Was Stanislaw Tillich, der heutige sächsische CDU-Ministerpräsident, einstmals politisch in der DDR getan hat, ist ihm nicht vorzuwerfen. Er hat sich nicht anders verhalten als Millionen anderer Ostdeutscher, die in dieses Land hineingeboren wurden und dort ihr Leben gestalten mussten – mit allen Kompromissen, Anpassungen und Zugeständnissen, die dies – ziemlich unabhängig vom jeweiligen politischen System – mit sich bringt. Tillich und mit ihm zahlreiche Mitglieder der DDR-Blockparteien verhielten sich nicht anders als die meisten SED-Genossen, die auch nur daran dachten, dass sie nur ein Leben haben, aus dem sie kaum ausbrechen konnten und aus dem man das Beste machen wollte.
Stanislaw Tillich wäre nicht einmal vorzuwerfen, wenn er – wie mancher späterer Funktionär einer Blockpartei – bewusst in die CDU eingetreten wäre, weil man da bis zu einem gewissen Grad durchaus schneller Karriere machen konnte als in der SED – schon der in einer Blockpartei geringeren Konkurrenz wegen. All das sind normale menschliche Verhaltensweisen, die den einzelnen vielleicht schneller voranbringen, allerdings mitunter auch Schuldgefühle erzeugen, die vielleicht später in Verdrängung münden – vor allem dann, wenn wieder Kompromisse, Anpassungen, Zugeständnisse verlangt werden, um eine neue Karriere machen zu können.
Ginge es im Fall Stanislaw Tillich allein um solch eine DDR-Biografie mit ihren natürlichen Grauzonen und Widersprüchen, könnte man darüber gewiss eine sachliche Diskussion führen und zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte Konstruktives beitragen. Dass der Lebenslaufs Tillichs jetzt jedoch plötzlich derart ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte, liegt weniger an den Ostdeutschen, die derartige Geschichten zur Genüge kennen und sich kein bisschen mehr darüber wundern; es liegt auch nicht nur, wenn auch schon in stärkerem Maße an den überwiegend westlich geprägten Medien, die aus Sensationslust, Ahnungslosigkeit und einer gehörigen Portion Selbstgerechtigkeit immer wieder gern in diesem vermeintlichen Sumpf wühlen.
Es liegt vor allem an der CDU, die von Anfang an die große Mehrheit der von ihr vereinnahmten Blockpartei CDU gewissermaßen ent-DDR-isierte. Der Glanz des kleinen Grüppchens von Bürgerrechtlern und der weitaus größeren Gruppe mehr oder minder prominenter westlicher Zuzügler sollte die Blockparteifreunde derart überstrahlen, dass sie keiner mehr erkennen konnte. Während SED-Mitglieder a priori zu »Spitzbuben«, wenn nicht gar »Spitzelbuben« erklärt wurden und immer noch werden, wie dieser Tage von Angela Merkel, die zwar im Osten keiner Blockpartei beitrat, ansonsten aber auch Kompromisse, Anpassungen und Zugeständnisse nicht scheute, um – was kein Vorwurf ist – ein wenig Karriere zu machen, verschwanden vergleichbare biografische Daten der Ex-CDU- und Bauernpartei-Mitglieder in der Versenkung.
Dort sollten sie auch bleiben, gerade jetzt vor dem anstehenden Jubiläumsjahr 2009, weshalb in einem vielseitigen Parteitags-Antrag zunächst kein Wort über die Ost-CDU stand. Man hatte vor, mit solcher Sprachregelung auf der Linkspartei und auch wenig auf der SPD herumzuprügeln – mit dem hauptsächlichen Ziel, eine Zusammenarbeit beider weiterhin zu verteufeln, stünde die doch möglicherweise dem Weiterregieren der Union im Wege. Diese Absicht war der CDU so wichtig, dass sie darüber das Glashaus vergaß, in dem sie selber sitzt. Daher richtete die gewaltige Steinkanone, die man gegen andere in Stellung brachte, zunächst im eigenen Laden Schaden an. Dass sie abgebaut wird, ist daraus natürlich nicht zu schließen. Doch ohne eigenes Scherbengericht dürfte auch künftiges Toben im Glashaus östlicher CDU-Vergangenheit nicht abgehen.
Kaum zu glauben eigentlich, daß die Ostdeutsche Angela Merkel dieses ungute, aber auch durchsichtige Spiel ihrer Partei mitmacht. Frau Merkel versteht es nach wie vor, sich geschickt anzupassen an die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse. Gelernt ist eben gelernt. Machtinstinkt kann man aber nicht lernen, den hat man oder auch nicht.
In dieser CDU-Glashausbetrachtung fallen mir drei Substantive auf, die – was den Kommentator angeht – auf ein erstaunliches Dilemma hinaus zu laufen scheinen:
Kompromisse, Anpassungen, Zugeständnisse.
Natürlich hat die herrschende politische Klasse dieses Landes in der von ihr (Kinkel) initiierten und zunehmend in Variablen strapazierten DDR-Delegitimierungsmission diese unheilige Dreieinigkeit auf ihre schwarzrotgoldene (von Hammer,Sichel und Ährenkranz befreite) Fahne geschrieben. Sie setzt damit unausgesprochen voraus, dass die damalige und nun aus schwer definierbaren Gründen über den Revolutionsjordan gegangene Republik mit ihrem Anspruch nach einer sinnvollen Alternative zu dem was vorher Deutschland war überhaupt keine Berechtigung gehabt haben kann. Und es demzufolgen – ihrer sinnleeren Logik nach – es auch niemanden in diesem Lande gegeben haben könnte, der sich –
frei von Zugeständnis, Anpassung und Kompromiss –
aktiv nach eigenem Entschluss und vorgegebener Richtung betätigt hat.
Ob und inwieweit CDU -Blockflöte Tillich in diesem Kontext als Kronzeuge verwendbar wäre, bleibt hier vollkommen unerheblich.
Viel wichtiger und damit bedenklicher erscheint mir, dass ein Mann wie der Kommentator – dessen Profil als akzeptabler analytischer Denker und politischer Kopf mir doch einigermaßen bekannt ist – gewollt oder fahrlässig die von mir beanstandeten Termini in diesem Zusammenhang glaubte verwenden zu müssen.
Ich will, in diesem Falle, nicht hoffen, dass er überzeugt ist vom richtigen Gebrauch dieser unheiligen Dreieinigkeit. Dazu in einem Beitrag, der seiner grundsätzlichen Logik nach, mir durchaus schlüssig erscheint.