Vermutlich sitzen die meisten Terroristen am Schreibtisch und denken sich neue Anschlagsszenarien aus – je phantasievoller und unwahrscheinlicher, desto besser. Die müssen dann nur noch in die Öffentlichkeit lanciert werden, aber das ist das kleinste Problem, denn es gibt ja die Medien, die nicht nur nach immer dramatischeren Stories gieren, sondern auch noch den Ehrgeiz haben, sie als erste unter die Leute zu bringen. Und das klappt immer besser und zwingt am Ende sogar in dieser Sache eigentlich besonnene Politiker wie den Bundesinnenminister oder den Berliner Innensenator dazu, in dieses Spiel selbst einzusteigen.
So ließ sich Ehrhard Körting dazu verleiten, uns alle zur Denunziation auszurufen: »Wenn wir in der Nachbarschaft irgendetwas wahrnehmen, dass da plötzlich drei etwas seltsam aussehende Menschen eingezogen sind, die sich nie blicken lassen oder ähnlich, und die nur Arabisch oder eine Fremdsprache sprechen, die wir nicht verstehen, dann sollte man glaube ich schon mal gucken, dass man die Behörden unterrichtet, was da los ist.« Was er dann zwar bedauerte, aber die Medien hatten ihre Schlagzeilen. Und musste auch Thomas de Maizière seine Zurückhaltung aufgeben und ins Terror-Horn blasen – und das nicht nur verbal. Auf die Meldung des »Spiegel«, der Reichstag sei im Visier von Terroristen, ließ er nicht nur martialisch wirkende Sperrgitter aufstellen, sondern auch noch das Gebäude weitgehend für den Besucherverkehr sperren.
Geholfen hat das wenig, denn nun übertrafen sich die Medien erst recht mit der phantasievollen Schilderung denkbarer Anschläge, wobei die so genannten Qualitätsmedien sich vom Boulevard die Butter nicht vom Brot nehmen lassen wollten. In der ARD-Tagesschau hatte der Innenminister gerade noch davor gewarnt, »das Geschäft der Terroristen« zu betreiben, da erklärte ein so genannter Terrorexperte auch schon, es sei doch »viel billiger und einfacher«, sich »ein paar Waffen zu besorgen, in ein Hotel zu rennen und Geiseln zu nehmen«. Und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung adelt die Al Kaida zugeschriebene Internet-Publikation »Inspire« nicht nur als »Hochglanz-Broschüre«, sondern opfert ihr zwei Dutzend ihrer wertvollen Zeilen, um detailliert zu schildern, wie man mit einem umgebauten Pick-Up-Geländewagen möglichst viele Menschen umbringen kann. Auch andere stürzen sich eifrig auf die auf die bisher kaum zur Kenntnis genommene Website, um ihre Inhalte zu verbreiten – wie ein Megaphon, das dünne Stimmchen zu Donnergrollen werden lässt.
Dort fand sich auch die genüsslich kommentierte Kostenanalyse des geplanten Paketbomben- Transports aus dem Jemen nach Chicago: 3000 Euro. Dem stünden seitens des Westens »Milliardenausgaben für neue Sicherheitsmaßnahmen« gegenüber, was angesichts der von den Medien angestachelten Hysterie durchaus glaubwürdig ist. Eine neue Variante des »Totrüstens«, die allerdings nur mit tatkräftiger Unterstützung sensationsgieriger Medien funktioniert. Und paradoxerweise eher beruhigend klingt. Denn wenn es so einfach ist, das westliche System allein mit kleinen Aktionen und großen Worten so nachhaltig in Bedrängnis zu bringen, braucht es den hochriskanten und nur noch graduell wirksameren wirklichen Terrorschlag vielleicht gar nicht?
Man kann sich angesichts der momentanen Terrorhysterie in deutschen Landen (aber auch anderswo) nur verwundert die Augen reiben. Wenn man jedoch bedenkt, daß die neoliberale Reformpolitik nicht nur „gemeingefährlich unsozial“, sondern dazu noch „todlangweilig“ ist, wird vielleicht einiges klarer 😉