Vorgestern ist in Bayern der frühere DDR-Rechtsanwalt Wolfgang Vogel gestorben. Mit ihm ist ein Mann gegangen, der wesentlich an der Geschichte der Ost-West-Beziehungen mitgeschrieben hat. Allerdings im Verborgenen, was ihn nach 1989 selbst auf die Anklagebank führte.
Es war wohl so etwas wie eine Wiedergutmachung an jenem sonnigen Augusttag vor beinahe genau elf Jahren, als sich auf gewissermaßen historischem Boden, an der Glienicker Brücke zwischen dem alten Westberlin und Potsdam, noch einmal viele Akteure geheimster Ost-West-Aktivitäten trafen, um vor allem einen Mann zu ehren, der von ihnen allen dabei wohl den schwersten Part gehabt hatte – Wolfgang Vogel. Der DDR-Anwalt war nach dem 13. August 1961 schrittweise in die Rolle eines Beauftragten der DDR-Spitze für schwierige Operationen nicht nur zwischen der DDR und der Bundesrepublik, sondern generell im Ost-West-Verhältnis hineingewachsen und hatte aufgrund seiner anwaltlichen Fähigkeiten, seines Intellekts und nicht zuletzt seines gewinnenden Wesens bald das Vertrauen aller beteiligten Seiten gewonnen – angesichts des allgemeinen Argwohns in Zeiten des kalten Krieges eine schwer zu überschätzende Leistung. Nun also waren sie zur Präsentation eines dickleibigen Buches über ihn noch einmal gekommen und spazierten ein letztes Mal gemeinsam über den weißen Kreidestrich, über den sie früher Spione ausgetauscht und politische Häftlinge der DDR gegen harte Währung der Bundesrepublik in die Freiheit entlassen hatten.
Das erste Mal war Vogel hier im Frühjahr 1962 dabei gewesen, als der über der Sowjetunion abgeschossene U2-Pilot Gary Powers und der sowjetische Spion Rudolf Abel wortlos aneinander vorbeigingen – und seitdem immer wieder. Amerikaner und Russen, Engländer, Polen, Israelis und viele andere fuhren unbemerkt an seiner Kanzlei in einem verschlafenen Lichtenberger Villenviertel vor, und später agierte am Grenzübergang zwischen den nervösen Uniformträgern und »Schlapphüten« beider Seiten souverän ein rundlicher, bebrillter Herr im korrekten Anzug, der nicht selten auch jetzt noch unerwartete Hindernisse aus dem Weg räumte. Nach Powers und Abel war er unter anderem an der Ausreise des Dissidenten Schtschranski aus der Sowjetunion nach Israel und an der Rückholung der DDR-Spione Felfe und Guillaume beteiligt.
Später waren es zunehmend DDR-Bürger, die wegen politischer Delikte oder Republikflucht in Gefängnissen saßen und von der Bundesrepublik freigekauft wurden; von 1963 bis 1989 insgesamt 33755. Fast 3, 5 Milliarden D-Mark wurden dafür gezahlt; erst in bar später in Warenlieferungen. In Bonn wurden die Listen der Häftlinge zusammengestellt. Vogel ging sie dann mit seinen Kontaktleuten beim Ministerium für Staatssicherheit durch und dirigierte schließlich oft ganze Busladungen über die Grenze, jetzt meist im thüringischen Herleshausen. Und am Schluss waren es immer öfter ausreisewillige DDR-Bürger, die sich an den Anwalt wandten, um ihr Land in Richtung Westen verlassen zu können. Sie wussten, dass nach vielen eigenen Versuchen er ihre letzte Hoffnung blieb und störten sich nicht daran, dass er das nur in Absprache mit der Staatssicherheit tun konnte, die auch ihm die Bedingungen dafür diktierte. Hatten sie Besitz,
etwa von Grundstücken und Häusern, oder pekuniär potente Verwandte im Westen, ließ sich die gewünschte Ausreise meist arrangieren – immerhin mehr als 215000 mal.
Dass er dafür diese oft nervenaufreibende Dienstleistung Dank nicht erwarten konnte, merkte Wolfgang Vogel schon vor dem Ende der DDR. Da sollte er nämlich in Botschaften in Warschau, Prag oder Budapest geflohene DDR-Bürger zur Rückkehr bewegen, doch er erntete von ihnen nur Spott, Pfiffe und Drohungen. Nach dem Untergang der DDR war er einer der ersten, der in Haft genommen wurde, zwar zunächst wieder frei kam, aber dann erneut – mit längeren Unterbrechungen – bis 1994 einsaß. Bis 1998 zogen sich mehrere Prozesse gegen ihn hin, ehe er zumindest vom Vorwurf der Erpressung, den einige der ausgereisten ehemaligen DDR-Bürger gegen ihn erhoben hatten, endgültig freigesprochen wurde.
Vogel, der insbesondere für Erich Honecker auch einige interne Kontakte zu BRD-Politikern wie Herbert Wehner anbahnte und in die deutsch-deutsche Besuchsdiplomatie einbezogen war, nannte solche Demütigungen »geschichtsblind und rechtswirklichkeitsfremd«. Er hatte getan, was unter den gegebenen Bedingungen möglich war. Realistisch denkende Politiker hatten dies stets gewürdigt; nur wenige jedoch – wie Helmut Schmidt, Genscher und Barzel – auch in jenen Monaten, als er es am nötigsten gebraucht hätte.
Gedruckt in: Neues Deutschland vom 23. 08. 2008
Personen, die in politischen Grauzonen tätig sind, verfügen im allgemeinen über kein besonders gutes öffentliches Image. Nicht ganz zu unrecht wahrscheinlich, aber damit ist die Sache noch nicht erledigt. Denn in diesen „Grauzonen“ zwischen den politischen Fronten kann es durchaus um höchst menschlich-humanitäre Angelegenhieten gehen, wie dies auch bei der langjährigen Mittlertätigeit des DDR-Rechtsanwalts Wolfgang Vogel in zahllosen Fällen von Ausreisewilligen DDR-Bürgern gewesen ist. Wenn Vogel sein Wirken einmal als nicht weiß noch schwarz bezeichnet hat, so hat er lediglich zum Ausdruck bringen wollen, daß Grau in unwirklichen Zeiten für nicht wenige Menschen die Farbe der Hoffnung sein konnte und mußte.
Ende 1961 wurde ich von Wolfgang Vogel in der Berufungsinstanz vertreten. Ich war in Gera zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil ich versucht hatte, im Kofferraum meines PKWs jemanden bei der gewünschten in den Westen zu bringen.
In allen Berichten wird die kaum berücksichtigt. Damals war er für viele der Anwalt, der Angeklagte aus dem Westen vor Gerichten im Osten verteidigte. Vor 1962 war er bei weitem noch nicht der Staranwalt; diese Stellung hielt Friedrich Karl Kaul, der – im Gegensatz zu Vogel engagierter Kommunist – als Strafverteidiger DDR-Bürger in politischen Strafverfahren in der BRD vertrat.