(pri) Immer weniger stört sich die »demokratische« Staatsmacht führender westlicher Länder daran, dass die von ihr produzierten Bilder zur Bekämpfung öffentlichen Protestes gegen eine neoliberale Politik, die immer größere Teile der Bevölkerung für die Gewinnmaximierung von Unternehmen und Banken bluten lässt, jenen Szenen gleichen, die bislang vor allem aus Peking und Moskau, aus Kiew und Minsk verbreitet und zugleich von den staatstragenden Medien mit dem Ausdruck höchster Empörung gegeißelt wurden. Das Geschehen dieses Wochenendes in Frankfurt am Main mit dem beinahe flächendeckenden Verbot jeglichen Protestes durch den hessischen Innenminister, einer beflissenen hessischen Justiz, einem ebenso willfährigen Bundesverfassungsgericht und dem massiven Einsatz von Tausenden Polizisten mit Massenfestnahmen und Knüppelattacken zur Durchsetzung faktisch verfassungswidriger Maßnahmen übertrifft teilweise die Bilder aus der ehemals kommunistischen Welt; weder für die parlamentarische »Opposition« noch für die meisten Medien Grund für einen ähnlichen Aufschrei, wie er stets solche Szenen beim vermeintlich ideologischen Gegner begleitet.
Und doch sind die martialischen Vorgänge aus der deutschen Metropole der Hochfinanz, die ihr Pendant zur gleichen Zeit in Chicago, der US-Zentrale des organisierten Verbrechens, aus Anlass der dortigen NATO-Tagung fanden, nur das äußere Zeichen einer schleichenden Entwicklung, die sich mehr und mehr von demokratischen Standards verabschiedet und des Staatsorganen freie Hand bei der allmählichen Eliminierung solcher verfassungsmäßiger Grundprinzipien wie Mitsprache, freie Meinungsäußerung oder Versammlungsfreiheit gibt.
Ausgerechnet der ehemalige Verfassungsrichter und Bundespräsident Roman Herzog tritt für die weitere Einschränkung der ohnehin bescheidenen Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger ein, indem er die Heraufsetzung der verfassungsrechtlich bedenklichen Fünf-Prozent-Klausel anregt. »Zu viele kleine Parteien« verhinderten, dass der Bundeskanzler von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen werde – ein offenes Plädoyer für demokratiefeindlichen Zentralismus, das die Ursachen für den sinkende Vertrauen in Regierungsinstitutionen total ausblendet. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann ergänzt das durch den Vorschlag, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken. Behaupteter Anlass sind ihm Hasspredigten von Salafisten, einer verschwindend geringen Splittergruppe unter der hiesigen Bevölkerung islamischen Glaubens. Doch die Keule gegen die Meinungsfreiheit, erst einmal ins Arsenal der staatlichen Zwangsmittel aufgenommen, lässt sich natürlich prächtig gegen jede widerstreitende Meinung einsetzen, womit Schünemanns Vorschlag auf die faktische Gleichschaltung des öffentlichen Meinunsbildes hinausläuft.
Hintergrund derartiger Vorschläge ist die deutliche Zunahme der sozialen Proteste in der westlichen Welt. Je verzweifelter die Lage vieler Menschen im Machtbereich des Kapitalismus wird, desto mehr wächst ihr Zorn auf die von anderen verschuldeten Verhältnisse und ihre Bereitschaft, dagegen auch auf die Straße zu gehen. Schon gibt es Anzeichen für umstürzlerische Aktivitäten, wie sie aus der Frühzeit des Kapitalismus bekannt sind. Und niemand sollte glauben, dass das Kapital zu einer ähnlichen Friedfertigkeit bereit sein könnte, wie sie der Sozialismus – von Ausnahmen abgesehen – an den Tag legte, als Massendemonstrationen die Funktionsfähigkeit seiner Machtorgane ernsthaft in Frage stellten. Schon wird – wie jüngst in Italien – der Einsatz von Militär angeordnet, um 400 Objekte, darunter Firmensitze und Finanzämter, und zahlreiche hochrangige Personen, vor allem Manager, zu schützen. Schnell ist der Slogan vom »Terroristen« zur Hand, um solche Maßnahmen zu rechtfertigen, doch wer zu den Terroristen zählt, ist eine Definitionsfrage des Staates. Ist Gefahr für den Kapitalismus im Verzuge, kann letztlich jeder, der sich gegen das herrschende System auflehnt, in diese Kategorie eingeordnet und entsprechend bekämpft werden.