Rechtzeitig vor der Inthronisierung der Eisbärenprinzessin Flocke in Nürnberg wurde ihr männlicher Berliner Vorgänger Knut als beutegierige Bestie entlarvt. Mit Entsetzen nahm die Öffentlichkeit zur Kenntnis, dass ein Eisbär Fische, die ihm auf seinen Streifzügen vor Tatzen und Schnauze kommen, doch tatsächlich fängt, tötet und verspeist. »Was ist nur mit Knut los?« fragte entsetzt die Frankfurter Allgemeine, hinter der doch allzeit ein kluger Kopf stecken soll, ob seiner »offensichtlichen Grausamkeit«.
Kopfschütteln allenthalben über die Bestialität des Tiers, das vom Menschen keinen Sanftmut lernen will. Zum Beispiel den menschlichen Umgang mit Karpfen, die zunächst mit einer Keule ganz mustergültig betäubt werden, ehe man sie bei lebendigem Leibe aufschlitzt, um sie auszuschlachten, dann mit Essig übergießt, auf dass sie vor ihrem Ende noch schön blau werden, und schließlich ins heiße Wasser wirft, wo manche noch so viele Lebensgeister aktivieren, dass sie dem Topf zu springen versuchen. Der Eisbär hingegen greift sich den Fisch, bearbeitet ihn, bis er sich nicht mehr rührt, um ihn sodann zu verspeisen. Gewöhnlich nennt man dies artgerechtes Verhalten, das man dem beklagenswerten Knut ob seiner Aufzucht durch Menschen gar nicht mehr zutraute. Nun wo er das Gegenteil bewies, sind ihm manche Tierschützer böse – wohl vor allem deshalb, weil er ihnen eins ihrer beliebtesten Argumente aus der Hand schlug und damit bewies: Ich brauche euch nicht zu meinem Schutz, ich helfe mir schon selbst.
Vielleicht war es nicht sehr fair von Knut, ausgerechnet jene Karpfen, die als Putzkolonne eigentlich sein Becken von Algen frei halten sollten, als Zwischenmahlzeit nun seinerseits wegzuputzen, doch war das absehbar, weshalb man den Zoo-Verantwortlichen die Überraschung über seine natürlichen Reflexe nicht recht abnehmen mag. Vielleicht war es doch eher ein Beitrag zu seiner artgerechten Haltung, denn in der freien Natur dürften Eisbären nur selten auf Frostfisch zurückgreifen, wie ihn Knut ansonsten serviert bekommt. Aber auch den Kritikern des Knutschen Instinktverhaltens ist ihre Empörung kaum zu glauben – es sei denn, sie sind absolute Fischverächter. Bei allen übrigen kommt eher der Verdacht auf, sie neideten dem Eisbär, was sie sich selbst sehr wohl gönnen. Ist das also Futterneid, die Befürchtung, der Fisch könnte ihnen selbst ausgehen, wenn der Eisbär vor ihnen jagt? Zumindest beim Karpfen müssen sie sich da keine Sorgen machen, denn seit Gründonnerstag bietet die Gastronomie sie vermehrt wieder an, die Lager sind gut gefüllt.
Und Flocke? Wie es ausschaut, denken manche schon jetzt auch an deren Wohlergehen als heranwachsende Eisbärenjungfer. Oder soll es etwa ein Zufall sein, dass vor einer guten Woche bei Fürth, also ganz in der Nähe von Nürnberg, Unbekannte aus einem Fischteich das Wasser abließen und 600 bis 700 (!) Karpfen einsammelten, als diese unvermittelt auf dem Trockenen saßen? Dagegen sind die zehn Berliner Karpfen nur etwas für Knuts hohlen Zahn. Solche halbe Sachen hat man mit Flocke nicht vor.