Der gewöhnliche Rechtsterrorismus und seine Opfer – zum Beispiel Otmar Kagerer

(pri) Der Rechtsterrorismus sei ein neues Phänomen, sagt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und beweist damit nur, dass er noch immer auf dem rechten Auge blind ist. Denn Rechtsterrorismus gibt es in Deutschland seit mindestens 20 Jahren; das belegt schon die hohe Zahl seiner Opfer, die sich nach seriösen Erhebungen der Zahl 200 nähert. Es dokumentieren aber auch die fast wöchentlichen martialischen Aufmärsche rechtsextremistischer Organisationen, Verbände, »Kameradschaften« und einer legalen Neonazi-Partei, die ihre Existenz hauptsächlich dem Zufluss staatlicher Mittel verdankt. Es beweisen die so genannten national befreiten Zonen in vielen Landesteilen und der Psychoterror gegen jene, die sich dem braunen Spuk mutig entgegenstellen.

All diese Vorgänge, die zwar (noch?) nicht im Umfang, wohl aber in der Art beängstigend an vergleichbare Entwicklungen in den frühen 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland erinnern, waren und sind allgemein bekannt. Es wurde darüber gesprochen und geschrieben – und zugleich verharmlost und bagatellisiert. Die Opfer fanden nur selten Gehör – nicht bei der Politik, kaum in den Medien, auch nicht bei der Justiz und schon gar nicht in der Polizei und in Geheimdiensten. Dabei haben gerade sie klare und relevante Signale ausgesandt, die jedoch in aller Regel ignoriert wurden. An einige dieser Opfer, die die Öffentlichkeit trotz aller Gefahren nicht scheuten, und jene wenigen, die sich solidarisch an ihre Seite stellten und sich damit Anfeindungen aussetzten, soll noch einmal erinnert werden.

Ohne jeden Migrationshintergrund ist Otmar Kagerer. Der Steinmetz wurde trotzdem zum Opfer eines rechten Terrorismus, weil er Partei ergriff und sich engagierte. Aber er erfuhr auch Solidarität – nicht vom Staat, sondern von Bürgern, die sich ihren Anstand bewahrt haben.

Zivilcourage

Die ansteckende Kraft der Schwachen

Leute wie Otmar Kagerer tun auch ohne »Aufstand der Anständigen« das Nötige gegen rechte Gewalt

 Auf Aufrufe zu Courage und einem zivi­len Umgang mit seinen Mitmenschen -gleich welcher Rasse, Hautfarbe oder Religion – muss Otmar Kagerer nicht warten. Für ihn ist Solidarität selbst­verständlich, zumal er viele gefunden hat, die auch ihm halfen.

Wie ein »Aufständi- scher« schaut Kagerer nicht aus, ein Anständi­ger ist er gewiss. Ansonsten merkt man, wenn man mit ihm spricht, schnell, dass er am liebsten seine Ruhe hätte. »Wenn jemand meine Hilfe braucht, bekommt er sie«, sagt er, »aber ich brau­che dazu keine Öffentlichkeit.« Er weiß, dass es neben Leuten, die ihn dabei unter­stützen, auch andere gibt, die kein Verständnis dafür haben. »Dem muss ich mich nicht aussetzen.«

So war es eher ein Zufall, dass der Steinmetz Otmar Kagerer, ein solider Handwerker, vor Jahresfrist in die Medien .geriet. Am 3. Oktober 1999 hatten Rechts­radikale – so wie am gleichen Tag in die­sem Jahr – jüdische Einrichtungen über­fallen: den jüdischen Friedhof im Berliner Stadtbezirk Weißensee, das Denkmal für die deportierten Juden an der Putlitzbrücke in Tiergarten, auch das Brecht-Denk­mal am Schiffbauerdamm. Die Täter wur­den nie gefunden, die Ermittlungen sind längst eingestellt, aber auf dem Weißenseeer Friedhof waren 103 Grabsteine umge­worfen, zum Teil demoliert worden. Da half Kagerer, der eines seiner Geschäfte in Sichtweite des Friedhofs hat. Er half nicht das erste Mal. Er half – wie immer in sol­chen Fällen – still, unauffällig und unent­geltlich, zusammen mit Kollegen aus acht anderen Betrieben. Aber ausgerechnet er wurde von einem Reporter fotografiert. Name und Bild erschienen in der Zeitung. »Seitdem«, so Kagerer, »kam ich mir vor wie im Kino, wie in einem Film, der ei­gentlich nichts mit mir, meinem Leben zu tun hat.«

Drohanrufe und Vandalismus

Und der »Film« wurde zum Thriller. Schon am nächsten Tag klingelte das Te­lefon. »Ihr Judensäue«, hörte Kagercrs Frau Johanna eine fremde Stimme. »Wenn Dein Mann die Steine aufstellt, machen wir ihn kalt.« Das wiederholte sich. Viermal drohte der Anrufer. Die Polizei ermittelte, gab Verhaltensmaßregeln, überwachte die Werkstatt. »Mein Handwerkerleben kam völlig durcheinander.« Kagerer wollte nichts mehr sagen, ließ sich nicht fotografieren. Rückzug schien ihm die beste Verteidigung. Er sollte sich täuschen.

Sechs Wochen später, am 19. November, teilte ihm die Polizei mit, sein Steinelager in Marzahn sei zerstört worden. Zwei Jugendliche hatten 150 Steine umgeworfen, teilweise zerkratzt, beschädigt. Auf 57000 Mark wurde der Schaden geschätzt. Kagerer war nicht versichert. »Das machte keine Firma, denn solche Überfalle kamen praktisch nicht vor.« Gerade jetzt aber hatte es ihn getroffen. Für ihn war der Zusammen­hang klar, für die Polizei aber nicht. Die Inspektion Marzahn interessierte sich kaum. Ein Beamter schaute kurz über den Zaun, erstellte ein Protokoll, vergab eine Schadensnummer, Sache erledigt. Auch der Staatsschutz stellte keine Verbindung zu den Drohanrufen her, veranlasste aber wenigstens die Marzahner Polizei zu wei­terer Beschäftigung mit dem Fall. »Sie sagten mir, ich solle den Schaden fotogra­fieren und ihnen die Fotos schicken. Sie haben den Tatort nicht betreten, keine Spuren gesichert. Ich habe das Lager dann in Ordnung gebracht.«

Ordnung. Ruhe. Frieden. Kagerer wollte wieder leben wie zuvor, relativ unbelastet, mit seiner Umwelt im Einklang. Der heute 57-jährige Steinmetz war zu DDR-Zeiten Bereichsleiter in einer einschlägigen Produktionsgenossenschaft des Handwerks. Nach der Wende hatte er sich selbständig gemacht und inzwischen vier Filialen, ei­nige Mitarbeiter. Er konnte mit dem Gang der Dinge zufrieden sein – bis vor einem Jahr, als ihn seine Redlichkeit plötzlich zum Opfer rechter Gewalt machte. Dabei berührte Kagerer weniger der materielle Verlust, als vielmehr jenes primitive Den­ken, jener Hass, der die Täter leitete. »Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal wegen meiner Arbeit, wegen Grabsteinen mit dem Tod bedroht werden könnte.« Er hatte Angst, aber einschüchtern ließ er sich nicht. Er brachte seine Arbeit zu­sammen mit den Kollegen der anderen Betriebe aus ganz Berlin zu Ende. »Und natürlich tue ich weiter das, was ich für nötig halte.«

Von den Behörden erwartete er nichts. Sie dachten damals in Berlin offenbar schon so, wie es jüngst der Brandenburger Ministerpräsident der Kirchengemeindc in Dolgelin schriftlich gab. Dort war einer vietnamesischen Familie vor allem wegen der Schwangerschaft der Mutter Kirchen­asyl gegen eine schnelle Abschiebung ge­währt worden, was Stolpe als nicht rechtmäßig bezeichnete, weshalb die Ge­meinde die entstehenden Kosten tragen müsse. Und er fügte hinzu, gewiss brau­che das Land Bürger, die sich für andere einsetzten. Aber solche soziale Verant­wortung und Zivilcourage könne sich für den Betreffenden auch finanziell auswir­ken. Bei ihm, schrieb darauf Landesbi­schof Huber an seinen Regierungschef, entstehe der Eindruck, dass solches Han­deln »letztlich doch nicht gewollt ist und deshalb erschwert und entmutigt« werde.

Solidarität – nicht nur mit Geldwert

Auch Kagerer schien für seine selbst­verständliche Hilfe zusätzlich bestraft zu werden – bis eines Tages Anetta Kahane bei ihm auftauchte, Kuratoriumsvorsit­zende der Amadeu-Antonio-Stiftung mit dem Untertitel »Initiativen für Zivilgesell­schaft und demokratische Kultur«. Erst habe er sie gar nicht ernst genommen, sagte Kagerer. Aber dann habe sie diesen Spendenaufruf erlassen, der ihm helfen sollte. »Sie hat mich wieder optimistisch gemacht.« Und sie wäre es auch gewesen, die ihn davon überzeugte, dass Öffentlich­keit der beste Schutz sei. Und doch habe er nie mit solch großer Resonanz gerechnet. In kaum vier Wochen kamen 60000 Mark zusammen, sein Schaden war ersetzt. »Dass soviel nicht etwa für große Welt­probleme, sondern für einen kleinen Handwerksmeister gespendet wird« – er konnte es kaum fassen. Und noch immer gehen auf dem Konto Spenden ein, inzwi­schen noch einmal die gleiche Summe, die für andere Opfer rassistischer, antisemiti­scher und rechtsextremer Gewalt ver­wandt wird.

Mehr noch aber als das Geld beein­druckten Otmar Kagerer die einfachen, die spontanen Beweise von Solidarität. Wir können nicht spenden, sind dazu nicht in der Lage, habe ihn jemand ange­rufen. »Aber meine beiden Söhne machen Fitnesstraining, die sind stark, die können Ihnen vielleicht bei der Reparaturarbeit helfen.« In Jena nahm man bei einem Klassenfest für den Kaffee l ,50 statt einer Mark und überwies den Überschuss. Manche kamen in seine Werkstatt, mit Blumen, oder auch nur für einen Hände­druck. Und einer bot gar sein Grundstück als Zufluchtsort an, falls er nicht wisse, wohin vor den Drohungen.

In der DDR, sagt Kagerer, sei man nur zurecht gekommen, weil man sich gegen­seitig geholfen habe. Daran hätte er fast zehn Jahre nach der Wende schon nicht mehr geglaubt und so auch nicht gehan­delt. »Natürlich nimmt man Anteil, wenn jemandem so etwas zustößt, aber dann so zu helfen, daran hätte ich selbst nicht ge­dacht.« Heute sagten doch viele: Warum soll ich bei einer Sache helfen, wo ich selbst Schaden nehmen kann? Und der Staat, so Kagerer, wäre schon gar kein Vorbild für solidarisches Handeln. Der helfe, so sein Eindruck, eher dem Täter als dem Opfer.

Schützende Hände über den Täter?

Auch jener Drohanrufer, der Kagerer und seine Familie ängstigte, scheint sich grö­ßerer Anteilnahme der Behörden als der Bedrohte zu erfreuen. Während die Vandalen. die sein Lager verwüstet hatten, bis heute unbekannt sind, wurde er nach ei­nigen Wochen ermittelt. Das Verfahren gegen ihn endete jedoch ohne Verhand­lung mit einem Strafbefehl. Kagerer hatte man abgeraten, als Nebenkläger aufzu­treten, weil der Mann ohnehin schon wirt­schaftlich geschädigt sei. Derzeit ist seine Akte bei der Berliner Justiz unauffindbar, aber er soll wohl mit 120 Tagessätzen be­auflagt sein, und bei der Amadeu-Anto­nio-Stiftung. die allerdings nie offiziell in­formiert wurde, gehen seit Anfang des Jahres tatsächlich monatlich 200 Mark von einer Person gleichen Familienna­mens ein, die man deswegen schon ein­mal belobigen wollte.

An Kagerers hat der Täter einen wei­nerlichen Entschuldigungsbrief geschrie­ben; strafmildernde »tätige Reue« sei das wohl, sagt der Steinmetz achselzuckend. »Ich hätte ihm gern einmal in die Augen gesehen und seine Stimme gehört.« Denn das alles passe nicht so recht zusammen. und vielleicht decke der 62jährige nur jemand anderen.

Seine Ruhe will der Handwerksmeister noch immer haben, aber nicht um jeden Preis. »Nach der Spendengeschicnte wollte ich selbst in die Öffentlichkeit, um andere wachzurütteln.« Er wollte zeigen, wieviel Solidarität es trotz allem noch in dieser Gesellschaft gibt, selbstverständli­che Solidarität kleiner Leute. Fast wird der Steinmetzmeister zum Philosophen: »Sie tun das, weil sie es für richtig und nö­tig halten. Für sie ist es nichts Besonderes, aber da kommt der wahre Mensch zum Vorschein.« Einst hat Anna Seghers einige Geschichten über die »Kraft der Schwa­chen« aufgeschrieben. Wenn auch der Staat kapituliert oder sich gleichgültig abwendet – diese Schwachen sind nicht kleinzukriegen. Sie schreiben fast täglich neue Kapitel ihrer Stärke.

 (Veröffentlicht in »Neues Deutschland« vom 23. 10. 2000)