Auch wenn es in den Medien gern anders dargestellt wird, befindet sich die neue Mitte-Rechts-Führung der SPD durch die weltweite Finanzkrise in einem gewissen Dilemma. Schließlich ist sie angetreten, die von Kurt Beck nur halbherzig betriebene Rückkehr zu wenigstens etwas mehr sozialer Gerechtigkeit – was die teilweise Abkehr von Hartz IV und die Linderung der Folgen der Rente mit 67 für die Betroffenen einschließen sollte – zu beenden und wieder uneingeschränkt zur Agenda-Politik der Schröder und Clement sowie natürlich Müntefering und Steinmeier zurückzukehren. Das aber wird ihr durch die Empörung über die Gier und Unersättlichkeit führender Leute der Wirtschaft, insbesondere des Bankensektors, derzeit erheblich erschwert. Sie müssen einkalkulieren, dass die von ihnen grundsätzlich favorisierte wirtschaftsfreundliche Politik in diesen Tagen nicht sehr populär ist, sondern eher linke Strömungen in der Gesellschaft einschließlich ihrer Partei Auftrieb bekommen, auch wenn sich diese schwer tun, die neuen Möglichkeiten zu nutzen.
Deutlicher Ausdruck der Verunsicherung des neuen SPD-Duos ist die offensichtliche Scheu Münteferings, den Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, für sein destruktives Agieren in der Finanzkrise zu kritisieren. Er konnte in dessen von vielen Seiten scharf gerügten Äußerungen lediglich »jugendlichen Übermut« sehen, womit er weit hinter der Schelte aus der CDU zurückblieb, wobei allerdings kaum anzunehmen ist, dass deren lauten Worten auch Taten folgen. Müntefering jedoch will nicht einmal die für ihn sprichwörtliche »klare Kante« zeigen, sondern »nicht Öl ins Feuer gießen« und daher mit seiner Kritik »Maß halten«. Offensichtlich fürchtet er, der gegenwärtig in Schockstarre verharrende linke Flügel seiner Partei könnte durch allzu harsche Worte zu neuem Leben erweckt werden. Anzeichen dafür gibt es bisher nicht, aber der recycelte SPD-Chef will gar nicht erst etwas anbrennen lassen.
Daß es in der Politik mitunter unberechenbarer zugeht als im „richtigen Leben“, kann man dieser Tage wieder einmal eindrucksvoll erleben.
Da hatten sich bestimmte „Genossen“ nach dem Sturz von Kurt Beck als Parteivorsitzenden mit der Rückkehr von Franz Müntefering an die Spitze der Partei und den mit dem Außenministerbonus versehenen Frank-Walter Steimeier als Kanzlerkandidaten eine „Palastrevolution von oben rechts“ der besonders geschickten Art ausgedacht und nun dies: Statt triumphaler doppelter Krönungsmesse auf dem Sonderparteitag nur eine fast schon sachlich-nüchtern ablaufende Parteiveranstaltung ganz im Schatten der weltweiten Finanzkrise, die allem ahnungslosen Gesundbeten und bewußten Verharmlosen zum Trotz auch Deutschland mit voller Wucht erreicht hat, ohne daß man bereits absehen könnte, wohin die Krise noch führen wird.
Bei einer derartigen Schlappe für das Wirtschaften auf „freien Märkten“ in gut kapitalistischer Manier sollten es in gewisser Hinsicht aber gute Zeiten für eine Partei wie die Sozialdemokratie sein. Freilich müßte man dazu noch linke Positionen vertreten und weniger wirtschaftsfreundlich eingestellt sein, als das heute bei „modernen Sozialdemokraten“ der Fall ist. Wenn man den sozial ungerechten Kapitalismus schon nicht besiegen kann, dann muß man sich halt mit ihm verbünden. Mit dieser „Strategie“ ist man aber auf ganzer Linie gescheitert; nur zugeben will man das nicht.
Man soll zwar nicht „Öl ins Feuer gießen“, aber „klare Kante“ wäre dringend geboten und nicht „Maß halten“ gegenüber den Maßlosen. Nur zu dumm, daß die SPD-Linke nicht vielmehr als ein zahnloser Papiertiger ist. Die Kärrnerarbeit der Aufklärung und Kritik müssen heute andere leisten.