Vor dem CDU-Parteitag klärte Merkel die Machtverhältnisse in der Union zu ihren Gunsten
(»Neues Deutschland« vom 04. Dezember 2004)Nachdem Angela Merkel das ohnehin nur noch hauchdünne soziale Mäntelchen der CSU zerfetzt hat, kann sie sich beim CDU-Parteitag Anfang kommender Woche in Düsseldorf der Wirtschaft als deren unübertreffliche Interessenvertreterin präsentieren.
Natürlich reicht es den Unternehmensbossen nie. Peter Rauen, Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der CDU, will beim Düsseldorfer Parteitag einen Gegenantrag zum so genannten Gesundheitskompromiss einbringen. Ihm fehlt die »konsequente Abkopplung von den Arbeitskosten«, weil die CSU die Beibehaltung eines 6,5-prozentigen Arbeitgeberbeitrages zur Krankenversicherung durchsetzte. Und er verlangt, dass die CDU bei ihrer im Vorjahr beschlossenen reinen Kopfpauschale bleibt. Dabei könnte Rauen zufrieden sein und ist es eigentlich auch: »Die Gesundheitskosten werden vom Faktor Lohn abgekoppelt, das ist auf jeden Fall der Fall.« Und damit wird der Systemwechsel vollzogen – weg von der solidarischen Versicherung, hin zur Krankenversorgung nach Kassenlage; der des Staates wie des jeweiligen Bürgers.
Dieser Systemwechsel war Angela Merkels unverrückbares Ziel. Sie selbst hat die »Abkehr vom Vorbild des alten Bismarck-Modells« eingeräumt und sie wollte damit einen weiteren Stein aus dem sozialen System der Bundesrepublik brechen, »die Neujustierung der Sozialsysteme« fortsetzen. Nun hat sie auch die CSU auf ihre Linie gebracht.
Die soziale Marktwirtschaft war einst das Erfolgsmodell der Bundesrepublik, die sozialen Sicherungssysteme galten als ihr wesentliches Element. Angela Merkels »neue soziale Marktwirtschaft« zielt vor allem auf deren Abbau. Den hatte allerdings schon Helmut Kohl eingeleitet, damals noch assistiert von Norbert Blüm. Denn 1990 war ein Faktor entfallen, der 40 Jahre lang zum Erhalt dieses Modells zumindest beigetragen hatte – die soziale Alternative DDR. Union und FDP waren es, die Mitte der 90er Jahre die Altersgrenze bei der Rente anhoben, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einschränkten, den Kündigungsschutz reduzierten und die Zuzahlungen für Arzneimittel erhöhten.
Zwar verloren sie auch deshalb die Bundestagswahl 1998, doch hinderte sie das nicht, das Konzept sozialen Kahlschlags intensiv weiterzuverfolgen. Gegen den schnell erlahmenden Widerstand der CDU-Sozialausschüsse wurde der Slogan »Sozial ist, was Arbeit schafft« geboren und damit die immer vehementer erhobene Forderung nach Entlastung der Arbeitgeber begründet. Der Ruf u.a nach »privater Eigenvorsorge« kam auf.
Schon 2000 verlangte Friedrich Merz eine Rentenzahlung erst ab 70 Jahren. Edmund Stoiber verwies zwar nach außen hin auf die besondere soziale Kompetenz seiner CSU, forderte aber im Wahlkampf 2002 die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie eine Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln bei der Arbeitsvermittlung zu fordern – was dann jedoch sein Gegner Gerhard Schröder verwirklichte.
Der endgültige Durchbruch kam nach der erneuten Wahlniederlage vor zwei Jahren. Jetzt schwor Angela Merkel die CDU ganz auf die Unternehmerlinie ein, was durchaus seine Logik hat. Schließlich haben sich die Wirtschaftsbosse gerade in den letzten Jahren als die eigentlichen Herrscher erwiesen und auch einer sozialdemokratisch geführten Regierung ihre Bedingungen diktiert. Der Wirtschaft noch besser zu dienen versprach die CDU-Chefin und ließ als Beleg Roman Herzog ein Kahlschlagprogramm ausarbeiten, das sie selbst als »keine leichte Kost für eine Volkspartei« bezeichnete und das Merz als »Anfang vom Ende der Sozialdemokratisierung der CDU« lobte. Hier tauchten u.a die Kopfpauschale für die Krankenversicherung auf, die drastische Reduzierung des Arbeitslosengeldes und der Anstieg des Rentenalters auf 67 Jahre. Proteste innerhalb der Partei wurden niedergebügelt.
Als Problem blieb allein die CSU, in der einige noch immer das soziale »S« im Parteinamen ernst nehmen wollten. Die Mehrheit der Christsozialen allerdings schon lange nicht mehr, wie ihr jüngster Parteitag zeigte. Nur einige versprengte Sozialpolitiker mit Horst Seehofer an der Spitze kämpften noch für ihre einstigen Prinzipien; sie brachten gerade 11,6 Prozent Ablehnung zusammen. Stoiber schob seinen Stellvertreter eiskalt ins Abseits. Dennoch kam Stoiber zu spät. Angela Merkel hatte die Zeichen der Zeit, die wahren Kräfteverhältnisse eher erkannt. Stoiber stellt für ihre Kanzlerkandidatur wohl kaum mehr eine Gefahr dar.
Ob allerdings sie für den amtierenden Kanzler eine Gefahr ist, bleibt abzuwarten. Denn zwischen zwei Übeln mag sich der Wähler vielleicht doch für das (derzeit noch) kleinere entscheiden.
Und was haben wir seit 2004 von Angela Merkel „gelernt“? – Daß eine „eiserne Lady“ nicht unbedingt mit ihrer Handtasche um sich schlagen muß – wie das einst Margaret Thatcher getan haben soll -, um eine den jeweiligen politischen Gegebenheiten geschmeidig angepaßte wirtschaftsfreundliche Politik durchzusetzen. Mit „Kohls Mädchen“ ist in Machtfragen nicht zu spaßen und Merkel weiß, auf wessen Hilfe sie nicht verzichten kann. Die Politikmacher in der Wirtschaft wissen es ihr zu danken.