Man mag über die ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko denken, was man will, aber in der Bewertung der Krise um Georgien hat sie weitaus mehr Augenmaß und politischen Realismus bewiesen als ihr Präsident. Während Viktor Juschtschenko demonstrativ nach Tbilissi reiste und mit dieser uneingeschränkten Solidarität für einen militärischen Aggressor einen nicht geringen Teil der Ideale der friedlichen orangen Revolution in der Ukraine verriet, während er eilends sogar dem Abenteurer Saakaschwili durch Bruch der Verträge mit Russland über die auf der Krim stationierte Schwarzmeerflotte zu verfolgen versuchte, behielt Timoschenko, der besondere Sympathien gegenüber Russland gewiss nicht nachgesagt werden können, einen klaren Kopf und lehnte den Crash-Kurs des Präsidenten ab – übrigens mit Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung. Mit dem Ergebnis, dass die Koalition zwischen Juschtschenko und Timoschenko zerbrach und beider Konkurrent Janukowitsch, der für Russland angenehmste Partner im Nachbarland, wieder besser ins politische Geschäft kam.
Noch interessanter aber als dieser aktuelle Aspekt ist die tiefere Ursache, die zum jüngsten innerukrainischen Konflikt führte: der Versuch Viktor Juschtschenkos, Mehrheitsentscheidungen des demokratisch gewählten Parlaments fortgesetzt zu unterlaufen und entgegen der Verfassung eine Art Präsidialdiktatur zu errichten – übrigens ohne dass westliche Demokratiewächter etwas dabei fanden. Er behinderte auf diese Weise die Arbeit der Regierung, der seine eigene Partei angehörte, und war bemüht, die Rolle des Regierungschefs gleich noch mit zu besetzen. Irgendwann platzte der ebenfalls sehr machtbewussten Julia Timoschenko der Kragen, und sie setzte zusammen mit Janukowitschs Opposition Gesetze durch, die die ziemlich undemokratische Macht des Präsidenten einschränkten, worauf Juschtschenko – wie jeder Politiker, dem Demokratie nur gefällt, solange sie ihm nützt – prompt von einem »Putschversuch« sprach.
Für den Westen ist diese Entwicklung, die er – wie schon im Falle Georgiens – durch die Ermutigung eines allzu ideologisch denkenden Politikers freilich beförderte, ein zusätzlicher Rückschlag, weil ein weiteres negatives Ergebnis von Saakaschwilis Offensivstrategie. Für Russland hingegen ein unverhoffter Gewinn, wobei der Vorgang einmal mehr zeigt, wie sehr wirkliche Demokratie ein offenes Spiel ist, in dem immer der verliert, der demokratische Regeln einzuschränken versucht – unabhängig davon, welchem ideologischen Lager er jeweils angehört. Der sozialistische Osten hat das nie verstanden; nun fehlt es dem Westen schwer, dies zu akzeptieren.
Wie so häufig im Leben hat selbst eine an sich schlechte Sache noch eine irgendwie gute Seite. Auch dem blutigen Kaukasus-Konflikt ist insofern also noch etwas Gutes abzugewinnen, da man in der Ukraine offensichtlich mehr politischen Realitätssinn bewiesen hat als anderswo und dem eigenen Präsidenten noch eine Lehrstunde demokratischer Spielregeln erteilte wurde. Beides wird den Demokratiewächtern im westlichen Ausland nicht gefallen.