(pri) Mit vielen Vorschusslorbeeren wird der neue Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) bedacht. Die Bilanz seines bisherigen politischen Wirkens ist jedoch allenfalls durchwachsen.
Wieder ist ein Adliger ins Verteidigungsministerium am Berliner Bendlerblock eingezogen, freilich kein fränkischer, sondern ein hugenottischer. Und denen werden seit ihrer erzwungenen Übersiedlung in die preußischen Lande Bildungsbeflissenheit, Kultur und gute Sitten nachgesagt, vor allem aber absolute Loyalität gegenüber staatlichen Autoritäten. Thomas de Maizières Familie kam im 17. Jahrhundert aus dem lothringischen Metz nach Brandenburg; einige ihrer Glieder haben sich seither hierzulande einen Namen gemacht. Der Vater war sechs Jahre lang Generalinspekteur der Bundeswehr, der Cousin Ministerpräsident der untergehenden DDR.
Ausgleichen, wenn andere streiten
Das gilt inzwischen auch für den 1954 in Bonn geborenen neuen Verteidigungsminister und Oberkommandierenden der Bundeswehr selbst. Thomas de Maizières politische Karriere begann in den 80er Jahren in Richard von Weizsäckers, vor allem aber Eberhard Diepgens Westberliner Senatskanzlei und erfuhr mit der Wendezeit ab 1990 eine unerwartete Beschleunigung. Damals wurde er Staatssekretär bei seinem Verwandten Lothar de Maizière und nahm an den Verhandlungen zum Einigungsvertrag teil. Mit dem Ende der DDR wechselte der promovierte Jurist ins neu gegründete Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, zunächst als Staatssekretär im Kultusministerium und 1994 als Leiter der Staatskanzlei des damaligen Ministerpräsidenten Berndt Seite. Nach dessen Abwahl 1998 erreichte de Maizière ein Ruf Kurt Biedenkopfs aus Sachsen, der ihn 1999 zum Leiter seiner Staatskanzlei machte.
Der geräuschlos und zuverlässig arbeitende einstige Jesuitenzögling musste beizeiten seine Fähigkeit zum Moderieren zwischen unterschiedlichen politischen Temperamenten, wenn nicht zum Streitschlichten unter Beweis stellen. Das begann bereits in Schwerin, wo er in der CDU/SPD-Koalition zwischen Seite und Harald Ringstorff vermittelte, und setzte sich in Dresden fort, als Biedenkopf und sein Finanzminister Georg Milbradt nicht mehr miteinander konnten. Von diesem übernahm er 2001 das Finanzministerium und diente ihm erst als Justiz- und dann als Innenminister.
Wohl auch wegen seiner unbestreitbaren Fähigkeit zum Ausgleichen unterschiedlicher Positionen holte Bundeskanzlerin Angela Merkel Thomas de Maizière 2005 in die mit der SPD gebildete Bundesregierung und machte ihn zum Chef des Kanzleramtes. Dort wurde er bald so unentbehrlich, dass er nachträglich in die kleine Koalitionsrunde der Parteispitzen vorstoßen konnte. Beinahe legendär war die damalige Taktfrequenz des SMS-Verkehrs mit der Kanzlerin. Er schaffte es, die Regierungsarbeit weitgehend geräuschlos zu organisieren, wobei ihm half, dass sowohl Union als auch SPD zur großen Koalition keine Alternative sahen. Es ist wohl nicht nur Koketterie, wenn er bekundet, er sei dann gut in seiner Arbeit, wenn man von ihm nichts merke. Auf dem Höhepunkt der schwarz-gelben Fingerhakeleien etwa vor Jahresfrist entfuhr ihm einmal: »In der Koalition wird zu viel herumgequatscht und zu wenig konstruktiv miteinander gearbeitet.«
Da aber war er schon Innenminister im zweiten Kabinett Merkel und musste beweisen, dass er nicht nur moderieren, sondern auch etwas durchsetzen kann – mit lautstarken Law-and-order-Leuten seiner Partei, vor allem aber der CSU im Rücken und der die liberale Fahne hoch haltenden Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als Widerpart. Das ist ihm – glücklicherweise – kaum gelungen, wozu beigetragen haben mag, dass auch er in Sicherheitsfragen eher gemäßigte Positionen vertrat und es sich beispielsweise weitgehend versagte, die Angst vor Terroranschlägen zum Abbau von Bürgerrechten zu instrumentalisieren, wie es sein Vorgänger Wolfgang Schäuble noch gern getan hatte.
Erst als seine Deeskalationstaktik so weit ging, dass er nicht einmal seine Chefin über einen Bombenfund auf dem Kölner Flughafen informierte und diese vom britischen Premierminister davon erfuhr, schaltete er um und gab vor Weihnachten aufgrund sehr vager Hinweise eine drastische Terrorwarnung heraus. Da war er ganz der »Diener«, als der er sich als Minister versteht, und wollte den vermeintlichen Fehler schnell vergessen machen. Dennoch argwöhnte die Union bei ihm immer, er verträte ihre Positionen nicht entschlossen genug.
Tatsächlich jedoch ist er kein Stück von all jenen Vorhaben abgerückt, die CDU und CSU schon seit langem verfolgen: Online-Durchsuchungen, Vorratsdatenspeicherung, Visa-Warndatei, Sperrung von Kinderpornoseiten im Internet, die sich schnell auf andere Themen ausweiten ließe, und die Verlängerung der Terrorgesetze, auch nach der anstehenden Überprüfung. Dass sich all das noch in der Warteschleife befindet, lag nicht an ihm, sondern am öffentlichen Widerstand, am Bundesverfassungsgericht und an seiner Kollegin aus dem Justizressort. Bei der ins Auge gefassten Zusammenlegung von Bundeskriminalamt und Bundespolizei stieß er ebenfalls auf großen Widerstand – außer bei der FDP auch bei der CSU und in den Ländern.
Durchsetzen, was andere denken
Durch besondere Kreativität bei der Erarbeitung eigener politischer Konzepte ist Thomas de Maizière bislang nicht aufgefallen. Trat er öffentlich in Erscheinung, dann eher bei solcherart Verwaltungsakten wie der Erprobung von Körperscannern auf Flughäfen oder der Einführung des neuen Personalausweises – beides nicht gerade Erfolgsgeschichten. Oft verließ er sich auf externen Sachverstand, ganz wie er es aus seiner Tätigkeit als Zuarbeiter für die Regierungsspitze gewohnt ist. Sein Metier ist die effiziente Durchsetzung dessen, was andere gedacht haben. Auch kurzzeitig wirkende Entschlüsse liegen ihm, also die Organisation des von Merkel bevorzugten Von-der-Hand-in-den-Mund-Regierens. Soll er selbst gestalten, fehlt ihm die sichere Hand. Besonders deutlich wurde das während seiner Amtszeit in Sachsen, in die auch die Affäre um die konspirative Datensammlung des Landesverfassungsschutzes zu Kontakten von Politikern, Justiz und Polizei zur organisierten Kriminalität fiel und die bis heute nicht sauber aufgeklärt ist.
Spätestens da musste er wohl erkennen, dass auch hugenottische Tugenden leicht in Widerspruch zu den vorgeblichen Zwängen der Realpolitik geraten können und dann letztere aus Staatsräson Priorität haben; de Maizière unterwarf sich dem stets mit »preußischem Pflichtbewusstsein«. So verfuhr er zum Beispiel in seiner Funktion als Geheimdienstkontrolleur, als 2006 die Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst entlarvt wurde und er sich auf dessen Seite schlug. Auch die Überwachung des E-Mail-Verkehrs einer deutschen Journalistin mit afghanischen Politikern durch den BND deckte der damalige Kanzleramtschef zwei Jahre später. Und ganz aktuell, beim Plagiatsskandal seines Vorgängers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), bescheinigte er diesem noch einen Tag vor seinem Rücktritt, er habe »nach wie vor die notwendige Autorität für sein Amt«.
Mag sein, dass ihm das im Verteidigungsministerium ebenso zugute gehalten wird wie das Lob in seinem ersten Tagesbefehl, zu Guttenberg habe »die Besonderheiten des soldatischen Dienens, die mit den Auslandseinsätzen verbundenen Gefährdungen und die Bundeswehr insgesamt stark in das öffentliche Bewusstsein gerückt«. In der Sache selbst hält er offensichtlich wenig von dem, was ihm der Vorgänger hinterließ, sonst hätte er wohl kaum als erste Amtshandlung dessen Staatssekretär Walther Otremba entlassen, der das Konzept zur Bundeswehrreform entwarf. Das wiederum rief den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer auf den Plan, der jegliche Änderungen daran strikt ablehnt.
Ein unausgegorenes Reformwerk, ungeklärte Guttenberg-Affären, bayerische Wutpolitiker – schwieriger kann Thomas de Maizières Start kaum sein. Da ist vielleicht doch als erstes seine Fähigkeit zu moderieren gefragt.
Veröffentlicht in: Neues Deutschland vom 07.03.2011
Der ìm Vergleich zu dem schillernden Karl-Theodor zu Guttenberg biedere Thomas de Maizère ist alles in allem aber wohl wirklich der „beste Mann“, den Merkel in dieser schwierigen Situation nach dem Rücktritt des „Lügenbarons“ aufbieten konnte. Das haben auch die Oppositionsparteien bestätigt. Wenn man de Maisières hier im Beitrag genannten Dezifite in Rechnung stellt, kann man diese Vorschußlorbeeren allerdings auch als mit einer Prise Ironie gewürzt verstehen. Fest dürfte aber stehen, daß dem „gemeingefährlichen“ Populisten zu Guttenberg kein echter Demokrat eine Träne nachzuweinen braucht – nur ist zu befürchten, daß man von politischen Hazardeuren vom Schlage „KT“ im instabilen Kapitalismus nie ganz verschont bleiben wird.