Schweriner Exposition erwartet als Garten des 21. Jahrhunderts mit seinen sieben Trabanten bis zum 11. Oktober knapp zwei Millionen Besucher
Wer die Historie bemüht, wird ermitteln, dass es sich bei der diesjährigen Bundesgartenschau (BUGA), die sieben rund um das Mitte des 19. Jahrhunderts erbaute Schweriner Schloss fast durchgängig am Wasser gelegene Trabanten vereint, um ein Jubiläumsevent handelt. Nachdem die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover 1951 im Stadtgarten ein aufblühendes und damit ein in gewisser Weise symptomatisches Kapitel bundesrepublika- nischer Nachkriegsgeschichte eröffnete und im Jahre 1995 im Spreeauenpark von Cottbus die erste Schau dieser Art in den neuen Bundes- ländern als gesamtdeut- sches Spektakel über die Bühne ging, kann die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern mit berechtigtem (statistischem) Stolz die Nr. 30 vermelden. Wer noch genauer recherchiert, stößt auf die erste kommunale Veranstaltung, die 1901 von Mainz als Allgemeine Deutsche Gartenbauausstellung ausgerichtet wurde, der dann 1914 Altona mit der Deutschen Gartenbauausstellung folgte.
Wer nun aber dem blühenden Phänomen gestalteter und regional begrenzter Landschaftskultur auf den tiefsten Grund zu gehen sich die Mühe macht, wird ermitteln, dass gärtnerische Ausstellungen eine jahrhundertealte Tradition haben, meist als kurzfristige Öffnung privater Gärten. Der Name Hermann (Ludwig Heinrich) Fürst von Pückler-Muskau (1785-1871) kann hier nicht verschwiegen werden. Von ihm ist das Zitat überliefert »Wer mich kennen lernen will, muss meinen Garten kennen, denn mein Garten ist mein Herz«. Werfen wir also einen Blick ins Herz des als deutscher Dandy, Verfasser feuriger Liebesbriefe, erfolgreicher Schriftsteller und »Erdbeweger« in die Geschichte eingegangenen Planers, Träumers, Schwärmers und aristokratischen Parkomanen.
Pückler noch bei Verstand?
Während einer Reise wird Pückler vom englischen Landschaftspark mit seiner unauffällig gebändigten Natur dermaßen inspiriert, dass er im Frühjahr 1817 auf dem Familiensitz in der Lausitz 800.000 Bäume und 42.000 Sträucher pflanzen liess. Wiesen werden entwässert, die Neiße umgeleitet und ein ganzes Dorf umgesiedelt. Die Muskauer Bürger fragen sich, ob »es mit meinem Verstande noch seine Richtigkeit habe«. Es hatte seine Richtigkeit. Woran es allerdings mangelte, war Geld. Dabei hatte der Dandy doch extra zwecks Umsetzung seiner Pläne eine geschiedene und noch dazu ältere, dafür aber vermögende Dame geehelicht. Jedoch reicht selbst das Vermögen der Reichsgräfin von Pappenheim nicht aus, der Park bringt Pückler an den Rand des Ruins.
Lassen wir es an dieser Stelle genug des Blicks zurück auf diese ebenso exotische wie widersprüchliche Person der Landschafts-Zeitgeschichte. Soviel steht freilich fest: Der von ihm »inszenierte«, heute 830 Hektar große Muskauer Park an der Neiße nahe bei Görlitz hat als völkerverbindende Seelenlandschaft nicht nur für die Wiederannäherung der Deutschen und Polen, sondern als UNESCO-Weltkulturerbe eine universelle, in die Zukunft weisende Bedeutung.
In eine über den 11. Oktober hinausgehende Zukunft weisen soll auch die Schweriner am 23. April eröffnete 30. BUGA. Sie wurde mit einem Budget von rund 75 Millionen Euro auf einer Gesamtfläche von 550.000 qm (Ausstellungsfläche 40.000 qm) eingerichtet. Und sie stelle insofern etwas Besonderes im ohnehin besonders attraktiven BUGA-Image dar, so Pressechef Gert Steinhagen, »als sie wegen dreier Merkmale aus der über 50jährigen Geschichte der Bundesgartenschauen herausgehoben wird:
+ im Mittelpunkt steht die historische Entwicklung der Gartenbaukunst des 18. Jahrhunderts bis heute,
+ sie kann als kompakt im Wortsinn gelten, denn alle Areale sind als die Sieben Gärten Mittendrin rund um das Schweriner Schloss in unmittelbarer Nachbarschaft der Altstadt angesiedelt,
+ die Region liegt komplett am Wasser und hat – unter Einbezug der extra gebauten Fußgängerbrücke – wenn auch in unterschiedlicher Dimension, ein unverkennbar maritimes Flair.«
Planer und Macher zuversichtlich
Alles in allem wurden Formen vom italienischen Renaissancegarten, barocke Gartengestaltung und der englische Landschaftsgarten einbezogen. Ansehenswert sind die scheinbar über dem Wasser schwebende »Schwimmende Wiese«, der »Spaziergang auf dem Wasser« und die Hallenschauen im Küchengarten. Die »Sieben Gärten Mittendrin«
(Garten des 21. Jahrhunderts, Schlossgarten, Burggarten, Küchengarten, Ufergarten, Naturgarten, Garten am Marstall) muten wie eine Perlenkette an, die das Grossherzogliche Residenzschloss umschließt. Fürst Pückler, der neben Peter Joseph Lennè und Friedrich Ludwig von Sckell einer der bedeutendsten deutschen Gartengestalter des 19.Jahrhunderts war, würde wohl mit einiger Genugtuung auf diese Perlenkette blicken. Aber er würde sicherlich auch mit kritisch-prüfendem Blick darüber nachsinnen, ob und wenn ja in welcher Form Aufwand und Nutzen sich hier in Schwerin die Waage halten, eingedenk des Ruins, an dessen Rande er selbst gestanden hat.
Die Planer und Macher, von denen nicht bekannt ist, dass sie – vergleichbar Fürst von Pückler-Muskau – zur Gilde der »extravaganten Lebenskünstler« zählen, hoffentlich eher der Garde »epochaler Landschaftsgärtner« zuzurechnen sein sollten, sind von einem diesbezüglichen Gleichgewicht überzeugt. Zumal die Gartenschau verkehrsgünstig gelegen, preisverträglich, weitgehend barrierefrei und behindertenorientiert ist sowie mit rund zwei Dutzend Sonderschauen aufwarten kann. Ganz nebenbei wurde das Schloss renoviert, über 50 BUGA- und Stadtführer neu ausgebildet. Rekonstruiert oder neu errichtet sind Straßen und Häuser, auch Hotels und Pensionen.
Knapp die Hälfte des Auftragsvolumens ging an Firmen aus Schwerin und den angrenzenden Landkreisen. Auch zur Nachnutzung neugebauter Objekten und Anlagen, einer der Knackpunkte bisheriger Präsentationen, existieren bereits – hoffentlich belastbare – Konzepte. Darüber hinaus gibt es zwischen Zarrentin und Ueckermünde insgesamt 32 BUGA-Außenprojekte. Dabei geht es mit der Nutzung alternativer Energien, mit Schlössertouren, Sport und Freizeit-Park oder einem Schaugarten auf der Insel Poel um den Ausbau von regionaler Infrastruktur. Für ein strukturschwaches Land wie Mecklenburg-Vorpommern von einigem Gewinn. Davon ausgehend erwartet das Hotel- und Gaststättengewerbe, dass die Besucher zwischen April und Oktober rund 50 Millionen Euro ausgeben werden.
Gewichtige Fakten, denen umso mehr Bedeutung zukommt, als die in aller Welt und also auch in Schwerin und Umgebung grassierende »Große Krise« noch nicht beendet ist, wenn der Blumen- und Früchtegarten schon lange seine Pforten geschlossen haben wird. Inwieweit für die Veranstalter schlussendlich dann auch die finanzielle Rechnung aufgegangen ist, steht erst fest, wenn die letzten BUGA-Messen gesungen sind. Der Schweriner Vorläufer, die Doppel-Show Ronneburg/Gera 2007 endete bekanntlich mit einem Minus von 2,9 Millionen Euro. Einer der Knackpunkte für Schwerin wird die Anzahl der Besucher sein. Gerechnet wird mit mindestens 1,8 Millionen. Eine Zahl, die es in sich hat. Wenn sie am Ende in den Büchern steht, können alle aufatmen, die am Gelingen eines Events Anteil hatten, dass in seiner strategischen Bedeutung zukunftsweisend ist. Die nächste Bundesgartenschau wird am 15. April 2011 in Koblenz (Rheinland-Pfalz) eröffnet…
Mit Kunst und Kultur in weitesten Sinne sich ausgiebiger zu beschäftigen, bleibt dem Normalbürger nicht nur in wirtschaftlichen Krisenzeiten eher verwehrt. Die kapitalistische Gesellschaft ist eben nur für wenige eine Art irdisches Paradies oder sollte man sagen „Eldorado“?
Merkwürdigerweise könnte man das ökonomische Problem der Knappheit eigentlich als gelöst bezeichnen, wenn man die enorme Leistungsfähigkeit der heutigen Wirtschaft in der „Überflußgesellschaft“ als Maßstab nimmt.
Eine Vision davon, wie das Leben nach dem Kapitalismus aussehen könnte, bietet in gewisser Weise auch eine Bundesgartenschau. Zu viel wirklichkeitsfremde Träumerei und unrealistische Utopie? Bereits 1930 beschäftigte sich John Maynard Keynes mit der nachkapitalistischen Welt des Überflusses, und das inmitten der Großen Depression! In 2009 und damit am Beginn der vielleicht Zweiten Großen Depression wird ein solches Träumen erlaubt sein. Man darf nur nicht hoffen, verstanden zu werden.
http://mitpress.mit.edu/catalog/item/default.asp?ttype=2&tid=11658
Revisiting Keynes – The MIT Press