(pri) Ein »Markenzeichen für erfolgreichen Wandel« sei das Saarland in den zwölf Jahren seiner Regentschaft als Ministerpräsident geworden, erklärte Peter Müller gestern. Dennoch scheidet er heute – 55-jährig – freiwillig aus dem Amt. Auf Fragen nach dem Warum blieb er einsilbig.
Der letzte Wilde flieht aus der Ohnmacht
Es war einmal ein junger, hoffnungsvoller Amtsrichter im saarländischen Ottweiler, der es schon bald ans Landgericht in Saarbrücken brachte. Eine solide juristische Karriere schien ihm sicher, wäre da nicht seine zweite Leidenschaft gewesen – die Politik. Er hatte sich bereits in der Jungen Union umgetan, und als ihn dann gar der damalige CDU-Landesvorsitzende Klaus Töpfer ermutigte, sich um ein Landtagsmandat zu bewerben, konnte er der Verlockung nicht widerstehen. 1990 wurde Peter Müller Abgeordneter und sogar Fraktionsgeschäftsführer; ein »politisches Naturtalent«, wie damals eine Zeitung schrieb, schien geboren.
Und tatsächlich war Müller nicht bereit, dem »Sofa-Syndrom« zu verfallen, das er bald schon allen vorwarf, die nur gebannt auf den Chef blickten, der in den 90ern noch Helmut Kohl hieß. Der Über-Kanzler war für ihn ebenso wenig sakrosankt wie natürlich der damalige saarländische SPD-Ministerpräsident Oskar Lafontaine, dem er Strukturkonservatismus und mangelnde Zukunftsfähigkeit vorwarf. Im jugendlichen Überschwang wollte Müller nicht nur das Saarland verändern, sondern dazu die eigene Partei erneuern und wohl auch ein wenig die Welt.
Er wollte das »Bayern des Südwestens«
Zunächst ließ sich das Unternehmen gar nicht so schlecht an. Der CDU-Nachwuchsmann wurde bald Fraktionschef und 1995 – gerade 40-jährig – Landesvorsitzender. Er fand in anderen Ländern Gleichgesinnte wie Roland Koch, Christian Wulff, Ole von Beust oder Günther Oettinger, die als »junge Wilde« bald als kommende Führungsgeneration der CDU galten. Schließlich gelang ihm 1999 ein großer Coup. Er jagte den Sozialdemokraten eins ihrer Stammländer ab und regierte nun das Saarland sogar mit absoluter Mehrheit.
Jetzt barst Müller, der ohnehin nie an Minderwertigkeitskomplexen litt, fast vor Selbstbewusstsein. Nun sollte die Saar, das kleinste Flächenbundesland, zum »Bayern des Südwestens« werden. Er wollte aus der vom Bergbau geprägten Region ein Zentrum von Informatik und Biotechnologie machen. Er demonstrierte soziale Sensibilität, indem er seine Sozialministerin aus der DGB-Führung holte und schrittweise die gebührenfreie Kitabetreuung einführte. Und er ließ sich nicht in ausländerfeindliche Kampagnen seiner Partei einspannen, sondern mühte sich als Chef ihrer Zuwanderungskommission um moderate Lösungen.
Peter Müller schwamm auf einer Erfolgswoge. 2003 wurde er zum »Ministerpräsidenten des Jahres« gewählt. 2004 verbesserte er sein Wahlergebnis gar noch und konnte mit sichererer Mehrheit weiter allein regieren. Immer öfter wurde auch sein Name genannt, wenn es um das künftige Führungspersonal der CDU ging; 2005 gehörte er zum »Kompetenzteam« Angela Merkels und war für ein Bundesministerium gesetzt. Doch die Blütenträume reiften nicht. Gerade Müllers soziale Ader – er stammt aus einem SPD-Elternhaus – machte ihn für die anstehende Koalition mit der SPD ungeeignet; jetzt waren bei der Union lupenreine Konservative gefragt. Müller blieb am Rande der Republik.
Aber auch im Saarland liefen die Dinge jetzt nicht mehr so gut. Vor allem die Finanzkrise 2008 machte ihm unmissverständlich die Grenzen politischen Handelns angesichts entfesselter Marktkräfte deutlich. Die saarländischen Zulieferer für die Autoindustrie und andere Zweige reduzierten die Produktion – mit Folgen für Arbeitsmarkt wie Steuererträge. Die Verschuldung des Haushalts stieg; mit fast 10 000 Euro stand faktisch jeder Saarländer Ende 2008 in der Kreide. Die Quittung für den abrupten wirtschaftlichen Niedergang kam bei der Landtagswahl 2009, als die CDU 13 Prozent der Stimmen verlor und Müller sein Amt nur in einer schillernden »Jamaika-Koalition« retten konnte, die er seither recht und schlecht moderierte, kaum noch selbstständig Politik gestaltete.
In diesem Dilemma aber steht Peter Müller nicht allein. Der Finanzcrash, der bis in die Gegenwart nachwirkt und immer neue Turbulenzen auslöst, hat ganz allgemein die Ohnmacht der Politik gegenüber der Wirtschaft, vor allem der Finanzbranche, offen gelegt. Diese hat nicht zuletzt auch die einstigen »jungen Wilden« gezähmt, die inzwischen in breiter Front aus der Politik geflohen sind oder sich auf eher repräsentative Posten zurückzogen. So wurde Christian Wulff Bundespräsident und Günther Oettinger EU-Kommissar. Der Hesse Roland Koch quittierte ebenso wie der Hamburger Ole von Beust den Dienst als Landeschef – und jetzt eben auch Peter Müller. Was sie dazu bewegte, dürfte Koch am eindringlichsten beschrieben haben. Er habe seine Entscheidung zum Abschied aus der Politik getroffen, »auf der Basis, was ich bewirken kann«. Und dabei festgestellt: »An einem bestimmten Punkt tritt für Politiker ein Verschleißprozess ein, der größer ist als seine Gestaltungsmacht … Man darf nicht den Eindruck erwecken, man habe eine Gestaltungsmacht, die man gerade verliert.«
»Du hast doch einen ordentlichen Job«
Er und andere haben begriffen, wo die wirkliche »Gestaltungsmacht« liegt. Sie wechselten zumeist in die Wirtschaft – Koch zum Baukonzern Bilfinger Berger, von Beust zur Unternehmensberatung Roland Berger. Müller, den einst der »Spiegel« als »Mischung aus Mr. Bean und Inspektor Columbo« bezeichnete, liegt die brutale Wirtschaftswelt offensichtlich nicht so sehr; er erinnerte sich vielmehr der Fassungslosigkeit seiner früheren Richterkollegen, die 1990 den Kopf schüttelten: »Bist du verrückt? Du hast doch einen ordentlichen Job.« In diesen will er jetzt reumütig zurückkehren und würde dem Vernehmen nach gern Bundesverfassungsrichter werden.
So beendet einer, der auszog, die Welt, seine CDU oder doch wenigstens das Saarland zu verändern, heute ein am Ende wenig ergiebiges Abenteuer und kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Einen immerhin hat Peter Müller verändert – seinen Vater, der als jahrzehntelanges SPD-Mitglied 1999 erstmals christdemokratisch wählte.
(Veröffentlicht in: Neues Deutschland vom 10.08.11)
Das waren noch Zeiten, als Blüm von Kohls Gnaden das „soziale Gewissen“ der CDU spielen dürfte. Bei Angela Merkel klappt das aber nicht mehr mit der sozialen Ader und dem politischen Gestaltungswillen. Armer Peter Müller!