(pri) Der Libyen-Krieg ist insofern eine Bankrotterklärung der Politik, als er ihre Unfähigkeit zeigt, Konfliktlösung anders zu denken als durch Gewalt. Das gilt für al-Gaddafi wie für die NATO und ihre »Willigen« gleichermaßen. Ersterer hatte auf den berechtigten Protest weiter Teile seines Volkes nur die Antwort der Waffen, aber auch letzteren, die sich als Wertegemeinschaft verstehen, fiel nichts Besseres ein – außer dass sie ihre Gewalttätigkeit verlogen als »Schutz der Zivilbevölkerung»« verkauften. Als ob ihre Bomben sorgsam zwischen Gut und Böse unterscheiden könnten oder gar wüssten, wie in diesem Krieg Gutes und Böses verteilt sind. Die wichtigsten Verbündeten der westlichen Angreifer waren jedenfalls noch unlängst enge Mitstreiter Gaddafis – wie sein Ex-Justizminister Mustafa Abdul Dschalil, der jetzt die Rebellen-Regierung leitet, oder sein Ex-Innenminister Abdel Fattah Junis, heute militärischer Führer der Aufständischen. Und Gaddafis Ex-Außenminister Mussa Kussa stand offensichtlich schon lange auf den Gehaltslisten westlicher Geheimdienste.
Gewalttätigkeit ist freilich kein neues Phänomen der heutigen Politik. Gerade Gaddafi, der selbst nach der Machtübernahme Gewalt bald als als probates Mittel zum Machterhalt erkannte und nutzte, hat das bereits erfahren. Schon Ronald Reagan zerbombte als US-Präsident seine Hauptstadt, und als man endlich dann doch zu politischen Vereinbarungen mit dem »Schurken« fand, war das nichts anderes als die Adelung seiner Gewalt durch den Westen, denn die richtete sich nun gegen in Europa unerwünschte Einwanderer – und er neutralisierte den schalen Geschmack solch menschenrechtsfeindlicher Kollaboration mit einem Gewalttäterdurch den Geruch von Öl. Daran soll, wenn nicht alles täuscht, auch ein künftiges Regime in Tripolis nichts ändern; der derzeitige Umgang mit Flüchtlingen seitens der EU lässt daran kaum einen Zweifel.
Immer deutlicher zeigt sich, dass die achtjährige Regentschaft eines George W. Bush als US-amerikanischer Präsident mit ihrer Glorifizierung von Gewalt in den internationalen Beziehungen kein Ausrutscher der Weltgeschichte war, sondern bittere Logik einer sowohl unilateral als auch kapitalistisch, also imperialistisch dominierten Welt. Obamas Zögern erscheint da nur als Episode des kurzen Pausierens, um das Publikum nicht zu überfordern, und selbst wenn er persönlich es ernst meinte, kann er sich doch der fatalen Spätwirkung einer Politik nicht entziehen, die im Zweifel lieber die Pistole zieht als mit Worten Verständigung zu versuchen.
Die Gewöhnung an gewaltsame Konfliktlösung schreitet im allgemeinen Bewusstsein voran. Das bis weit nach links sich dehnende Lager der Bellizisten in der Libyen-Frage macht das deutlich; kaum einer störte ich daran, dass die NATO nicht eine Sekunde versuchte, mit Gaddafi zu einer gewaltfreien Lösung zu finden, sondern sich im Gegenteil von – wie auch immer zu beurteilenden, aber eben auch nie auf den Prüfstand gestellten – Waffenstillstandsangeboten aus Tripolis offensichtlich eher gestört fühlte in ihrem blutigen Handwerk. Da verwundert nicht, dass bereits nach Fortsetzung und Wiederholung gerufen wird – in Syrien, in Iran, freilich nicht in Jemen , Bahrain oder Saudi-Arabien, denn da sitzen die NATO-freundlichen Gewalttäter schon im Sattel, und niemand hat ein Interesse daran, sie zu entthronen. Eigentlich hatte man das auch in Tunesien und Ägypten nicht, weshalb dort der Umbruch nur zäh vorangeht und noch längst nicht entschieden ist, dass tatsächlich demokratische Verhältnisse einziehen und nicht nur eine weichgespülte Version des alten Regimes die Machtverhältnisse unangetastet lässt..
Und dennoch:Ihr Gewaltkurs hat der NATO bislang wenig Dividende gebracht. Sie, die sich zum Vormund des libyschen Volkes erklärte, musste erkennen, dass große Teile dieses Volkes die zwar verhassten, aber doch eigenen Gewalttäter des Gaddafi-Clans fremden Sheriffs vorziehen – wie schon in Afghanistan und Irak. Die Niederringung dieser Libyer wird durch die NATO wird nur um den Preis eines weiteren von ihr angezettelten blutigen Krieges zu haben sein – und damit um den Preis wachsender Widersprüche im westlichen System, ökonomisch wie politisch. Beruhigend ist das nicht, aber es belegt, dass voluntaristische Politik letztlich an Grenzen stößt – an jene Grenzen, die die die Realitäten ziehen und die Völker, die bei aller Widersprüchlichkeit ihres Handelns immer besser erkennen, dass sie ihre Geschicke in die eigenen Hände nehmen müssen und sich dem Gewaltdiktat nicht unterwerfen dürfen – komme es von den eigenen Potentaten oder fremden »Heilsbringern«, die doch nur ihre selbstsüchtigen Interessen vertreten.
Widersprüche in der Politik des Westens gegenüber der arabischen Welt insgesamt bestehen sicherlich nach wie vor und auch „kapitale Ansprüche“ mögen eine gewichtige Rolle spielen, aber das muß trotzdem nicht unbedingt sogleich bedeuten, daß ein militärisches Eingreifen in Libyen grundsätzlich zu verurteilen ist. Wenn der Westen in den eskalierten Bürgerkrieg nicht eingreifen würde, hieße es bestimmt nicht zuletzt auch von Kritikerseite, daß man Gaddafi nun auch noch ungeniert offen Krieg gegen sein eigenes Volk führen lasse, nachdem man mit ihm schon lange vorher paktiert habe. Mit Potentaten wie Gaddafi lassen sich vielleicht „schmutzige Ölgeschäfte“ machen, aber keine Friedensverhandlungen zugunsten der Menschen führen.
Der jüngste Sohn von Libyens Machthaber Muammar al Gaddafi, Saif al Arab al Gaddafi, ist am Samstagabend bei einem Nato Luftangriff getötet worden. Das teilte ein Sprecher der libyschen Regierung in Tripolis im Staatsfernsehen mit. Zudem sind 3 Enkelkinder getötet worden. Ich frage mich wirklich was das für eine Strategie ist. Auf Panzer zu schiessen ist wohl die eine Sache, aber Kinder zu töten. Nun denn, mit welcher Moral wird da gehandelt.