(pri) Dass die CDU in Baden-Württemberg und – etwas weniger deutlich – auch in Rheinland-Pfalz vom Wähler kräftig abgestraft wurde, ist nicht zu leugnen. Aber auch die SPD, die sich – wie auf der anderen Seite die rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner – realitätsfern als Wahlsieger geriert, muss noch immer für ihre unsoziale Politik der Schröder- und Müntefering-Ära bezahlen.Wenn sie jetzt in Mainz trotz Verlusten von fast zehn Prozent weiterregieren und in Stuttgart trotz des dortigen schlechtesten Ergebnisses überhaupt in die Regierung schlüpfen kann, hat sie das allein den Grünen zu verdanken, den einzigen Siegern des heutigen Wahlabends.
Aber natürlich wiegt der Einbruch von CDU und FDP in Baden-Württemberg schwerer, auch wenn um dessen wahren Grund die systemnahen Medien zumeist einen großen Bogen machen. In ihren schon vor dem heutigen Wahltag vielfältig formulierten Abgesängen auf die Kanzlerin und ihrer Koalition entwickelten sie entweder abenteuerliche Katastrophentheorien – so als seien ein unvorhersehbares politisches Erdbeben und gleich darauf noch ein Tsunami über Schwarz-Gelb gekommen – oder versuchten sich in amateurhaften psychologischen Befunden über die doch so bedauernswerte Kanzlerin. Dass es tatsächlich die verfehlten Inhalte der schwarz-gelben Politik und ein voluntaristisches Herangehen an die aktuellen Probleme, das objektive Bedingungen wie subjektive Befindlichkeiten in der Bevölkerung arrogant ausblendete, waren, die zum Desaster führten, ließ sich so elegant verschleiern.
Die schwerste Hypothek hatte sich die Regierung mit dem Beschluss zur Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke aufgeladen. Der sich immer stärker abzeichnende Super-GAU in Japan war eben nicht – wie einige Atombefürworter mit Altbundeskanzler Helmut Kohl an der Spitze jetzt schon wieder verkünden – ein blöder Zufall zur falschen Zeit, sondern die gesetzmäßige Folge einer Politik, die um des Profits von Wirtschaftsunternehmen willen latente Gefahren klein redet und am Ende – gerade in Japan kann man das jetzt mit erschreckender Deutlichkeit sehen – die Gesellschaft auf den Folgen ihres im Grunde kriminellen Tuns sitzen lässt. Hinter der Desinformationsparole von der »Brückentechnologie« und der noch viel größeren Lüge vom »Moratorium« sollte und soll verborgen werden, dass es nur um Milliardengewinne geht und nicht nur die Meinungen, sondern auch die lebenswichtigen Interessen der Menschen deshalb nassforsch missachtet werden.
Ein anderes Beispiel für die Abgehobenheit der Bundesregierung ist der Afghanistankrieg, gegen den es seit Beginn eine Mehrheit im Volk gibt, die jedoch ebenfalls total ignoriert wird. Vielmehr unternahm es der inzwischen an anderen Verfehlungen gescheiterte Verteidigungsminister zu Guttenberg, unter Aufbietung aller nur zur Verfügung stehenden Propagandakompanien, Krieg für Deutsche wieder salonfähig zu machen. Zwar hat die Koalition jetzt auf einige ihrer klügeren Berater gehört und den Afghanistan-Fehler in Libyen nicht wiederholt, doch selbst diese positive Entscheidung verstand sie dadurch zu entwerten, dass sie dafür das Engagement am Hindukusch verstärkte. Und sie trieb zugleich die Kriegsfraktionäre in der CDU/CSU aus der Deckung – jene, die noch heute einer Angela Merkel nachtrauern, die 2003 gern mit George W. Bush in den Irakkrieg gezogen wäre, weil sie zum einen Gewalt – ob im Innern (siehe das Vorgehen gegen die Stuttfart-21-Gegner) oder nach außen (wie jetzt gegenüber Libyen) – für ein probateres Mittel der Politik als die Suche nach Ausgleich und friedlichen Konfliktlösungen halten und zum anderen deutsche Politik noch immer in einer Satelittenrolle sehen – lange fixiert auf die USA, nun auch auf andere; in jedem Falle ohne Sinn und Klugheit dieser Politik auch nur zu hinterfragen.
Weitere Beispiele, wie weit Schwarz-Gelb im Grunde von Denken der Bürger entfernt ist, lieferten das sture Festhalten am Stuttgarter Bahnhofsbau, das die Bundeskanzlerin am Ende sogar zu ihrer Sache erklärte, und die am grünen Tisch zusammengebastelte Hartz-IV-Korrektur nach der Rüge des Bundesverfassungsgerichts, die sich nicht am Bedarf von Arbeitslosen, sondern an der Kassenlage des Bundes orientierte. Auch Freiherr zu Guttenbergs arroganter Umgang mit dem geistigen Eigentum anderer und sein völliges Unverständnis für die Forderungen nach einem ehrlichen, anständigen Umgang mit eigenen Verfehlungen gehören in diese Reihe. Und erst heute hat einer der neuen Minister des Kabinetts Merkel ein weiteres Beispiel für regierungsamtlichen Hochmut geliefert. Nicht etwa Innenminister Hans-Peter Friedrich hat nach seiner Auffassung mit seinem Wort, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, die Gesellschaft gespalten, sondern jene, die ihn dafür kritisierten.Seine Äußerung sei dazu benutzt worden, »einen Keil zu treiben zwischen den Muslime und mich. Und das zeigt mir eigentlich, dass die, die mich so scharf kritisiert haben, eigentlich nur ein Ziel hatten, nämlich zu spalten und nicht zusammen zu führen.« Und Julia Klöckner, die das zweitschlechteste Resultat ihrer Partei in Rheinland-Pfals ohne rot zu werden ein »wunderbares Ergebnis« nennt, will sich offensichtlich in die Front der Wirklichkeitsverweigerer der Union nahtlos einreihen.
Die SPD steht der CDU in dieser Frage freilich wenig nach, wie vor allem Andrea Nahles‘ Siegeseuphorie angesichts niederschmetternder Stimmergebnisse zeigt.. Sie hat nicht begriffen oder will nicht begreifen, dass die Abkehr der Wähler, die jetzt massiv die Union erlebt, bei ihr schon lange aingesetzt hat und auch heute nicht gestoppt werden konnte; in Rheinland-Pfalz hat sie jetzt erst richtig Fahrt aufgenmmen. Beide so genannte Volksparteien waren und sind nicht das Opfer schicksalhafter politischer Katastrophen, sondern bewusst betriebenen Regierungshandeln, das zunehmend glaubt, sich über die Bürger hinwegsetzen und allein nach den eigenen, interessengeleiteten Maßstäben handeln zu können. Dass – wie zuvor schon Schröder und Müntefering – Angela Merkel und Guido Westerwelle, ihre schwarz-gelben Koalitionäre und die hinter ihnen stehenden, nach weiteren Milliarden gierenden Wirtschaftsbosse damit nicht durchgekommen sind, ist das wichtigste Resultat des heutigen Wahltages.
Die fortgesetzten Realitätsverweigerungen der Volksparteien ohne Wahlvolk und das unverschämte Schönreden von grottenschlechten Wahlergebnissen von deren Personal nehmen schon surrealistische Züge.
Daher diese Worte von Peter Richter in Gottes Ohr:
„Dass – wie zuvor schon Schröder und Müntefering – Angela Merkel und Guido Westerwelle, ihre schwarz-gelben Koalitionäre und die hinter ihnen stehenden, nach weiteren Milliarden gierenden Wirtschaftsbosse damit nicht durchgekommen sind, ist das wichtigste Resultat des heutigen Wahltages.“
Wo sind aber eigentlich die Linken abgeblieben in dieser trostlosen Zeit?