Auf ganz eigene Weise hat gestern Abend das heute-Journal des ZDF auf die »Berliner Rede« des Bundespräsidenten reagiert. Es verbannte den Bericht darüber in die dritte oder vierte Reihe der Sendung; viel wichtiger als die Wegweisung des Staatsoberhauptes war ihm die Frage, ob Fußball-Bundestrainer Löw auch beim Viertelfinalspiel gegen Portugal oben auf der Tribüne sitzen muss statt unten auf dem Spielfeld. Auch die ARD zeigten in den »Tagesthemen«, wie Köhlers Zuhörern die Augen zufielen, sie mühsam das Gähnen unterdrückten oder verstohlen auf die Uhr sahen. Und die Zeitungen heute, von ihrem politischen Standort dem neoliberalen Staatsoberhaupt in ihrer Mehrheit eher grundsätzlich gewogen, verhehlen ihre Enttäuschung nicht.
Mehr hat die »Berliner Rede« allerdings auch nicht verdient, wiederholte der Präsident doch nur die sattsam bekannte Litanei über die Notwendigkeit von »Reformen«, die sich für die Menschen längst als Streichung einst in harten Kämpfen erreichter Sozialstandards entpuppt haben. Mehr noch, er machte den bis zur Unkenntlichkeit geschrumpften »Sozialstaat« für die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich; die Sozialabgaben hemmten die Schaffung von Arbeitsplätzen, wiederholt er die Argumente der Unternehmer-Lobby. Zugleich lobt er, dass 1,6 Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen wurden und tröstet die wachsende Zahl jener, die von solcher »Arbeit« aufgrund der dafür gezahlten Hungerlöhne nicht leben können« »Selbst wer dabei zunächst wenig verdient, hat Fuß gefasst, um sich weiter hoch zu arbeiten. Selbst wer trotz Arbeit auf Hilfe angewiesen bleibt, tut doch das ihm Mögliche und muss nicht mehr Solidarität in Anspruch nehmen als nötig.«
Horst Köhler ist mit der Welt um ihn herum zufrieden; für die Sorgen und Nöte der Menschen hat er nicht mehr als solche guten Worte, für die sie sich nichts kaufen können. Wenn er sich dennoch darüber wundert, dass es so viel Politikverdrossenheit gibt, kann das nach seiner Meinung also nicht an den Inhalten der Politik liegen, sondern an ihren Verfahren. Und da mahnt er Veränderungen an, darunter auch solche, die die ohnehin schon geringen Mitsprachemöglichkeiten der Menschen weiter einschränken sollen. Es würde zu oft gewählt, beklagt er sich; dabei sind Wahlen inzwischen die einzige Möglichkeit der Bürger, tatsächlich ein wenig Einfluss auf politische Entwicklungen zu nehmen. Das stört den Bundespräsidenten, er möchte, das »durchregiert« werden kann – wie es einst Angela Merkel versprach und dann glücklicherweise nicht halten konnte, weil die Wähler derartige Vollmachten nicht zu gewähren geneigt waren.
Man könnte in Köhlers Rede zahlreiche weitere Punkte finden, die ihn als den Sachwalter der Wirtschaft und ihrer politischen Förderer zeigen, als der er vor drei Jahren gewählt wurde. Er strebt – in ihrem Auftrag – eine weitere Amtszeit an; dafür wollte er sich mit der »Berliner Rede« bei ihnen empfehlen. Der »Bürgerpräsident«, als den ihn interessierte Medien gern apostrophieren, erwies sich einmal mehr als Phantom.
Der hölzerne Horst Köhler wirkt in der Art und Weise seines politischen Wirkens als Staatsoberhaupt fast schon so wie einst der greise Paul Hindenburg gegen Ende der Weimarer Republik. Auch wenn dieser Vergleich übertrieben sein mag, paralysiert ein Mann des wirtschaftlichen und politischen Establishments wie Horst Köhler geradezu die dringend wirkliche Impulse brauchende Berliner Republik mit seinen überaus stereotyp vorgetragenen neoliberalen Wirtschaftsweisheiten.
Das könnte eine Chance für Gesine Schwan sein, sich für das Amt des Bundespräsidenten mit frischen Ideen für die durch Horst Köhler weiter „eingeschläferte“ Demokratie in Deutschland zu empfehlen und mehr Sinn für die von dem „Bürgerpräsidenten“ Köhler verdrängten sozialen Realitäten aufzubringen. Zumindest sollte Frau Professor aber den Unterschied zwischen einem Demagogen und einem Polemiker kennen, wenn sie sich über Oskar Lafontaine äußert.