Müssten auch die deutschen Wähler – wie in den USA – über einen Vizekanzlerkandidaten entscheiden, dann würde in der SPD ganz gewiss Franz Müntefering die Sarah Palin geben – und wie es scheint, soll er das auch tun, ohne dass die hiesige Politik die Institution des »running mate« kennt, des ersten, des bevorzugten, des führenden Kameraden, Mitkämpfers in einer bevorstehenden Schlacht. Aber »Münte« hat eben auch all jene Eigenschaften, die der kometenhaften Erscheinung aus Alaska zugeschrieben werden: Er soll in beinahe aussichtsloser Lage der Erlöser sein, so wie McCain hofft, dass der Glanz der modernen Suffragette aus der amerikanischen Provinz die Scheinwerfer weg lenkt vom Bush-Elend und auf eine Hoffnungsträgerin focussiert, die zwar kaum etwas über ihre politischen Ziele sagt, dafür aber ein wohliges Aufbruchsgefühl verbreitet. Das erhofft sich die gebeutelte SPD auch von Müntefering: Vergessenmachen des sozialdemokratischen Niedergangs durch Erinnerung an Triumphzeiten im vergangenen Jahrhhundert. Überspielen der programmatischen Schwindsucht der SPD durch kurze, knappe Sätze, die alles und nichts bedeuten können. Rückgewinnung der inzwischen an die CDU verloren gegangenen Profiteure von Schröders Umverteilungskurs, den sein Parteisoldat Müntefering auch nach dem Abgang des Chefs so eifrig wie unbelehrbar fortsetzte.
Wie Sarah Palin für den erzkonservativen Flügel der Republikaner steht Franz Müntefering für das rechte Lager in der Sozialdemokratie. Er will zurückhaben, was längst an der Prüfung durch die Geschichte gescheitert ist – sichtbar im Aufschwung der Linkspartei. So wie Palin zum alten, von der Zeit überholten Amerika zurückkehren will und den Wandel nur darin sieht, einige allzu behäbige Vertreter des Establishments aufzuscheuchen, um den konservativen Kurs umso besser weiterverfolgen zu können.
Politik wird so zur Personality-Show, ob nun mit einer Super-Nanny oder mit mit einem Wunderheiler. Inhalte interessieren nicht einmal in zweiter Linie, denn es wäre kontraproduktiv, dem Wahlvolk auch noch zu erzählen, was man tatsächlich im Regierungsamt machen will. Das gilt für die amerikanischen Republikaner wie die deutschen Sozialdemokraten. Wobei letztere noch das Handicap stemmen müssen, dass ihr »Hoffnungsträger« nicht 44, sondern 68 Jahre alt ist, ein alter Mann und keine junge Frau und zudem seine Vergangenheit nicht auf kleine lässliche Sünden einer Dorfbürgermeisterin herunterreden kann, Die Heilserwartung an Müntefering verrät ebenso wie die Kür Frank-Walter Steinmeiers zum Kanzlerkandidaten, dass die SPD nicht mehr die Kraft aufbringt, eine verfehlte und von den Menschen zunehmend abgelehnte Politik zu korrigieren. Diesem Unvermögen entspricht das letzte, längst verbrauchte Aufgebot, dass sie dazu ins Rennen schickt.
HARTZ VI MUSS WEG.
Mit Münteferung kommt Hartz I wieder.
Müntefering und Palin zu vergleichen, ist köstlich. Zwar ist „Münte“ nicht so nett anzusehen wie Palin, aber an Bigotterie kann es der „Sauerländer Hinterwäldler“ mit der Landpomeranze Palin bestimmt aufnehmen.
Was für die Parteistrategen diesseits und jenseits des Atlantik momentan zählt, ist, eine Aufbruchstimmung zu initiieren, die möglichst bis zum Wahltermin die „Abbruchstimmung“ in Partei und Volk verdeckt bzw. einlullt. Den „politischen Rest“, also die tatsächliche Arbeit an den zu bewältigenden Aufgaben und zu lösenden Sachproblemen obliegt dann wieder den diversen Politikberatern aus Wirtschaft, Wissenschaft und anderen Ecken der „demokratischen“ Gesellschaft. Leider stellen sich diese Leute niemals zur Wahl und können auch nicht abgewählt werden. Schöne Demokratie.