Eigentlich ist es Jacke wie Hose, wer von den beiden Kandidaten der so genannten etablierten Parteien am Mittwoch zum Bundespräsidenten gewählt wird. Beide sind von der gleichen politischen Couleur, was Joachim Gauck auch ausdrücklich betont. Und mehr noch: Er hätte eher das Angebot der Präsidentschaftskandidatur von CDU/CSU und FDP erwartet; von dort erhofft er sich angeblich auch die zum Sieg über den Parteisoldaten Christian Wulff erforderlichen Stimmen.
Natürlich weiß Gauck ganz genau, dass er gegen Wulff keine Chance hat. Als Kandidat der Oppositionsparteien SPD und Grüne wird er schon aus machtpolitischen Erwägungen der regierenden Koalitionäre nur eine Auszählung der Stimmen in der Bundesversammlung erleben; er dient seinen Erfindern und politischen Sponsoren vor allem dazu, ihre Zugehörigkeit zum bürgerlichen Lager zu unterstreichen und doch zugleich die aus dem gleichen Dunstkreis kommende schwarz-gelbe Regierung ordentlich zu ärgern. Und Gauck selbst konnte noch einmal seine universale Verwendungsfähigkeit im bürgerlichen Machtsystem beweisen, demonstrieren, wie anpassungsfähig er auf Situationen nzu reagieren versteht, die vor allem ihm selbst persönlichen Nutzen versprechen. Dabei nimmt er sogar billigend in Kauf, dass die von ihm durchaus begrüßte schwarz-gelbe Regierung öffentlich als zahnloser Papiertiger dargestellt werden kann – auch wenn die hochschießenden Spekulationen über eine Gefährdung der Merkel-Regierung natürlich lächerlich sind. Mit zwei Kandidaten, zwischen die programmatisch kein Blatt Papier passt, kann die Kanzlerin leben; gefährdet wäre sie nur dann gewesen, hätten sich SPD und Grüne der wirklich alternativen Kandidatin Luc Jochimsen zugewandt.
Es geht bei der vor allem medialen Gauckmania wohl – anders als der Kandidat gern darstellen will – in erster Linie darum, der Regierung auf einem nebensächlichen Kampffeld die »rote Karte« zu zeigen; sie ist insofern nur ein weiterer Ausdruck der Verdrossenheit des Volkes über die amtierende Koalition, für die ihr jeder Denkzettel recht ist – auch einer mit Namen Gauck.
Tatsächlich jedoch wäre von einem Bundespräsidenten Gauck ebenso wenig wie von Christian Wulff eine von der derzeitigen Regierungspolitik abweichende Position zu erwarten. Gauck hat noch immer gewusst – was ihm nicht vorzuwerfen ist, wie man sich unter wechselnden Verhältnissen arrangieren kann und muss. Aufschlussreich war in diesem Zusammenhang eine Biografie, die bereits vor zehn Jahren der Journalist Norbert Robers über ihn schrieb und die – bei aller sonstigen Beflissenheit – diesen Charakterzug seiner Protagonisten nicht auszublenden vermochte. Darauf machte eine Rezension des Buches aufmerksam, die 29. September 2000 in der Zeitung »Neues Deutschland« erschien.
Ein Leben hinter der Larve
Joachim Gauck ließ sich eine Biografie fertigen – und ist nicht damit zufrieden
Von Peter RichterHeute wird der Bundestag mit Marianne Birthler eine neue »Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR« wählen. Derweil kämpft der scheidende Amtsverwalter Joachim Gauck um ein makelloses Selbstbild für die Nachwelt.
Oft sind es beinahe nebensächliche Details, die am ehesten ein Schlaglicht auf einen Menschen werfen. In seinem Buch »Joachim Gauck. Die Biografie einer Institution« schildert der »Welt«-Journalist Norbert Robers den Auftritt seines Protagonisten in der Berliner Humboldt-Universität, wo er die »Enttarnung« des Rektors Heinrich Fink als IM verkündete: »Er trat ans Podium mit der Bemerkung: >Gelassen und mit Freude erwarte ich die Proteste einer PDS-gesteuerten Universitätsöffentlichkeit.< Er ballte die Hand zur Faust, um seine Entschlossenheit zu zeigen.« Die Szene verrät zweierlei: Zum einen Gaucks militanten Antikommunismus, zu dem er sich immer wieder bekennt. Und zum anderen seine Selbstgerechtigkeit, die totale Überzeugung von sich und seiner Mission.
Seine antikommunistische Haltung begründet Joachim Gauck mit dem Schicksal seines Vaters, der 1951 unter falschen Beschuldigungen in die Sowjetunion gebracht wurde, wo er fast drei Jahre in einem Gefangenenlager arbeiten musste. Folglich waren für ihn die Russen »unerwünschte Eroberer« und Adenauer, der die Rückkehr der Gefangenen ausgehandelt hatte, »unser Held«. Auch in der Schule empfand der junge Gauck Pein – so sehr, »dass er eine bayerische Bekenntnisschule des vorigen Jahrhunderts als einen Hort der Liberalität feiern würde«. Die Ablehnung der DDR und ihres Systems hinderte Joachim Gauck indes nicht, in ihrer Gesellschaft seinen Platz zu finden – und ihn zu verteidigen. »Ich war nie ein Fundamental-Oppositioneller, aber nicht weil es an Mut mangelte, sondern weil ich es für taktisch unklug hielt«, gesteht er ein. So verwundert es nicht, dass er weder als Landpfarrer im mecklenburgischen Lüssow ab 1967 und lange auch später nicht in Rostock-Evershagen, wo er in einem Neubaugebiet eine evangelische Gemeinde aufbaute, ins Visier der Staatssicherheit geriet. 1983 wurde schließlich der operative Vorgang (0V) »Larve« angelegt, der bis Ende 1988 auf fast 200 Seiten anwuchs, ehe er geschlossen und archiviert wurde. Damals urteilte das MfS. »dass von ihm derzeit keine Aktivitäten ausgehen, die eine weitere Bearbeitung im 0V erforderlich machen«, Sein Führungsoffizier empfahl gar, einen IM-Vorlauf anzulegen, Gauck hatte sich besonders bei der Vorbereitung des Rostocker Kirchentages außerordentlich kooperativ gezeigt und erklärte sich auch zu weiteren Gesprächen mit dem MfS bereit. Sein Biograf jedoch traut – anders als Gauck gewöhnlich – den Akten nicht recht und bewertet diese Aussagen als »eine Mischung aus Wunschdenken und politisch motivierter Verleumdung«.
Heute will der Aktenverwalter seine damals realistische und ihm nicht vorwerfbare Haltung nicht mehr wahrhaben. Er wollte unter den obwaltenden Verhältnissen etwas bewirken, wollte seine Aufgabe als Kirchenmann erfüllen – und musste dazu Kompromisse machen. Nicht anders etwa als Manfred Stolpe, wenngleich auf wesentlich niedrigerem Niveau. Doch während er Stolpes MfS-Kontakte als Kollaboration mit dem Geheimdienst anprangerte, sieht er sich selbst »in erbitterte Kämpfe mit der Stasi verwickelt«. Jene Zivilcourage, die er bei anderen zu Recht lobt, ging ihm – jedenfalls in der rigorosen Konsequenz totaler Verweigerung, die er offenbar allein gelten lässt – ab. Er verhielt sich normal und durchaus vernünftig – wie viele andere, denen er das heute vorwirft, weil er besser sein, sich über sie erheben will.
Aus diesem Grunde auch führt er einen erbitterten Kampf gegen all jene, die seine Rolle in der DDR anders darstellen. Schon auf der zweiten Seite der Einleitung – die erste zählt seine Medaillen und Auszeichnungen auf – geht Robers auf Gaucks Stasiakte ein, auf seine juristischen Auseinandersetzungen mit Peter-Michael Diestel, Er konzentriert sich dabei auf jene Teile, die ihn als »Systemkritiker und Opfer von Verfolgung« darstellen, während all das. was über »Begünstigungen« seitens des MfS, wie es Diestel nennt (siehe auch ND vom 25.September 2000), aufgezeichnet ist, weitgehend ausgeblendet wird. Aber auch sein Biograf kann nicht verschweigen, dass Gauck ausgerechnet in den Jahren 1988 und 1989 »seinen Widerstand gegen den Staat dem kirchlichen Amt untergeordnet hatte«.
Erst am 4. November 1989 sah er »die Zeit für reif an, auch außerhalb der Kirche politisch aktiv zu werden« – nun aber mit aller Macht. Vieles gab er auf, seine Familie, menschliche Bindungen, um sich ganz und gar als »politischer Missionar« zu betätigen. Mit einem Rigorismus, der in erstaunlichem Widerspruch zu seiner Kompromissbereitschaft in der DDR stand, ging er schließlich an die Auswertung der Stasi-Hinterlassenschaft. Er vertrat die Öffnung der Akten, allerdings in streng rechtsstaatlichen Grenzen, was das Scheitern bedeutet hätte. »Es handelt sich um einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, nicht um die umgekehrte Veranstaltung. Ihr seid herzlich willkommen. Aber hier findet nicht die Vereinigung zweier gleicher Staaten statt«, hatte Wolfgang Schäuble höhnisch den DDR-Unterhändlern entgegengehalten. Und folglich fehlte die Aktenöffnung im Einigungsvertrag. Erst ein durch Gauck abgelehnter Hungerstreik der von ihm herzlich verachteten Bürgerrechtler zwang die Bundesregierung zu Einlenken und sicherte – Ironie der Geschichte – Joachim Gauck für zehn Jahre sein hoch dotiertes Amt.
Obwohl sich Gaucks Biograf bemüht, dessen Weg »vom Aktenverwalter zur moralischen Instanz« in bestem Gefälligkeitsjournalismus zu zeichnen, sind dem Auftraggeber einige unpassende Fakten und vorsichtig distanzierende Anmerkungen schon zu viel. Eine »schöne« Larve will er zeigen, nicht sein wahres Gesicht. Ob es da die ursprünglich geplante »einzig autorisierte« Biografie sein wird, die in diesen Tagen auf den Markt kommt?
Norbert Robcrs: Joachim Gauck. Die Biografie einer Institution, Henschel Verlag Berlin. 240 Seiten, 38 DM.
Eine gewisse Zeit hat Joachim Gauck gebraucht, aber im letzten Winter war dann tatsächlich seine Autobiografie im Handel, in der er die eigene Sicht der Dinge ohne störende Details darstellen konnte. Dass sie rechtzeitig vor seiner Präsidentschaftskandidatur erschien, war Zufall, aber diese Fügung passt recht gut zu einem Gauck und seinem Gespür, jederzeit zu wissen, was persönlich gerade opportun ist.
Ob von dem einen oder anderen der profillose Parteikarrierist Wulff in seiner Gefährlichkeit für das höchste Amt im Staat nicht unterschätzt wird? Denn ob der vielleicht zwar zu Selbstherrlichkeit neigende Gauck das Bundespräsidialamt aber zu einer bloßen Außenstelle der „neoliberalen Volksumerziehung“ machen lassen würde, wie Wulff das dienstbeflissen seinen Freunden in der Wirtschaft zuliebe vorhat, bleibt zumindest offen.