Man reibt sich vor Überraschung die Augen: Während landauf, landab ganz ernsthaft darüber diskutiert wird, ob Sportler zu den Olympischen Spielen nach Peking reisen dürfen, machte sich Bundesforschungsministerin Annette Schavan heimlich, still und leise ohne vorherige öffentliche Erörterung auf die Reise dorthin. Selbst der Bildzeitung bereitete das Bauchschmerzen; sie holte von der Merkel-Vertrauen schnell noch ein paar scharfe Worte ein, die ihren unzeitgemäßen Trip offensichtlich rechtfertigen sollen.
Dennoch zeigt der Vorgang das ganze Ausmaß von Heuchelei, das Politiker und die meisten Medien in der Tibet-Problematik gegenwärtig umtreibt. Während sorgsam im Dunkeln gelassen wird, was in Tibet tatsächlich vor sich geht, wie dort die sozialen Verhältnisse sind, wovon die Menschen wie leben, welche Rolle die zahlreichen Mönche – wie viele sind es eigentlich, was ist ihre Funktion, wovon ernähren sie sich? – spielen, was die einfachen Tibeter von ihrer Religion halten, was sie ihnen bringt, was sie von ihnen fordert – während man über all das also kaum etwas lesen, hören oder sehen kann und auch nichts Konkretes über die Vorstellungen der Tibeter zur Modernisierung und Entwicklung ihrer Region und worin diesbezüglich die Differenzen mit den Chinesen bestehen, ist ihr Feind, der rote Drache, bis ins letzte Detail erkannt und wird in den schrecklichsten Farben beschrieben.
Natürlich ist es nicht unglaubwürdig, dass die chinesische Führung wenig sensibel, sondern mit brutaler Gewalt gegen kritische Regungen in ihrem Land vorgeht; dafür hat es Beispiele gegeben, und wer selbst einmal im »sozialistischen Lager« gelebt hat, kennt die Methoden einer autoritären Führung im Umgang mit oppositionellen Geistern oder gar Massenbewegungen. Er weiß aber auch, dass durch Druck und ultimative Forderungen bei einer solchen Regierung nichts zu erreichen ist. Es ist – noch eine Überraschung – ausgerechnet George W. Bush, der sich sonst keine Gelegenheit entgehen lässt, einen »Schurkenstaat« vorzuführen, der vorsichtig agiert. Er jedenfalls will sich einen Boykott der Olympischen Spiele nicht vorschreiben lassen (obwohl es auf ihn persönlich dort wohl am wenigsten ankommt) und er verlangt ihn auch nicht von seinen Sportlern, was hiesige Politiker teilweise ganz anders sehen.
Aber vielleicht hat man hierzulande viel mehr und schlimmere Informationen über Tibet als in den USA; dann jedoch wäre es angezeigt, Konsequenz zu beweisen und eben nicht selbst nach China zu fahren, während man dies anderen im gleichen Atemzug zu verbieten nicht ausschließt. Oder wird Frau Schavan im »Free-Tibet-T-Shirt« vor ihre chinesischen Gastgeber treten, wenigstens ein passendes Armband am Handgelenk tragen? Die Frage zeigt bereits die ganze Lächerlichkeit der Debatte, denn natürlich wird die Ministerin die diplomatischen Regeln einhalten und die Chinesen nicht provozieren. Die olympischen Regeln jedoch werden schnell zur Disposition gestellt – von jenen, die darunter garantiert nicht zu leiden haben, aber heftig alle kritisieren, die ihnen nicht sofort lauthals Beifall zollen.
Wie zum Beispiel die deutsche Wirtschaft, die mit 3000 (!) Firmen in China vertreten ist, die allein 2007 dort 1,5 Milliarden Euro investierten und zugleich 54 Milliarden Euro an Exporterlösen erwirtschafteten. Auch sie wird sich ein solches Geschäft nicht entgehen lassen – schon gar nicht auf der Basis der sehr vagen und unvollständigen Berichte aus Tibet, die – wenn sie sich doch einmal aus dem »politisch korrekten« Mainstream lösen – ein weit weniger eindeutigeres Bild zeichnen. Dennoch fordern jetzt Politiker, die sich sonst ihrer Realitätssicht rühmen, auch hier Korrekturen; dem könnte man ja folgen, wenn die gleichen Politiker dann nicht morgen Krokodilstränen über die so verspielten Arbeitsplätze vergössen.
Somit entpuppt sich das Tibet-Spektakel, wie es Regierung und viele Medien vorführen, als ein propagandistisches Schauspiel, bei dem es weder um die die Menschen in Tibet und deren Belange geht noch um tatsächliche Fortschritte für eine Demokratisierung in China. Vielmehr soll damit aus innen- und mehr noch sogar parteipolitischen Gründen eine verfehlte, weil allein symbolhafte Menschenrechtspolitik demonstriert werden, und eine Bundeskanzlerin will zugleich ihren unbedachten, den Beziehung zu China abträglichen Umgang mit dem Dalai Lama rechtfertigen.
Also wenn man sich das Handelsbilanzdefizit der USA zu China anschaut, die Unsummen an Dollars, die China als Währungsreserve hält, und die Menge an Aktien, die China und Chinesische Firmen wahrscheinlich in den USA halten, ist es doch ziemlich klar, das sich Herr Bush da ganz fürchterlich zurückhält… gerade bei der Finanzkrise, die in den USA und hier gerade aufdämmert!
Und was Deutschland angeht… Kaufen, Verkaufen und Produzieren, alles in China! Da musste wohl mal ein Mitglied der Regierung hinfahren, um etwas Öl auf die Wogen zu giessen – oder um einen Kotau zu machen 🙂
@ Carlos
Eben, eben. Warum muss man aber erst die Wogen hochpeitschen, um sie dann wieder zu glätten? In diesem Fall ist Bush offensichtlich klüger als Merkel.