Der »feine« Franz Josef Jung rettet Merkel das Amt – wie vor neun Jahren Roland Koch

Man kennt das aus der Welt der Ganoven. Wenn es brenzlich wird und der Boss keinen Schaden nehmen will, sagt er schon mal: Tut, was zu tun ist, aber mich lasst außen vor. Ich habe von nichts gewusst. So ähnlich muss es wohl vor einigen Wochen im von Franz Josef Jung geführten Bundesverteidigungsministerium gewesen sein. Als der Minister von den heißen Berichten über den Bombenangriff auf zwei Tanklastzüge in Afghanistan zu hören bekam, bei dem auch zahlreiche Zivilisten starben, wollte er davon nichts wissen. Er las sie – nach eigener Auskunft – nicht, sondern ließ sie zur NATO in Brüssel weiterleiten. Vielleicht las er sie aber doch, ahnte, was ihre Bekanntgabe auslösen konnte und entschied sich für die ihm sehr vertraute Methode: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Noch bei seine Rücktritt erklärte er treuherzig: »Ich habe sowohl die Öffentlichkeit als auch das Parlament über meinen Kenntnisstand korrekt unterrichtet.«

Dass der Auftritt Jungs einen beträchtlichen Wiederkennungswert hatte, liegt an einem nun schon neuen Jahre zurückfliegenden Vorgang, bei dem Jung auch versuchte, sich durch gespielte Unkenntnis aus der Affäre zu ziehen. Aufschluss darüber gibt folgender Bericht aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zum CDU-Spendenskandal, der am 12. Mai 2000 in der Zeitung »Neues Deutschland« erschien.

Lehrstunde über »hessische Verhältnisse«

Während Minister Jung absolut nichts weiß, plaudert Ex-Buchhalter Reischmann fröhlich aus der Schule
Noch rechtzeitig vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl beschäftigte sich der Bundestagsausschuss zum CDU-Spendenskandal gestern mit dessen hessischer Variante. Doch viel Wahlkampfmunition war daraus nicht mehr zu ziehen.

Franz-Josef Jung, seit Jahr und Tag mit aufsteigender Tendenz im Dienste der hessischen CDU und derzeit als Chef der Staatskanzlei ein besonders enger Vertrauter des Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Roland Koch, wusste gleichwohl von nichts. Für ihn hatte das Leben eigentlich erst am 14. Januar 2000 begonnen – mit jener Pressekonferenz, auf der – für ihn völlig überraschend – sein Landeschef den Skandal enthüllte. Zwar war er am Abend zuvor, wie er vor dem Ausschuss anschaulich schilderte, von einem »Spie-gel«-Journalisten »geradezu überfallartig« über Ungereimtheiten mit den hessischen Vermächtnissen, Darlehen und Konten konfrontiert worden, aber als er daraufhin Koch informierte, verwies der ihn nur an Kanther. Jung selbst sah keinerlei Anlass, zum Wahrheitsgehalt der Neuigkeiten nachzufragen.

Wie er überhaupt wenig neugierig zu sein scheint. Denn auch über alle anderen Vorgänge des Finanzwesens der hessischen CDU wusste er nach eigenem Bekunden nichts. So hatte er nur Kenntnis von einem Vermächtnis und hielt es für glaubwürdig, hatte einmal zwar mit Koch auch über die anderen angeblichen Erbschaften gesprochen, aber letztlich doch keine Bedenken gehabt. Er kannte zwar Weihrauch, aber nur als seriösen Wirtschaftsprüfer. Nicht einmal über die Skandalaufklärung wusste er so richtig Bescheid, hatte sie doch Koch und sein inzwischen im Affärenstrudel untergegangener Generalsekretär Müller betrieben.

Irgendwann entfuhr dem SPD-Abgeordneten Peter Danckert, dass er über so viel Naivität fassungslos sei: »Das sollen wir Ihnen alles glauben? Für wie bescheuert halten Sie uns eigentlich?«

Doch Jung blieb eisern bei seiner Linie, nur solche Antworten zu präsentieren, die er sich vorher sorgfältig zurechtgelegt hatte und zu allen anderen Fragen Nichtwissen zu bekunden. Auf diese Weise hat er bisher auch die Krise in Wiesbaden überstanden, bei der er mehrfach in Erklärungsbedarf über Umfang und Zeitpunkt seines Wissens über den hessischen Finanzskandal geriet, sich aber stets aus der Affäre ziehen konnte.

Dafür, wie man trickreich alle Klippen umschifft, hat die Landes-CDU offensichtlich ihre eigenen Methoden entwickelt – wie sich am Nachmittag bei der Vernehmung des früheren Finanzbuchhalters und stellvertretenden Landesgeschäftsführers Franz-Josef Reischmann zeigte. Er war 1992 nach zwölfjähriger Tätigkeit für den CDU-Landesverband entlassen worden, weil er – wie Jung aussagte – an Barschecks manipuliert hatte, indem er vor die darauf verzeichnete Summe noch eine l setzte. Jung und Weyrauch hätten ihn zur Rede gestellt, er habe geweint und bereut und ein Schuldanerkenntnis über eine Millionen Mark unterzeichnet, obwohl sich später herausstellte, dass die veruntreute Summe mehr als doppelt so hoch war. Daraufhin habe die CDU, so Jung, auf Strafverfolgung verzichtet.

Gegenüber Parteifreunden galt offensichtlich Kanthers »Null-Toleranz gegen Kriminelle« nicht. Ganz besonders nicht gegen solche Parteifreunde wie Reischmann, die mit allen Wassern gewaschen sind. Der schilderte offenherzig die innerparteiliche Geldbeschaffung und -Verwendung, die demnach nicht selten am Rande der Legalität erfolgte. Woher das Geld kam, das er verwendete, habe ihn nie interessiert; Hauptsache es war da. So hatte auch nichts dabei gefunden, als er 1983 zufällig auf ein Schweizer Konto mit 8,3 Millionen Mark stieß. Damals seien gerade neue Regelungen zum Parteiengesetz im Gespräch gewesen, nach dem bestimmte Einnahmen, die vorher keinen interessierten, an den Staat hätten abgeführt werden müssen. »Da hätte ich es genauso gemacht und das Geld in Sicherheit gebracht.«

Reischmann ist noch heute ein typischer Vertreter der »hessischen Verhältnisse«. »Ich bin ein Gejagter«, klagt er, »muss durch den Garten schleichen, wenn ich mir ein Wasser holen will.« Keinen Schritt könne er ohne Pressebegleitung tun, schon sei ihm gedroht worden, man könne auch anders, wenn er nicht rede. Für Aussagen sei ihm Geld geboten worden.

Hier wurden erstmals auch CDU und CSU munter, die zuvor bei Jung auf ihr Fragerecht verzichtet hatten. »Geldangebote, wenn Sie die CDU belasten?« fragte CSU-Vertreter Hans-Peter Friedrich listig. »Von wem?« »Das Höchstgebot kam von >Focus<«, verkündete Reischmann, »eine Eins mit fünf Nullen«. Der Gejagte und Gepeinigte lebt jetzt als »Privatier« in Erfurt, nach eigenem Bekunden »vom Geld von Freunden und Bekannten«. Sie stellten ihm immerhin einen Mercedes zur Verfügung. Ausschweifenden Lebenswandel früherer Jahre mit großzügigem Haus und Reiterhof erklärt er mit einem Lottogewinn in den 80er Jahren, der ihm fl,6 Millionen eingebracht habe.

Reischmann sagte zwar zur Sache wenig aus, demonstrierte aber, mit welcher Bedenkenlosigkeit man unterm Parteiregiment von Ex-Bundesinnenminister Manfred Kanther vorging. Hatte schon Jung nach Einschätzung des Grünen Hans-Christian Ströbele »Einblick in das konspirative Finanzsystem der hessischen CDU gegeben«, so deckte Reischmann jene Mentalität auf, die zwangsläufig zu gesetzwidrigem Handeln führen musste. Was ein Reischmann hemdsärmelig betrieb, tun Jung und Koch inzwischen in Nadelstreifen. Heute werden er und Kanther vorm Ausschuss gehört.

Vier Monate später war es mit Jungs Karriere erst einmal vorbei. Zu nah waren inzwischen die Einschläge des Spendenskandals bei Ministerpräsident Roland Koch. Er brauchte einen Sündenbock, und Jung bot sich dafür an – gerade wegen der eigenen Verstrickung in die Affäre. Die Parallelen zur heutigen Situation sind frappierend. »Ich habe mir in der gesamten Finanzaffäre der hessischen CDU nichts zu Schulden kommen lassen«, sagte Jung im September 2000. Und man fragt sich, wer es diesmal ist, für den (oder die?) Jung seinen Hut nehmen musste? Was man Jung vorwirft, nämlich sich über das Bombardement von Kundus nicht genügend informiert zu haben, gilt vielleicht auch für Angela Merkel selbst. Sie hat sich dazu – wie es bei brisanten Fragen oft ihre Art ist – überhaupt nicht geäußert, damit aber auch den offensichtlich falschen Erklärungen ihres Verteidigungsministers nicht widersprochen. Statt dessen verabschiedete sie Jung jetzt als »geradlinigen Kollegen« und »feinen Menschen«. Koch hatte den damaligen Chef seiner Staatskanzlei einst einen »ehrlichen Kerl« genannt. Meinten beide damit seine Bereitschaft, »eine gewisse Rolle zu spielen«, wie Jung in seinen besseren Zeiten einmal seine Funktion im System Koch umschrieben hatte?

Dass mit dem Abgang Jungs die Kundus-Affäre nicht ausgestanden sein könnte, zeigt, dass nun die Fragen an dessen Nachfolger Karl Theodor zu Guttenberg drängender werden. Er bildet wohl den letzten Verteidigungsring vor der Bundeskanzlerin. Vielleicht genügt das Bauernopfer Jung noch nicht, vielleicht muss auch noch ein Turm dran glauben, um die Dame zu retten.

2 Replies to “Der »feine« Franz Josef Jung rettet Merkel das Amt – wie vor neun Jahren Roland Koch”

  1. Hallo,

    guter Artikel. Nun warte ich auf eine Fortsetzung. Die neuesten erkenntnisse sagen ja, dass die Bundeswehr ihre kompetenzen dadurch überschritten hat, dass es nicht primär um die Abwehr der rollenden Tanklastzüge ging, die bekanntlich feststeckten, sondern um die Vernichtung von Taliban. Was sagt die Dame zu dieser aktiven Kriegshandlung und wann fällt der Turm?

    Herzliche Gruße
    Cedrick

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