Der Bundespräsident als Retuscheur

(pri) Dieser Tage ging ein Foto aus dem fernen Nordkorea um die Welt, auf dem beflissene Geister die Trauerzeremonie um den verstorbenen Kim -Jong-Il von vermeintlicher Disharmonie befreit hatten, indem sie ein Fernsehteam wegretuschierten und den schon etwas ergrauten Schnee frisch weißten. Man lachte hierzulande zu Recht darüber, übersah dabei aber zumindest fahrlässig, dass solches Retuschieren keine fernöstliche und zudem totalitäre Spezialität ist, sondern die Schönung des Bildes höchster Würdenträger auch um die nächste Ecke vorkommt – und dabei sogar diese selbst Hand anlegen. Zwar hat Christian Wulff – zumindest nach derzeitigem Erkenntnisstand – keines seiner Fotos von unschönen Flecken gereinigt; doch was seine Vita angeht, drang er entschlossen auf Retusche und zeigte schon mal die Werkzeuge, die er für die Weißwaschung einzusetzen gedachte.

 

Dafür gibt es Vorbilder, zum Beispiel im Freistaat Thüringen, wo 1998 Helmut Kohl und Ministerpräsident Bernhard Vogel mit dem amerikanischen Präsidenten Clinton auf einer Kundgebung posierten, auf der jemand eine Plakat mit dem despektierlichen Spruch »Ihr habt auch in schlechten Zeiten dicke Backen« hochhielt.In einer Werbebroschüre der Landesregierung fehlte dieser Störfaktor später; er war dort durch jubelnde Menschen ersetzt worden. Auch hier kann man beflissene Geister hinter der Säuberungsaktion vermuten und nicht die Herren Vogel, Kohl oder gar Clinton. Hohe Herrschaften lassen sich zwar mittlerweile sehr wirksam vor jenen schützen, die ihnen Böses wollen, kaum jedoch vor denen, die ihnen Gutes zu tun meinen.

 

Zu letzteren gehört auch unser Noch-Bundespräsident – und das sogar in eigener Sache. Die grauen bis schwarzen Flecken seiner Biografie kennt er wohl, und sie treiben ihn mehr um als das Funktionieren der staatlichen Ordnung, auf die er geschworen hat. Sie zu tilgen ist ihm höchstes Anliegen; dazu telefoniert er sogar aus dem fernen Kuweit mit einem Anrufbeantworter der »Bild«-Zeitung. Wie Orwells Big Brother, der eine riesige Behörde installiert hatte, um unter anderem unliebsame Wahrheiten aus alten Zeitungen zu korrigieren und der gerade aktuellen »Wahrheit« anzupassen, betreibt er dieses Geschäft zur Verklärung der eigenen Person. Nicht allein durch Retusche, sondern gleich durch Vertusche soll das Bild makelloser Majestät gezeichnet werden.

 

Ob er damit Pech gehabt hat, ist noch nicht entschieden. Schließlich ist er nicht der einzige, der hier die Retusche unangenehmer Realität betreibt, sie beginnt schließlich schon beim alltäglichen Vorgang, dass negatives Regierungstun mit positiven – oder wenigstens unverständlichen – Begriffen besetzt wird. Und setzt sich fort, wenn man – vor allem linke – Kritik an solcherart Regieren kriminalisiert. Insofern ist Christian Wulff durchaus ein würdiger Vertreter bundesdeutschen Establishments, dem eigentlich nur mangelndes Retuschegeschick vorgeworfen wird. Der Fehler des laut Kanzlerin »wunderbaren« Bundespräsidenten war, dass er sich erwischen ließ.

 

2 Replies to “Der Bundespräsident als Retuscheur”

  1. @ eule70:
    Die Rede ist bekannt und wurde auch – überwiegend kritisch – zur Kenntnis genommen. Allerdings nicht nur, weil sie manchem nicht in den Streifen passte, sondern auch, weil daraus nichts folgte: Weder Konstruktives in der Rede selbst noch später in der Politik. Wulff ließ Merkel und Schäuble gewähren und segnete die Rettungsschirme ab. Siehe:

    http://www.sueddeutsche.de/politik/bundespraesident-wulff-kritisiert-ezb-und-politik-praesident-klein-klein-1.1135034

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,782157,00.html

    http://www.welt.de/politik/deutschland/article13565680/Schaeuble-haelt-Wulffs-Krisen-Kritik-fuer-unangebracht.html

    http://www.schwaebische.de/region/wir-im-sueden/nobelpreistraegertagung-in-lindau_artikel,-Ganz-Deutschland-diskutiert-Wulffs-Lindauer-Rede-_arid,5123627.html

    http://archiv.sueddeutsche.de/b5X383/274141/Die-neue-Reue.html

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