Schaut’s an, die Bayern, könnte man ausrufen, denn die Wähler des Freistaats haben nicht nur ein sensationelles, sondern auch sehr kluges Ergebnis zustande gebracht. Und damit über ihr Land hinaus Botschaften vermittelt, die im Kern eins zeigen: Auch die Bayern werden künftig keine anachronistisch-konservative Rolle in der Bundesrepublik mehr spielen. Sie besinnen sich auf ihre ureigenen Interessen – langsam, aber sicher.
Nur eine der bayerischen Botschaften lag noch auf der traditionellen CSU-Linie: die Skepsis gegenüber der Linkspartei, die zwar im Schwinden begriffen ist, aber doch noch reichte, der mit einem »Kreuzzug« überzogenen Partei den Sprung in den Landtag zu verwehren. Doch dass dieser alte Reflex am Ende der CSU dadurch zugute kommen könnte, dass sie mit Hilfe der unter der Fünf-Prozent-Hürde bleibenden und damit den anderen Parteien zugeschlagenen Stimmprozente der Linken doch noch die absolute Mehrheit erringt – das wollten die bayerischen Wähler denn doch nicht. Und so senkten sie das Resultat für ihre ehemalige Staatspartei so deutlich ab, dass diese nun um einen Koalitionspartner zwar nicht werben muss, weil sich die FDP in ihrem unstillbaren Drang nach Regierungssesseln bereits in Unterwerfungsgesten übt, aber doch nicht mehr ganz so selbstherrlich agieren kann, wie seit 42 Jahren gewohnt. Was die Bayern von der neuen bürgerlichen Konstellation aus CSU und FDP haben werden, können sie bis zur Bundestagswahl noch ein Jahr studieren, und es ist durchaus nicht sicher, dass dadurch ein ähnliches Bündnis im Bund beflügelt wird. Die Münchener Akteure Beckstein und Huber samt ihrem Fernseh-Beauftragten Siegmund Gottlieb machten vor den Kameras eine derart traurige Figur, dass man für die Zukunft der CSU nur den weiteren Niedergang erwarten kann, wenn sich ihr Führungspersonal weiter an den schwer errungenen Sesseln festkrallt – und das dann auch zu Lasten der Mutterpartei CDU.
Die dritte bayerische Botschaft betrifft die SPD, die ihr schlechtestes Resultat im Freistaat überhaupt einfuhr und damit den Abwärtstrend ungebremst fortsetzte, auch wenn sich ihr Kanzlerkandidat in totaler Realitätsverdrängung als einer der Sieger dieser Wahl feiern ließ und seine Wasserträger den Verlust weiterer mehr als 40 000 Stimmen als »Stabilisierung« bezeichneten. Sieht man sich das Ergebnis jedoch nüchtern an, dann haben Müntefering und Steinmeier dem tapfer kämpfenden Maget, der dafür immerhin mit einem Direktmandat belohnt wurde, weniger geholfen als geschadet – eine Diagnose, die durch die gleichzeitige faktische Stagnation der Partei bei den Kommunalwahlen in Brandenburg auf einem für die dortige SPD niedrigem Niveau von gut 25 Prozent noch gestützt wird.
Die Volksparteien, so die Analytiker übereinstimmend, verlieren an Boden. Ein Wunder ist das letztlich nicht, denn wo Parteien eine Politik gegen das Volk machen – und das tun CDU/CSU und SPD seit Jahren – läuft ihnen das Volk zwangsläufig davon und lässt sich nicht als »Volksparteien« verordnen, was längst zur Beute der eigentlich Herrschenden aus dem obersten Drittel der Gesellschaft verkommen ist.
Die besonders in den sog. Volksparteien ungebrochen herrschende Realitätsverdrängung angesichts des eigenen Zusammenschrumpfens ist schon beachtlich. Weder die ehemalige Staatspartei CSU noch die ehemalige politische Konkurrenz, die Bayern-SPD, wollen von ihrem „Weiter so!“ grundlegend abweichen und sich selbst kritisch hinterfragen.
Zwar wird in der schwer angeschlagenen CSU nun viel von tiefgreifenden Veränderungen geredet, aber im Grunde scheint es doch nur wieder auf das berühmt-berüchtigte Vermittlungsproblem der neoliberalen Reformpolitik hinauszulaufen. Polit-Marketing statt Sachpolitik. Und zur SPD in Bayern mit dem „Wahlsieger“ Franz Maget und dem „künftigen Kanzler“ Frank-Walter Steinmeier braucht wohl nicht viel gesagt werden.
Dann muß die Welt eben durch die bayerische Sch(r)ill-Partei der Freien Wähler, der reanimierten und sogleich wieder machtversessenen FDP sowie den krachledernen Grünen gerettet werden. Die Linke muß sich dieses gewagte Unternehmen allerdings von außen anschauen.
Mir fallen vor allem folgende Dinge auf:
1. Eine wirkliche Änderung der Politik in Bayern hat die Wahl nicht gebracht, denn die CSU hat genügend bürgerliche Koalitionspartner zur Verfügung.
2. Eine gewisse Wendung zu mehr Demokratie ist es schon, denn endlich hört die Ein-Parteien-Herrschaft auf, und es muss jetzt auch in Bayern eine Koalition geben, wie es in allen anderen Bundesländern selbstverständlich ist.
3. Allerdings scheint man in der CSU von demokratischem Denken noch weit entfernt, sonst würde man nicht Becksteins Rücktritt fordern und er, wie heute abend bekannt wurde, nicht tatsächlich von seiner Ministerpräsidenten-Kandidatur zurücktreten. Das finde ich aus demokratischer Sicht nämlich ganz unmöglich! Schließlich haben 43% der Wähler seine Partei gewählt, und man wählt ja immer auch den Spitzenkandidaten. Mit dem Ergebnis kann er einer Koalitionsregierung vorstehen; in jedem anderen Bundesland würde der Spitzenkandidat zwar nicht glücklich sein, aber an Koalitionsgespräche herangehen. Wenn ich CSU-Wählerin wäre, würde ich mich jetzt gründlich vera… fühlen von diesem „wenn Ihr mir nicht die absolute Mehrheit gebt, bäh, dann schmeiß ich den Bettel hin!“
@ eule70
Zu 3.: Gerade weil die CSU von demokratischem Denken so weit entfernt ist, steckt sie in den gegenwärtigen Schwierigkeiten. Jene, die Beckstein stürzten, taten dies nur, weil sie plötzlich eine Chance sahen, vielleicht selbst ans Ruder zu kommen. Bayern ist ihnen ebenso egal wie die CSU; sie sehen nur den eigenen Vorteil. Da kann man ihnen das Chaos, das sie selbst angerichtet haben, nur gönnen.