Der Schnellschuss Gauck könnte sich als Rohrkrepierer erweisen

(pri) Für etwas unter seiner Würde schien Joachim Gauck das Ganze wohl doch, so aufgelöst, wie er am Sonntagabend vor den Fernsehkameras saß – eben mal per Telefon aus einem Taxi ins höchste Staatsamt bugsiert, und das »noch nicht mal gewaschen«. Aber auch die anderen Akteure der Pressekonferenz ohne Fragerecht sahen nicht sonderlich glücklich aus, auch wenn oder gerade weil einige besonders begeisterte Miene zu dem gerade veranstalteten Pokerspiel zu machen versuchten.

 

Dessen erste Verliererin war ohne Zweifel Angela Merkel, und das nicht nur, weil sie – ähnlich wie nach Fukushima – erneut eine Kehrtwendung um 180 Grad vollführen musste, diesmal aber ohne auf höhere Gewalt verweisen zu können. Nicht eine Naturkatastrophe hatte ihre voluntaristische Politik diesmal zu Fall gebracht, sondern der schon fast verröchelte – und gerade deshalb zu allem entschlossene – »Koalitionspartner« FDP, zuletzt im Verein – und das mag für sie besonders alarmierend sein – mit der so schweigenden wie wachsenden Gruppe von innerparteilichen Gegnern aus der konservativen und wirtschaftsliberalen Ecke. Ihnen ging das von der Kanzlerin eröffnete Geplänkel mit möglichen neuen Mehrheiten eindeutig zu weit, und sie stoppten es auf eine Weise, die sich auch gegen Angela Merkel als Person richtete – indem sie den von ihr vor zwei Jahren noch heftig bekämpften, schließlich auch verhinderten und jetzt erneut abgelehnten Joachim Gauck aufs Schild hoben.

 

Dieser hatte diesen Schritt der FDP wie der rechten Union auch dadurch leicht gemacht, dass er in den letzten Monaten in seinen Positionen immer weiter nach rechts gerückt war, die Thesen Sarrazins »mutig« fand, für die antiimperialistische Occupy-Bewegung nur Häme übrig hatte, den von Schröder bis Merkel betriebenen Sozialabbau immer wieder begrüßte und dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr nur gute Seiten abzugewinnen vermochte. Dass ihn SPD und Grüne dennoch erneut auf den Schild hoben, obwohl er ihnen politisch inzwischen noch ferner steht als vor zwei Jahren, ist eigentlich nur aus deren taktischem Kalkül heraus zu erklären, Angela Merkel werde Gaucks Kandidatur nie zulassen, könnte aber mit das Forderung danach wirksam vorgeführt werden, ohne dass der Ex-Pastor am Ende das Amt tatsächlich bekomme. Sollten die beiden von Angela Merkel umworbenen Oppositionsparteien so kalkuliert haben, ist das gründlich daneben gegangen, und sie werden mit einem Bundespräsidenten in den nächsten Wahlkampf ziehen müssen, der sie garantiert nicht an der Regierungsspitze sehen will. SPD-Chef Gabriel versuchte dies am Sonntag mit Einsilbigkeit zu quittieren, während man bei den emphatischen Lobeshymnen von grüner Seite das Gefühl hatte, sie sollten die plötzliche Verunsicherung überspielen.

 

Inwieweit schließlich die FDP, die mit ihrer Drohung des Koalitionsbruchs die Kandidatur Gaucks erzwang, daraus tatsächlich Profit zieht, bleibt abzuwarten. Gerade die konservativen und wirtschaftsliberalen Positionen des Kandidaten könnten das diesbezüglich schlechte Image der Freidemokraten noch verstärken, der vermeintlich Coup sich auch für seine Urheber als Rohrkrepierer erweisen.

 

Und was den Bundespräsidenten in spe selbst angeht, wird er die Quadratur des Kreises versuchen – so wie er es in seinem Leben stets gehalten hat. Gauck war immer nur im Wort gewaltig, in der Tat jedoch pragmatisch. Den ganz großen Konflikt scheute er, ob in der DDR oder nach 1989. Aufschluss darüber gab eine Biografie, die er vor zwölf Jahren verfertigen ließ und zu der damals eine Rezension erschien, die vielleicht auch heute noch von Interesse ist, will man die Person Joachim Gauck verstehen.

 

Ein Leben hinter der Larve

 Joachim Gauck ließ sich eine Biografie fertigen – und ist nicht damit zufrieden

 Von Peter Richter
 Heute wird der Bundestag mit Marianne Birthler eine neue »Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicher­heitsdienstes der ehemaligen DDR« wählen. Derweil kämpft der scheidende Amtsverwalter Joachim Gauck um ein makelloses Selbstbild für die Nachwelt.

Oft sind es beinahe nebensächliche Details, die am ehesten ein Schlag­licht auf einen Menschen werfen. In seinem Buch »Joachim Gauck. Die Biografie einer Institution« schildert der »Welt«-Journalist Norbert Robers den Auftritt seines Protagonisten in der Berli­ner Humboldt-Universität, wo er die »Enttarnung« des Rektors Heinrich Fink als IM verkündete: »Er trat ans Podium mit der Bemerkung: >Gelassen und mit Freude erwarte ich die Proteste einer PDS-gesteuerten Universitätsöffentlichkeit.< Er ballte die Hand zur Faust, um seine Ent­schlossenheit zu zeigen.« Die Szene verrät zweierlei: Zum einen Gaucks militanten Antikommunismus, zu dem er sich immer wieder bekennt. Und zum anderen seine Selbstgerechtigkeit, die totale Überzeu­gung von sich und seiner Mission.

Seine antikommunistische Haltung be­gründet Joachim Gauck mit dem Schicksal seines Vaters, der 1951 unter falschen Beschuldigungen in die Sowjetunion ge­bracht wurde, wo er fast drei Jahre in ei­nem Gefangenenlager arbeiten musste. Folglich waren für ihn die Russen »uner­wünschte Eroberer« und Adenauer, der die Rückkehr der Gefangenen ausgehan­delt hatte, »unser Held«. Auch in der Schule empfand der junge Gauck Pein – so sehr, »dass er eine bayerische Bekennt­nisschule des vorigen Jahrhunderts als einen Hort der Liberalität feiern würde«. Die Ablehnung der DDR und ihres Sys­tems hinderte Joachim Gauck indes nicht, in ihrer Gesellschaft seinen Platz zu finden – und ihn zu verteidigen. »Ich war nie ein Fundamental-Oppositioneller, aber nicht weil es an Mut mangelte, sondern weil ich es für taktisch unklug hielt«, gesteht er ein. So verwundert es nicht, dass er weder als Landpfarrer im mecklenburgischen Lüssow ab 1967 und lange auch später nicht in Rostock-Evershagen, wo er in ei­nem Neubaugebiet eine evangelische Ge­meinde aufbaute, ins Visier der Staatssi­cherheit geriet. 1983 wurde schließlich der operative Vorgang (0V) »Larve« an­gelegt, der bis Ende 1988 auf fast 200 Seiten anwuchs, ehe er geschlossen und archiviert wurde. Damals urteilte das MfS. »dass von ihm derzeit keine Aktivitäten ausgehen, die eine weitere Bearbeitung im 0V erforderlich machen«, Sein Füh­rungsoffizier empfahl gar, einen IM-Vor-lauf anzulegen, Gauck hatte sich beson­ders bei der Vorbereitung des Rostocker Kirchentages außerordentlich kooperativ gezeigt und erklärte sich auch zu weiteren Gesprächen mit dem MfS bereit. Sein Bio­graf jedoch traut – anders als Gauck ge­wöhnlich – den Akten nicht recht und be­wertet diese Aussagen als »eine Mischung aus Wunschdenken und politisch moti­vierter Verleumdung«.

Heute will der Aktenverwalter seine damals realistische und ihm nicht vor­werfbare Haltung nicht mehr wahrhaben. Er wollte unter den obwaltenden Verhält­nissen etwas bewirken, wollte seine Auf­gabe als Kirchenmann erfüllen – und musste dazu Kompromisse machen. Nicht anders etwa als Manfred Stolpe, wenn­gleich auf wesentlich niedrigerem Niveau. Doch während er Stolpes MfS-Kontakte als Kollaboration mit dem Geheimdienst anprangerte, sieht er sich selbst »in er­bitterte Kämpfe mit der Stasi verwickelt«. Jene Zivilcourage, die er bei anderen zu Recht lobt, ging ihm – jedenfalls in der ri­gorosen Konsequenz totaler Verweige­rung, die er offenbar allein gelten lässt – ab. Er verhielt sich normal und durchaus vernünftig – wie viele andere, denen er das heute vorwirft, weil er besser sein, sich über sie erheben will.

Aus diesem Grunde auch führt er einen erbitterten Kampf gegen all jene, die seine Rolle in der DDR anders darstellen. Schon auf der zweiten Seite der Einleitung – die erste zählt seine Medaillen und Auszeich­nungen auf – geht Robers auf Gaucks Stasiakte ein, auf seine juristischen Aus­einandersetzungen mit Peter-Michael Diestel, Er konzentriert sich dabei auf jene Teile, die ihn als »Systemkritiker und Op­fer von Verfolgung« darstellen, während all das. was über »Begünstigungen« sei­tens des MfS, wie es Diestel nennt (siehe auch ND vom 25.September 2000), aufge­zeichnet ist, weitgehend ausgeblendet wird. Aber auch sein Biograf kann nicht verschweigen, dass Gauck ausgerechnet in den Jahren 1988 und 1989 »seinen Wi­derstand gegen den Staat dem kirchlichen Amt untergeordnet hatte«.

Erst am 4. November 1989 sah er »die Zeit für reif an, auch außerhalb der Kirche politisch aktiv zu werden« – nun aber mit aller Macht. Vieles gab er auf, seine Fami­lie, menschliche Bindungen, um sich ganz und gar als »politischer Missionar« zu betätigen. Mit einem Rigorismus, der in erstaunlichem Widerspruch zu seiner Kompromissbereitschaft in der DDR stand, ging er schließlich an die Auswer­tung der Stasi-Hinterlassenschaft. Er ver­trat die Öffnung der Akten, allerdings in streng rechtsstaatlichen Grenzen, was das Scheitern bedeutet hätte. »Es handelt sich um einen Beitritt der DDR zur Bundesre­publik, nicht um die umgekehrte Veran­staltung. Ihr seid herzlich willkommen. Aber hier findet nicht die Vereinigung zweier gleicher Staaten statt«, hatte Wolf­gang Schäuble höhnisch den DDR-Unter­händlern entgegengehalten. Und folglich fehlte die Aktenöffnung im Einigungsver­trag. Erst ein durch Gauck abgelehnter Hungerstreik der von ihm herzlich ver­achteten Bürgerrechtler zwang die Bun­desregierung zu Einlenken und sicherte – Ironie der Geschichte – Joachim Gauck für zehn Jahre sein hoch dotiertes Amt.

Obwohl sich Gaucks Biograf bemüht, dessen Weg »vom Aktenverwalter zur mo­ralischen Instanz« in bestem Gefälligkeitsjournalismus zu zeichnen, sind dem Auftraggeber einige unpassende Fakten und vorsichtig distanzierende Anmerkun­gen schon zu viel. Eine »schöne« Larve will er zeigen, nicht sein wahres Gesicht. Ob es da die ursprünglich geplante »einzig autorisierte« Biografie sein wird, die in diesen Tagen auf den Markt kommt?

Norbert Robcrs: Joachim Gauck. Die Biografie einer Institution, Henschel Verlag Berlin. 240 Seiten, 38 DM.
(Erschienen in: »Neues Deutschland« vom 29.September 2000)

 

One Reply to “Der Schnellschuss Gauck könnte sich als Rohrkrepierer erweisen”

  1. Nach allem, was man inzwischen über den eitlen Herzensbrecher Gauck erfahren hat, ist diese Rezension von 2000 eine wahrhaft prophetische Beschreibung. Bravo! Sollte der polygame Märchenonkel jetzt dem glamoursüchtigen Schnäppchenjäger im höchsten Staatsamt Deutschlands nachfolgen, dann erwarten uns noch weitere Überraschungen.

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