(pri) Mit der Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), durch den Ankauf von Staatsanleihen hoch verschuldeter Staaten unter Einsatz frisch gedruckten Geldes in – bei Bedarf – unbegrenzter Höhe die Euro-Krise wenigstens für eine gewisse Zeit zu entspannen, gehen Wirtschaftsunternehmen und die ihnen dienstbaren Regierungen einen Schritt zurück auf den seit einigen Jahren forcierten Weg, die in Europa bislang geltenden Sozialstandards drastisch abzusenken, um in der globalisierten Welt die eigenen Profite auch künftig sicherzustellen. Dazu veranlasst haben sie die wachsenden innenpolitischen Spannungen nicht nur in Griechenland, sondern zunehmend auch in Spanien, Italien und Frankreich, die immer mehr als Risiko erkannt wurden und deshalb zunächst beruhigt werden sollen, ehe das Programm des Sozialabbaus fortgesetzt wird.
An dessen Dringlichkeit wird kein Zweifel gelassen, weshalb nicht nur weitere Kompetenzen von den nationalen Parlamenten auf die Brüsseler Bürokratie als Sachwalter von Wirtschaftsinteressen übergehen sollen, sondern die Atempause auch zeitlich streng begrenzt ist. Besonderer Einpeitscher dieses Kurses war und ist die deutsche Bundesregierung im Auftrag der heimischen Wirtschaft, die der größte Profiteur der Verschuldung vor allem der südeuropäischen Länder war und ist. Seit Einführung des Euro haben sie diese Länder durch aggressiven Export systematisch in die Schuldenfalle getrieben – freilich ohne auf sonderlichen Widerstand zu stoßen. Jetzt nutzen sie die Verschuldung zum sozialen Kahlschlag – nicht zuletzt in Deutschland selbst mit dem fadenscheinigen Argument, auch hier seien weitere »Reformen«, ein Euphemismus für Sozialabbau, unumgänglich. Die sozialen Verwerfungen in den betroffenen Länder interessieren deutsche Wirtschaftskreise und ihre Vertreter vor allem in der Union und FDP wenig; Bundesbankchef Weidmann hat sich bis zuletzt gegen die EZB-Beschlüsse gestemmt. Angela Merkel allerdings, bisher im Stile einer »eisernen Lady« in Europa unterwegs, reagierte verhalten, aber sie agiert ja auch nicht nach Prinzipien, sondern machtbezogen und stellt deshalb die wachsende Unzufriedenheit über Sozialkürzungen, die auch in der Bundesrepublik zu beobachten ist, in Rechnung. Außerdem überwiegt derzeit noch die Auffassung, dass die Verwertungsbedingungen des Kapitals innerhalb der bestehenden EU und mit dem Euro noch immer besser sind als ohne diese Institutionen.
Inwieweit die EZB-Beschlüsse die EU-Finanzkrise tatsächlich entschärfen können, steht dahin, doch sie verdeutlichen zugleich etwas anderes: Es gibt eine Kraft, die durchaus Einfluss auf das Agieren der Banken, der Wirtschaftsunternehmen und der Regierungen hat – der Widerstand der Völker gegen eine Fortsetzung der großen Umverteilung. In dem Maße, wie sie sich gegen Kürzungen von Löhnen, Renten und öffentlichen Ausgaben wehren, erhöhen sie für die Regierungen die politischen Unwägbarkeiten und stören sie die Wirtschaft bei ihrem Kurs der Profitmaximierung. Es lohnt sich also auf die Straße zu gehen, die Regierungsämter zu belagern und den Sprechblasen der Politiker und Wirtschaftslobbyisten eine starke Stimme des Protestes entgegenzusetzen.
Die Euro-Krise ist zur Systemkrise des gegenwärtigen Kapitalismus in Europa geworden. Es gibt keine direkte Lösung, weil der Euro als Einheitswährung bereits nach 10 Jahren gescheitert ist. Das erfolgreiche System der Auf- und Abwertungen der nationalen Währungen gegeneinander, wurde leichtfertig zerstört. Eine Währung muß der Wirtschaftsstärke des Staates angepaßt sein. Das lernt jeder Student der Volkswirtschaft im Grundlagenstudium. Ein warnendes Beispiel war die Einführung der Deutschen Mark in der DDR am 01.Juli 1990, die zum (damals allerdings gewollten) Zusammenbruch des DDR-Außenhandels führte. Die Europäische Union droht jetzt politisch in Teilblöcke zu zerbrechen. Der Versuch, durch Kürzung der Sozialleistungen zu stabilisieren, beschleunigt lediglich diesen Prozeß der Renationalisierung.