(pri) Die mediale Begleitung des Unwillens der Bundesregierung, ein nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidriges Gesetz zweifelsfrei verfassungskonform zu machen, ist von einem seltsamen Opportunismus geprägt. Etwa nach dem Motto: Hauptsache, sie einigen sich – ganz egal, worüber. Das werden Schuld und Versagen sorgfältig auf beide Seiten verteilt – in der unverkennbaren Absicht, keinem weh zu tun. Ein Ausdruck von Harmoniebedürfnis, das gewöhnlich nur weitgehend gleichgeschalteten Medien unterkommt. Und das sich die Krokodilstränen darüber nicht spart, dass die Hartz-IV-Empfänger »nichts bekommen«.
Was erstens nicht stimmt, denn Karlsruhe hat in weiser Voraussicht des Schattenboxens verfügt, dass der neue Regelsatz auf jeden Fall ab 1.1.2011 zu zahlen, gegebenenfalls nachzuzahlen ist. Und was zweitens bei fünf Euro monatlich und einem ziemlich undurchschaubaren »Bildungspaket« kaum einen Hartz-IV-Empfänger vom Stuhl reißt.
Die Strategie der schwarz-gelben Bundesregierung war von Anfang an klar. Sie, die ausdrücklich angetreten ist, Politik für die Besserverdienenden zu machen, sieht in finanziellen Zuwendungen für Hilfebedürftige keinerlei Sinn. Anders ist nicht zu erklären, dass sie auf die fundierte Kritik der Verfassungsrichter nur mit kosmetischen Korrekturen antwortete und nie ihre Entschlossenheit verbarg, dieses Konzept auf Biegen und Brechen durchzusetzen.
In der Sache waren und sind SPD und Grüne davon nicht allzu weit entfernt. Sie waren es schließlich, die die verfassungswidrigen Hartz-IV-Beschlüsse einst erfanden und – mit wohlwollender, die Details noch verschärfender Unterstützung der Union – zum Gesetz machten. Nun jedoch in der Opposition, mussten sie natürlich ein wenig die Dagegen-Attitüde hervorkehren, wobei nicht ausgeschlossen werden soll, dass manchem Sozialdemokrat und Grünen durchaus daran gelegen ist, den selbst ruinierten Ruf wieder etwas aufzubessern – und das umso mehr, als gerade in dieser Frage die Linkspartei mit ihren viel weiter gehenden Forderungen den beiden Ex-Regierungsparteien kräftig im Nacken sitzt.
Daher waren SPD und Grüne nicht bereit, einem vorgeblichen Kompromissangebot der Koalition zuzustimmen, das sie nicht wenigstens ein bisschen das Gesicht wahren lässt, obwohl sie der Regierung schon mit raumgreifenden Schritten entgegenkamen – bis fast zur Unkenntlichkeit der eigenen ursprünglichen Forderungen, der Jamaika-Grüne Hubert Ulrich sogar bis fast zur letzten Minute. Dass es am Ende nicht zu einer Einigung kam, war somit weniger die Schuld der beiden beteiligten Oppositionsparteien als vielmehr der um die Erhaltung und baldige Aktivierung ihrer Wählerklientel besorgten und daher kompromissunwilligen Regierungspartner CDU/CSU und FDP.
Ohne es vielleicht wirklich zu wollen, haben SPD und Grüne damit den Hartz-IV-Empfängern einen Gefallen getan, denn nun können diese bei diversen Wahlen selbst ein Votum über die Parteien und ihre soziale Sensibilität abgeben. Und vielleicht dadurch erreichen, dass eine künftige Vermittlungsrunde nicht nur nicht hinter die jetzt auf dem Tisch liegenden Angebote zurück kann, sondern sogar noch etwas drauf legt. Zwar hat dies die FDP bereits lautstark ausgeschlossen, aber diese Drohung klingt eher wie das Pfeifen im Walde, dürfte Westerwelles Partei doch wissen, dass nach den anstehenden Wahlgängen ihr Einfluss auf die Bundespolitik so sehr geschrumpft sein wird, dass sie ein besseres Ergebnis für die Hartz-IV-Empfänger nicht verhindern kann.
Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass die SPD bei der jetzt gezeigten Konsequenz bleibt, wofür es allerdings keine Garantie gibt, im Gegenteil. Sollten die Sozialdemokraten bei künftigen Wahlen zulegen, muss ein schneller Rückfall in ihr Agenda-2010- Denken befürchtet werden. Verhindern können dies allerdings die Wähler dadurch, dass sie so intelligent abstimmen, dass sowohl CDU und FDP die Quittung für ihren unsozialen Kurs erhalten als auch die rechte SPD, für die zum Beispiel in Hamburg ein Olaf Scholz steht, nicht schon wieder fröhliche Urständ feiern kann.
Wie vielleicht noch zu bemerken ist, wird im Zuge des unwürdigen Gerangels der Hartz-IV-Parteien (Union mit FDP und SPD samt Grünen) zu Lasten der Betroffenen in den Medien wieder einmal der fatale Eindruck erweckt, daß „die Politik“ insgesamt nichts mehr für die Menschen im Lande tut. Oder wie Gysi es ausdrückt, daß alle Politiker nur „Spieler“ sein und daher von vielen Bürgern nicht mehr ernst genommen würden. Dabei besteht hierzulande die Möglichkeit, zur Wahl zu gehen. Aber wer wird die „bösen Linken“ wählen?
Angesichts des albernen Geschachers um 5€ kann ich mir nicht vorstellen wie Leute NICHT die Linke wählen können. Mir wäre zwar auch etwas mulmuig zumute wenn sie zb den Kanzler stellen würden aber als Koalitionspartner können sie eigentlich nur Gutes bewirken.
@ Gabriel K
Gute Frage, aber in D ist der allgemeine Leidensdruck wohl noch nicht groß genug geworden, um innerhalb der gespaltenen Bevölkerung den festen Wunsch aufkommen zu lassen, die Herrschenden vom Sockel zu stoßen.
Zur Wahl bin ich in Hamburg gegangen, habe aber was viel böseres gewählt als die Linken, die sind mir viel zu gemäßigt.
Ich glaube auch nicht, daß der Leidensdruck noch nicht groß genug ist, sehe den von Monat zu Monat steigenden Ansturm auf die Tafeln, oder die Willkür der sogenannten „Jobcenter“. Aber viele haben sich aufgegeben, nur noch eine Minderheit erwartet von der Politik – auch der Linkspartei – noch irgendetwas. Kaum jemand hat noch den Eindruck irgendetwas beeinflussen zu können. Die einzige Art der Gegenwehr ist die Klageflut vor den Sozialgerichten.