(pri) Von mehr Transparenz bei der Offenlegung der Nebentätigkeiten von Bundestagsabgeordneten hält der frisch gebackene Kanzlerkandidat der SPD wenig, auch wenn er sich ihnen notgedrungen unterwerfen würde. Denn eigentlich gäbe es solche Regeln, so Steinbrück, »nur in Diktaturen«. Damit hat er sich – ganz ungewollt – gewissermaßen selbst zum Diktator ernannt.
»Ich glaube, dass eine gewisse Privatheit gelten muss. Ich glaube, dass es Transparenz nur in Diktaturen gibt«, sagte Peer Steinbrück kürzlich in einem Rundfunkinterview. Er hatte wohl vergessen, dass eine »gewisse Privatheit« bereits seit einiger Zeit abgeschafft ist – gerade im Hinblick auf das Einkommen und Vermögen von Bürgern dieses Landes. Denn seit der Regierungszeit von Rot-Grün unter Gerhard Schröder und mit voller Zustimmung auch von Peer Steinbrück ist es hierzulande Praxis, die Konten von Hartz-IV-Empfängern mit Argusaugen zu überwachen. »Wer Leistungen nach Hartz IV erhalten will, muss unterschreiben, dass er den Ämtern auch Einblick in seine Konten gewährt. Trotzdem wird bei Behördenbesuchen häufig die Vorlage von aktuellen Kontoauszügen verlangt. Viele Erwerbslose versuchen, sich ein Mindestmaß von Privatsphäre zu erhalten, indem sie Teile der Angaben schwärzen. Das hat in der Vergangenheit gelegentlich zu Leistungskürzungen geführt«, stellte zum Beispiel das Blog »Telepolis« die Rechtslage klar.
Von Privatheit bleibt da nichts übrig, denn der Hartz-IV-Antragsteller muss sich förmlich nackig machen, wie aus einem Forum Betroffener berichtet wird: »Das Amt geht sogar soweit, dass man ALLE Besitzstände offenlegen muss. Dazu gehören Bargeld, Bankguthaben, Aktien, Bausparverträge, Schenkungen innerhalb der vergangenen 10 Jahre (!!!), Lebensversicherungen, Immobilien, Schmuck, Auto(s). Dein Vermögen ist durch Verkauf, Beleihung, Vermietung oder Verpachtung grundsätzlich zu verwerten.« Eine Praxis übrigens, die auch nach dem Abtreten von Rot-Grün weiter galt – bei Schwarz-Rot, dem Steinbrück als Finanzminister diente und von dem man damals keinerlei Initiative gegen solche »Diktatur« zu erkennen vermochte.
Ganz im Gegenteil wurde (und wird) auch sonst nicht viel von Privatheit gehalten. »Einige Tage nach Antragstellung (von ALG II – pri) klingelt der Sozialermittler vor der Tür, um Ihre Lebensverhältnisse zu überprüfen«, berichtete am 1. August 2007, also mitten in Steinbrücks Amtszeit, die Neue Rheinische Zeitung. Wie das mitunter vor sich geht, kann man wieder bei »Telepolis« nachlesen: »Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix hat die Praxis der unangemeldeten Hausbesuche kritisiert. Es wurden Fälle bekannt, wo Schränke durchwühlt wurden oder Mitarbeiter der Jobcenter im Schlafzimmer nach dem Zustand des Bettes und im Badezimmer nach der Anzahl der Zahnbürsten forschten. Herausgefunden werden soll bei solchen Besuchen, ob der Leistungsbezieher alleine oder in einer Partnerschaft lebt.« Den Bundestagsabgeordneten der Linken, Halina Wawzyniak und Jan Korte, war das schon 2008 Anlass für eine Anfrage an die Bundesregierung, in der auch Peer Steinbrück saß und die sich gewunden herausredete, ohne bis heute an der Praxis etwas zu ändern.
Aber Steinbrück geht es gar nicht um die Privatsphäre jener am Rande der Gesellschaft, sondern um jene der »politischen Klasse«. Denn »die Art der Debatte, die wir führen«, würde »der Politik und der, sagen wir mal, politischen Klasse auch nicht guttun. Es werden viele Vorurteile, viele Ressentiments bei den Wählerinnen und Wählern, bei den Bürgerinnen und Bürgern bestätigt nach dem Motto: Die sind so, die sind in einem System der Vorteilsgewährung und Vorteilsnahme, die bereichern sich et cetera.« Die Wähler könnten ja durch die Debatte und ihre Hintergründe, nämlich die exorbitatnten Nebeneinnahmen bestimmter Abgeordneter, die sie »bei Unternehmen wie Banken, Versicherungen, auch Anwaltskanzleien« erzielen, zu Erkenntnissen kommen, die für ihre Wahlentscheidung wichtig sind.
Warnend hebt der SPD-Kanzlerkandidat den Finger: »Und da muss man aufpassen, dass man über Parteigrenzen hinweg nicht einen Prozess in Gang setzt, der die Politik insgesamt beschädigt. Und bei einigen Stellungnahmen bezogen auf meine Person habe ich den Eindruck, das merken die gar nicht.« Klingt wie der Ruf nach einer »großen Koalition« gegen jene, die – siehe oben – ihrer Privatheit längst verlustig gegangen sind oder denen dies noch bevorsteht.
Seine Stärke ist die Schwäche der Kanzlerin – ist das eine Perspektive? Zuversicht sieht anders aus.
Er hat ja nicht das Zeug zum Diktator, nicht mal zum großen.
Wohl aber zum Untergeher, um es mit Thomas Bernhard zu sagen.
Der Abgang dieser Großfresse wird jämmerlich.
LvM