Wenn wir aus der derzeitigen Finanzkrise eins gelernt haben, dann dies: Geld ist ausreichend vorhanden. Es fiel den Regierungen der Industrieländer überhaupt nicht schwer, in kürzester Zeit Hunderte Milliarden Euro oder Dollar herbeizuzaubern, um damit dem beinahe zusammengebrochenen Finanzsystem neues Blut in die Adern zu jagen – und das, obwohl seit Jahr und Tag über fehlendes Geld geklagt wird, vor allem dann, wenn es für Bildung, Kultur, die öffentliche Infrastruktur oder soziale Zwecke benötigt wird. Es liegt auch auf der Hand, dass ausreichend Geld vorhanden ist, hat doch in den vergangenen Jahrzehnten vor allem die technische und technologische Entwicklung für ein derartiges Wirtschaftswachstum gesorgt, dass überall die Profite reichlich flossen, dass in gewaltige Industrien investiert werden konnte, dass man kostspielige Kriege führte und dennoch genug übrig behielt, um in der Oberschicht ein bisher nie dagewesenes Luxusleben zu führen und im übrigen Milliarden wie in einem globalen Casino einfach zu verzocken. Vor allem letzteres allerdings wurde so stark übertrieben, dass dann das Geld doch auszugehen drohte. Aber siehe da, die Staaten, die sich bei Forderungen nach Daseinsvorsorge und einer menschenwürdigen Wohlfahrt für alle arm rechnen, hatten doch noch genügend Geld auf der hohen Kante.
Aus all dem ergibt sich eine zweite Lehre: Offensichtlich existiert ein enger Zusammenhang zwischen Verarmung in der Unterschicht und schamloser Bereicherung ganz oben. Die Gewinne aus der weitgehend technisierten, automatisierten Produktion, die mit immer weniger Menschen auskommt, werden allein durch die Besitzer der Produktionsmittel realisiert, während der Wert der Produktivkraft Mensch allein dadurch, dass sie immer weniger für die Produktion benötigt wird, rapide gesunken ist und weiter sinkt. Das führt weltweit zu Niedrigstlöhnen, die oft unter das Existenzminimum abgesunken sind, vor allem in den Ländern der Dritten Welt, aber längst nicht mehr nur dort, sondern bereits auch direkt unter uns. Erst diese objektive Entwicklung konnte zu den Verwerfungen des Finanzsystems führen, denn es war plötzlich Geld im Überfluss vorhanden, das früher – über die Löhne – zu einem beträchtlichen teil an die Arbeitnehmer geflossen war, nun jedoch bei den Arbeitgebern verblieb und von diesen zu den Banken gelangte, die es aber immer weniger für neue produktive Investitionen bereitstellten, sondern damit noch mehr Geld zu machen versuchten.
Auf diese Weise entstand neben der Realwirtschaft eine zweite unreale Wirtschaft – vielleicht könnte man sie Virtualwirtschaft nennen, bei der es nicht darum ging, etwas Produktives zu schaffen, sondern allein durch Spekulation das Geld zu mehren. Diese Virtualwirtschaft ist der eigentliche Krankheitsherd des Finanzsystems, und dessen Krise ist nur dadurch zu überwinden, dass man diesen Krankheitsherd beseitigt, also die virtuelle, die unreale Wirtschaft ausmerzt. Davon allerdings sind alle bisher ergriffenen Maßnahmen weit entfernt. Sie doktern nur an den Symptomen herum und versuchen, das kranke System zu reanimieren, um dann wie gehabt weitermachen zu können. Und weil das so ist, machen die Banken, die Wirtschaftsbosse, die neoliberalen Trommler zunächst gute Miene zum für sie zwar nicht bösen, aber doch etwas irritierenden Spiel. Zwar sind sie verunsichert, inwieweit der Staat auf seine neuen Kompetenzen zur Krisenbewältigung wieder verzichtet, aber sie hoffen doch, dass er zumindest am System nichts ändert – und bisher hat er ihnen das auch versprochen und dürfte es halten.
Tatsächlich jedoch ist die Krise nur dann nachhaltig zu bewältigen, wenn Regeln gefunden werden, durch die zumindest ein Teil der Gewinne aus einer weitgehend menschenlosen Produktion der Allgemeinheit zugute kommt, ihrer Bildung, ihrer kulturellen Entwicklung, ihrem Lebensumfeld und auch jenen, die für die Produktion nicht mehr gebraucht werden und ihren Beitrag zur Gesellschaft auf anderen Feldern erbringen, vor allem solchen des solidarischen Miteinander, aber auch denen, die durch die Entwicklung an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden und der Fürsorge bedürfen. Es geht also letztlich nicht nur um Regeln für den Finanzmarkt, sondern um grundsätzliche Verteilungsregeln, die nicht nur für die materielle Wohlfahrt, sondern genau so für die geistige Verfassung der Gesellschaft erforderlich sind. Geld, so haben wir gelernt, sit genügend vorhanden. Es muss nur so verteilt werden, dass zum einen die Wirtschaft ordentlich arbeiten kann, aber zum anderen auch das soziale Gefüge stabilisiert und nicht – wie derzeit – immer weiter untergraben wird.
Die Chancen, dass im Ergebnis der Finanzkrise solche Regeln aufgestellt werden, stehen schlecht. Schon setzen sich einige der geistigen Verursacher der Finanzkrise – wie der CDU-Bierdeckel-Denker Friedrich Merz – wieder aufs hohe Ross und singen das Lied des ungebremsten Kapitalismus. Andere richten dreiste Forderungen an die Gewerkschaften, nun Lohnverzicht zu üben, also die Arbeitnehmer für das Versagen der Geldbranche zahlen zu lassen. Tatsächlich jedoch muss auch hier das Verursacherprinzip gelten. Wenn im Gefolge der Finanzkrise Unternehmen in Schwierigkeiten kommen, sind die Banken gefordert, ihnen unter die Arme zugreifen; schließlich haben sie von ihren Machenschaften so ausgiebig profitiert, dass ein Rückfluss der Gewinne an Geschädigte nur gerecht wäre. Auch der Staat lässt bereits durchblicken, dass für seine Hilfemaßnahmen für den Bankensektor die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden könnten; noch sagt er es leise, aber bald wird es lauter zu hören sein. Dabei gilt auch hier, dass die Banken nicht nur die Hilfsgelder der Steuerzahler auf Heller und Pfennig zurückzuzahlen haben, sondern auch noch mit jenem Zins und Zinseszins, den schließlich auch sie von ihren Kunden verlangen. All das ist eigentlich selbstverständlich und wäre doch nur ein erster Schritt auf einem weiten Weg, der mit einem Wort umschrieben werden kann: Gerechtigkeit.
Es mag zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar zu früh sein, um einen Vergleich zwischen der Finanzkrise 2008 und dem Börsenkrach von 1929 zu ziehen. Eines läßt sich aber wohl jetzt schon festhalten: Staat und Politik sind heute nicht inaktiv und versuchen mit allem Mitteln, eine Ausbreitung der Finanzmarkt- und Bankenkrise auf die Realökonomie zu vermeiden. Wohin eine Politik der „ruhigen Hand“ in einer derartigen Situation führen kann, weiß man aus den desaströsen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft in der zerrütteten Weimarer Republik zu berichten.
Der Zweck heiligt aber auch in diese heutigen weltweiten wirtschaftlichen Anspannungslage nicht die Mittel. Woher auf einmal die Milliarden kommen, um dem gestrauchelten Finanzsektor unter die Arme zu greifen, werden die marktfreudigen Reformer in den politischen Parteien den Menschen im Land noch erklären müssen, wo es doch sonst immer heißt, daß gespart werden müsse und es nichts zu verteilen gebe und schon gar nicht für „soziale Wohltaten“. Soll man es nun Volksverdummung oder „höhere Politik“ nennen, aber für weltweit geführte Kriege und nun auch für das Finanzchaos an den Börsen sind immer und sofort finanzielle Mittel da, die freilich letztlich von den Bürgern selbst stammen, die dafür einer ständig steigenden steuerlichen Belastung ausgesetzt sind und verständlicherweise zu murren anfangen.
Daß so viel „Spielgeld“ vorhanden ist, für die, die es nicht brauchen, und für die, die es besser brauchen, keines angeblich verfügbar ist, zeigt einmal mehr, wie unsozial, inhuman und widersinnig das gegenwärtige profitorienierte Wirtschaftssystem funktioniert und sich auf seine Helfer in der Politik verlassen kann. Obwohl die Realwirtschaft leistungsfähig ist wie, breiten sich Unsicherheit und Armut wieder gesellschaftsweit aus. Aber die Umverteilung von unten nach oben soll allem Anschein nach ungerührt weitergehen mit und ohne globale Finanzkrise. „Mehr Kapitalismus wagen“ rät beispielsweise der „Bierdeckel-Fachmann“ Friedrich Merz. Prost!
Sehr guter Artikel – und genau auf den Punkt gebracht! Genau die Sorge, dass diese Milliardenpakete zwar dem Finanzsektor helfen und einen globalen Kollaps verhindern, sich dann aber bald, nach spätestens ein, zwei Jahren, wenn die „Finanzkrise“ wieder aus den Medien ist, das übliche Verhalten aller Marktteilnehmer einstellt, beschleicht mich dieser Tage auch. (siehe auch meinen Artikel http://konsumpf.de/?p=254)
Gerade, weil im System ein paar grundlegende Fehler stecken – so ist eine auf permanente Wachstumssteigerung ausgelegte Wirtschaft auf einem endlichen Planeten irgendwann zum Scheitern verurteilt – muss hier eigentlich grundsätzlicher überlegt werden. Das ist aber von der Politik wohl nicht zu erwarten – schon gar nicht, wo doch jetzt der Wahlkampf beginnt (sind wir nicht immer im Wahlkampf?!) und man ja keine Wähler verschrecken darf…