(pri) Der Rechtsterrorismus sei ein neues Phänomen, sagt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und beweist damit nur, dass er noch immer auf dem rechten Auge blind ist. Denn Rechtsterrorismus gibt es in Deutschland seit mindestens 20 Jahren; das belegt schon die hohe Zahl seiner Opfer, die sich nach seriösen Erhebungen der Zahl 200 nähert. Es dokumentieren aber auch die fast wöchentlichen martialischen Aufmärsche rechtsextremistischer Organisationen, Verbände, »Kameradschaften« und einer legalen Neonazi-Partei, die ihre Existenz hauptsächlich dem Zufluss staatlicher Mittel verdankt. Es beweisen die so genannten national befreiten Zonen in vielen Landesteilen und der Psychoterror gegen jene, die sich dem braunen Spuk mutig entgegenstellen.
All diese Vorgänge, die zwar (noch?) nicht im Umfang, wohl aber in der Art beängstigend an vergleichbare Entwicklungen in den frühen 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland erinnern, waren und sind allgemein bekannt. Es wurde darüber gesprochen und geschrieben – und zugleich verharmlost und bagatellisiert. Die Opfer fanden nur selten Gehör – nicht bei der Politik, kaum in den Medien, auch nicht bei der Justiz und schon gar nicht in der Polizei und in Geheimdiensten. Dabei haben gerade sie klare und relevante Signale ausgesandt, die jedoch in aller Regel ignoriert wurden. An einige dieser Opfer, die die Öffentlichkeit trotz aller Gefahren nicht scheuten, und jene wenigen, die sich solidarisch an ihre Seite stellten und sich damit Anfeindungen aussetzten, soll noch einmal erinnert werden.
Ravindra Gujjula ein Opfer rechter Gewalt zu nennen, mag befremden; schließlich war er von 1994 bis 2003 Bürgermeister des Brandeburger Städtchens Altlandsberg und später zwei Jahre lang Abgeordneter im dortigen Landtag. Doch vor Ausgrenzung und rassistischen Angriffen schützte auch das nicht.
Ravindra Gujjula wurde in Indien geboren und im brandenburgischen Altlandsberg Bürgermeister – und weiß gerade deshalb, daß Ausländer in Deutschland noch lange nicht dazu gehören
Der Paß, das Amt – und doch kein Morgenland
Altlandsberg ist eine kleine Weltsensation. Aus 25 Ländern waren bereits Journalisten und Kamerateams in dem Flecken nordöstlich Berlins, berichtet der Bürgermeister. Sie kamen aus Frankreich und Italien, aus Indien und der Türkei, sogar aus El Salvador und Hongkong, auch BBC aus England und CNN aus den USA. Stolz ist Ravindra Gujjula auf solch internationale Anteilnahme an seiner brandenburgischen Kleinstadt, und er hat ein Recht dazu. Denn Altlandsberg verdankt seine Berühmtheit vor allem ihm.
Der Sohn eines indischen Gewerkschaftsfunktionärs ist dort seit 1994 Bürgermeister – in einer Kleinstadt ausgerechnet jenes Bundeslandes, das fast Woche für Woche Schlagzeilen damit macht, daß irgendwo Ausländer gejagt wurden, Skinheads Fremde zusammenschlugen, rechte Gewalt eskalierte. Gerade dort wird ein Dunkelhäutiger und Akzentsprechender zum Stadtoberhaupt. Selbst die »New York Times« wundert sich: »Deutschland hat viele Gesichter.«
Gujjula könnte ergänzen: Wie Altlandsberg! Denn natürlich prangten auch hier schon Hakenkreuze auf der mittelalterlichen Stadtmauer. »Glatzen« tauchen hin und wieder im kleinstädtischen Bild auf, am »Führergeburtstag« sammeln sie sich zu einer Fete und bedrohen jene, die ihrem Bild vom »guten Deutschen« nicht entsprechen. Und erst vor einigen Wochen erhielt eine Gruppe Roma in ihrer Wohnwagensiedlung auf einer Wiese vor den Toren Altlandsbergs unerwünschten Besuch. Eine Kolonne Autos und Motorräder brauste durchs Lager, umkreiste die 40 Wagen, einige wollen »Ausländer raus!« gehört haben. Da titelte die regionale Presse: »Roma verspüren tagtäglich Ausgrenzung« – eine ungewohnte Schlagzeile für Gujjula und sein Altlandsberg.
In solchen Momenten fühlt sich der kleine Bürgermeister mit dem Schnauzbart etwas hilflos. »Wir leben hier nicht auf einer Insel der Seligen«, sagt er dann fast ein wenig schuldbewußt. Und er berichtet von anonymen Anrufen, bösen Briefen, die er an bestimmten symbolischen Tagen oder nach einem Fernsehauftritt – neben viel Zuspruch – erhält. Einmal trat ihm auch einer in den Weg: »Du hast über Deutschland Schande gebracht!« Zwar glaubt er nicht, daß es Altlandsberger sind, die ihn da beschimpfen, denn 1994 wählten ihn immerhin 66 Prozent und vier Jahre später gar 81 Prozent ins Bürgermeisteramt, aber er weiß auch, daß bei der Bundestagswahl vorigen Herbst rechte Parteien im Ort zusammen auf über fünf Prozent kamen und jüngst bei der Europawahl die Republikaner 2,2 und die NPD 1,2 Prozent erreichten.
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Rene Koht, erster Altlandsberger Bürgermeister nach der Wende, jetzt CDU-Fraktionsvorsitzender in der Stadtverordnetenversammlung und zweimal klar unterlegener Konkurrent Gujjulas bei der Bürgermeisterwahl, orakelt gar: »Hoffentlich gibt es nicht eines Tages ein böses Erwachen, wie in Guben.« Denn viele outeten sich nicht als Rechte, allenfalls nach einem tiefen Blick ins Bierglas. Immerhin hätten bei ihm einige Leute, »die ich mir überhaupt nicht als Sympathisanten der CDU vorstellen konnte«, angerufen, um bei der Kampagne gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft zu unterschreiben. »Öffentlich praktiziert« habe die CDU die Unterschriftensammlung in Altlandsberg nicht, denn: »Man nimmt Rücksicht auf den Bürgermeister.« Es klingt besorgt, wenn Koht Verdrängung beklagt: »Die Deutschen haben ein Problem mit ihrer Geschichte.« Und zur Erklärung von der »Bubis-Keule« spricht, deretwegen bestimmte Dinge nicht offen angesprochen werden. Es schwingt aber auch Bedauern mit, denn letztlich profitiere Gujjula davon; »mit einem Deutschen« würde man sich zum Beispiel im Wahlkampf schärfer auseinandersetzen.
Deutscher ist Gujjula seit 1993, in Altlandsberg lebt er jedoch schon seit 1982. Der heute 45jährige kam 1973 in die DDR, um Medizin zu studieren. Nach seiner Ausbildung an der Charite arbeitete er in der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses in Altlandsberg, wurde Facharzt. Er schrieb an den damaligen DDR-Gesundheitsminister, um ihn über über unhaltbare Zustände in der Klinik zu informieren. Mecklinger kam tatsächlich, doch es änderte sich nichts. Dann wollte der junge Arzt auf der Liste des FDGB bei den Kommunalwahlen 1989 kandidieren, aber da es außer ihm in Altlandsberg keine Ausländer gab, hielt der Kreiswahlleiter das für verfehlt. Jetzt schrieb Gujjula an Honecker und Krenz – und wurde kurz darauf entlassen. Erst in den letzten Tagen der DDR, als die Fluchtwelle gen Westen die Ärzteschaft stark dezimiert hatte, wurde er wieder eingestellt.
All das trug zur Glaubwürdigkeit des Bürgers Dr. Gujjula im kleinen Altlandsberg bei, der sich hier nach der Wende als frei praktizierender Arzt niederließ. Ihm half wohl auch, daß er trotz seiner Erfahrungen vor 1989 nicht in eine Opfer-Attitüde verfiel. »Die Erinnerung an die DDR möchte ich nicht missen«, sagt er noch heute. Was er damals gut fand, mache er nicht nachträglich schlecht. Und damalige Fremdenfeindlichkeit? Er blickt verständnislos: »Die gab es mit Sicherheit nicht!« Noch 1990, bei der Wiederholung der annulierten Kommunalwahlen des Vorjahres, profitierte er vom DDR-Recht und wurde als Ausländer ganz selbstverständlich ins Altlandsberger Stadtparlament gewählt. Vier Jahre später ließ es das inzwischen aus dem Westen überkommene Wahlrecht nicht mehr zu, dass er für das Bürgermeisteramt kandidierte. Er mußte die indische Staatsbürgerschaft ablegen, um die deutsche zu bekommen -einer der Gründe, warum er sich so sehr für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht engagiert.
Im Frühjahr 1998, also lange bevor es parlamentarische Mehrheiten für neue gesetzliche Regelungen dazu gab, setzte er sich mit einigen Gleichgesinnten zusammen und gründete die »Altlandsberger Initiative«, die für die Erleichterung der Einbürgerung von Ausländern warb und zugleich die Bürger Brandenburgs zu mehr Engagement gegen Fremdenhass und Gewalt aufforderte. Viele Prominente unterzeichneten damals das Papier: Ministerpräsident Manfred Stolpe, die Minister Hildebrandt, Reiche, Peter, auch Bisky und Kutzmutz von der PDS. Nun gibt es ein neues Gesetz, aber Gujjula ist nicht zufrieden. »Es ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend«, sagt er und bedauert, daß die SPD, der er 1998 beitrat, nicht mehr getan hat, um die Bürger für das Projekt zu gewinnen. »Solange man nicht die Mehrheit der Bürger hat, erreicht man nichts.«
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Also muss er diese Mehrheit immer wieder gewinnen, auch in Altlandsberg mit seinen viereinhalbtausend Einwohnern. Die hätten gern einen privaten Wachdienst zu ihrer Sicherheit, doch Gujjula hat lieber den Bau einer großen Mehrzweckhalle durchgesetzt; sie soll den zahlreichen Sportgruppen eine Trainingsmöglichkeit bieten. Manche sagen, damit seien die jährlich sechsstelligen Unterhaltungskosten nicht hereinzuholen. Zwar muß auch Rene Koth einräumen, daß der Bürgermeister das Geld für den Bau zusammengebracht hat, aber: »Solch ein Projekt ist keine Pflichtaufgabe der Gemeinde. Es gibt kein Betriebskonzept. Keiner weiß, wie es künftig zu bezahlen ist.« Der Grafiker Johannes Niedlich, als Einzelkandidat in das Stadtparlament gewählt, spricht gar von »Populismus«, nachdem er sich zuvor noch über herumlungernde Jugendliche im Ort beklagt hatte. Gerade die aber kämen von der Straße, verteidigt Helmut Friske den Bau. Der pensonierte Pfarrer sieht darin eine Investition für die Jugend: »Sie wird beschäftigt, kommt im Sport, beim Tanzen mit Ausländern zusammen.« Er leugnet die finanzielle Belastung nicht, doch sei sie durch die Vorteile gerechtfertigt.
Wenn es um solche kommunalen Angelegenheiten geht, möchte Ravindra Gujjula ein ganz normaler Bürgermeister sein, der »nur ein bißchen anders aussieht«. Inzwischen weiß er, daß er es doch nicht kann – und letztlich auch nicht will. Im Winter fuhr er ins sächsische Zittau, mit einem Kamerateam, dem er als Demonstrationsobjekt diente. Mit einer schwarzen Pudelmütze auf dem Kopf trat er an ein Taxi heran – und hörte ein hartes Nein-. »Ich fahre Sie nicht.« Es half keine Diskussion, kein Hinweis auf seinen deutschen Paß, daß er Arzt sei, nichts. Die Taxifahrer schilderten unverblümt ihre Erfahrungen mit Bundesgrenzschutz, Polizei, Gerichten, die sie sofort der Komplizenschaft mit illegal Eingereisten bezichtigen, wenn sie jemanden befördern, der »ein bißchen anders aussieht«.
Für den promovierten Arzt war es eine schlimme Erfahrung, mitten in Deutschland ein Nichts zu sein, nur seiner dunklen Hautfarbe und seiner akzentuierten Sprache wegen. Ob beim stellvertretenden Landrat, am Polizeiwagen, vor BGS-Beamten – nirgends wurde er akzeptiert, ernst genommen, allenfalls förmlich behandelt, mitunter gar verhöhnt und zwischendurch auch schon mal unvermittelt geduzt. Unangenehm sei kein Ausdruck dafür, sagte er, es war viel schlimmer. Dr. Gujjula schämte sich – für Deutsche, die ja nun seine Landsleute sind.
Solche Aktionen finden in Altlandsberg ein geteiltes Echo, auch wenn keiner offen Kritik übt. Allenfalls: Er hat sich lächerlich gemacht. Zumeist: Er ist zuviel unterwegs, kümmert sich nicht genug um die Stadt. Die Leute beschreiben ihn zwar als drängenden, oft ungeduldigen, viel selbst auf den Weg bringenden Mann. Er hat auch einiges zustande gebracht, das ist in Ordnung. Doch was hat Altlandsberg von seinem Einsatz für Ausländer? »Wenn man als Dorfbürgermeister die Möglichkeit hat, ins amerikanische Fernsehen zu kommen, dann muß auch etwas für den Ort herausspringen«, klagt Koht. Kein Investor habe sich gemeldet.
In der Stadt müssten Ausländer nichts befürchten. Den beiden Vietnamesen mit ihrer Imbißbude auf dem Markt standen die Altlandsberger sogar mit einer Unterschriftensammlung bei, als sie ausgerechnet der Bürgermeister der Ästhetik wegen in eine Seitengasse verbannen wollte. Hier sei es schließlich nicht wie in Kreuzberg, sagt Lothar Struwe, Stadtverordneter der Wählergemeinschaft »Bürger für Altlandsberg« befriedigt. »Die Ausländer fügen sich ein, sie akzeptieren, was in der Stadt passiert. Wenn ich andere in Ruhe lasse, läßt man auch mich in Ruhe.« Das PDS-Mitglied steht zu Gujjula: »Er ist schon so lange hier, da wird er gar nicht mehr zur Kategorie Ausländer gezählt.«
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Was dem einen zuviel ist, kann für den anderen nie genug sein. Für die Brandenburger SPD ist Gujjulas Engagement für Toleranz und Verständnis geradezu ein Geschenk des Himmels. Ihr junges Mitglied spricht auf Foren, bereichert wissenschaftliche Kongresse mit seiner Anwesenheit und konnte gar als SPD-Wahlmann über die Person des neuen Bundespräsidenten mitbestimmen. Immer, wenn die harten Tatsachen zu allzu ungünstigen Schlagzeilen für das Land führen, erinnert man sich in Potsdam an den Altlandsberger Bürgermeister. Dann zeigt man auf ihn und seine Karriere und kann sagen: Es gibt nicht nur das böse Brandenburg, sondern auch noch ein anderes.
Er läßt es geschehen, wenn er damit etwas bewirken kann, läßt sich benutzen, um selber benutzen zu können. Allerdings nicht um jeden Preis. So trat er zur letzten Wahl nicht als SPD-Mitglied, sondern als Einzelkandidat an, und kürzlich, als die Sozialdemokraten ihre Landtagskandidaten aufstellten, war er mit dem ihm vom Landesvorstand zugewiesenen aussichtslosen Listenplatz unzufrieden. Er forderte einen sicheren Kandidaten heraus, ausgerechnet den Landesgeschäftsführer Klaus Ness. Das brachte die Zentrale ins Dilemma. Natürlich sollte der Funktionär gewinnen, aber doch das »Symbol« nicht verlieren. Gujjula widerstand all jenen Beredsamen, die ihn von seinem Entschluss abbringen wollten. »Ich habe keinen Respekt vor jemand, der ihn nicht verdient«, begründete er seine Entscheidung – und stand am Ende nicht allein. 58 der 150 Delegierten sahen es ähnlich wie er; nur knapp kam Ness über die Hürde. »Natürlich hätte ich gern gewonnen, aber auch so konnte ich mit erhobenem Haupt aufstehen.«
Als der Student Ravindra Gujjula einst in die DDR kam, war das aus indischer Sicht ein Abendland, wenngleich mit der Verheißung der Morgenröte. Sie erfüllte sich nicht, und was blieb, ist harte Arbeit für ein vernünftiges Zusammenleben. Dr. med. Gujjula weiß inzwischen, wie weit der Weg noch ist. Zwar verdrängt er gelegentliche Angst um die eigene Person, aber wenn seine Tochter Prya (Liebe) und der Sohn Rico (Friedensfürst) zur Disco gehen, dürfen sie nicht allein nach Hause fahren. Dann holt sie der Vater mit dem Auto ab. Wie lange noch mag er Liebe und Frieden nicht trauen?
(Veröffentlicht in »Neues Deutschland« vom 17.07.1999)