Innenminister Friedrich spielt mit dem Verfassungsbruch

(pri) Wenn man den dramatischen Ankündigungen glauben will, wird Deutschland am kommenden Donnerstag in eine Katastrophe schlittern. Dann nämlich soll die Bundesregierung Strafzahlungen »in Millionenhöhe« leisten, weil sie diese letzte Frist zur Einführung der vorsorglichen Speicherung von Telekommunikationsdaten nicht eingehalten hat. So jedenfalls trommeln Politiker und die ihnen zugetanen Medien seit Tagen und haben längst auch die Schuldige dafür ausgemacht: Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger. Sogar eine konkrete Strafgeld-Zahl wurde bereits errechnet: 70 Millionen Euro.

 

Sieht man einmal davon ab, dass diese Summe angesichts der immer neuen Milliarden, die die Regierung zur Erhaltung schwindsüchtiger, aber für ihre Betreiber dennoch lukrativer Banken steckt, nicht mehr als die berühmten Peanuts sind, erweist sich bei näherem Hinsehen auch die Panikmache als wohlkalkuliert und von den Tatsachen weit entfernt. Denn ein Vertragsverletzungsverfahren mit anschließenden Strafzahllungen ist erst nach einem komplizierten Verfahren und einem gültigen Urteil des Europäischen Gerichtshofes überhaupt möglich. Ein einzelnes Mitglied der EU-Kommission hat gar nicht die Befugnis, Strafgelder nach eigenem Gutdünken einzuziehen.

 

Noch schlimmer aber als solche Unredlichkeit in Formfragen ist die Desinformation der Öffentlichkeit in der Sache, bei der Regierungspolitiker und viele Medien ebenfalls Hand in Hand arbeiten. Denn sie alle verschweigen, dass die vom Innenminister angestrebte Regelung, die den Vorgaben der EU-Kommission entsprechen soll, im Kern dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2010 zuwiderläuft. Zwar haben die Karlsruher Richter die sechsmonatige anlasslose Speicherung aller Telekommunikationsdaten nicht expressis verbis verworfen, jedoch indirekt dafür so hohe Hürden aufgestellt, dass sie faktisch nicht verfassungskonform zu realisieren ist. Insbesondere verlangt das Bundesverfassungsgericht eine gründliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Datenspeicherung; weil es dabei um »überragend wichtige Rechtsgüter geht«. Sie komme nur beim »begründeten Verdacht einer schwere Straftat“ in Frage; ansonsten seien weniger gravierende Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen. Geheimdienste dürften auf solche Daten nur zurückgreifen, wenn es für eine Bedrohung von Leib und Leben oder der Sicherheit der Bundesrepublik »tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr« und nicht nur Vermutungen gäbe. Das Gericht selbst schließt daraus, »dass damit eine Verwendung der vorsorglich gespeicherten Telekommunikationsverkehrsdaten von Seiten der Nachrichtendienste in vielen Fällen ausscheiden dürfte«.

 

Gerade die verfassungsmäßige Problematik der von Innenminister Friedrich gewünschten Regelung hat die Justizministerin veranlasst, bei den eigenen Vorschlägen sehr restriktiv vorzugehen. Auch sie gesteht eine gewisse Vorratsdatenspeicherung zu, aber in sehr engen Grenzen und vor allem anlassbezogen – so wie es das Bundesverfassungsgericht faktisch fordert. Bundeskanzlerin Merkel jedoch interessiert das Grundgesetz überhaupt nicht. Für sie steht eine EU-Verordnung offensichtlich darüber, wenn sie sagt: »Um den Erfordernissen und den Anforderungen der europäischen Regeln zu entsprechen, müssen wir eine solche Umsetzung finden, die dem Inhalt der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung entspricht.« Friedrich sie es ganz ähnlich und will – wie schon sein Vorgänger Thomas de Maizière – vom verfassungswidrigen Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung so viel retten wie nur möglich – auch um den Preis eines Verfassungsbruches. Da er qua Amt auch als Verfassungsminister gilt, ist hier im wahrsten Sinne des Wortes der Bock zum Gärtner gemacht worden – gewiss nicht zufällig, sondern mit Bedacht, denn angesichts der wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der neoliberalen Politik der Regierung möchte sich der Staat wohl wappnen, um jeden substanziellen Protest im Keime zu ersticken.