Meinung zu äußern in der Lage, berechtigt, genau genommen auch verpflichtet bist.
Rudolf
Mein Einkommensstatus, lieber Rudi, erlaubt es mir inzwischen, selbst zu entscheiden, wozu ich verpflichtet bin und wozu nicht. Und manche Themen erweisen sich derart als Wiedergänger, dass mir Neues dazu nicht einfällt. Aber vielleicht ist auch Älteres erhellend. Daher schaue ich demnächst nach, ob sich für das Geschichtsbuch ein geeigneter Text findet. Bis dahin bitte ich noch um Geduld.