(pri) Angela Merkel braucht die CDU nur noch als gut geölte Wahlmaschine, die ihr den Verbleib im Kanzleramt auch über 2013 hinaus sichert; ansonsten ist ihr die Partei ziemlich schnuppe. Die Union hingegen braucht Angela Merkel als Lokomotive, die für die nötigen Prozentpunkte und damit für Mandate mit all ihren angenehmen Privilegien sorgt. Deshalb schluckt sie manchen Ärger über die Beliebigkeit ihrer Vorsitzenden mannhaft hinunter und beschert ihr ein Wahlergebnis, das sie in eine Reihe mit manch anderem aus der DDR stammenden Parteiführer stellt.
Ein schöpferischer Geist mit Visionen war die Kanzlerin nie, und sie machte aus diesem Defizit klugerweise eine Tugend. Sie bemühte sich gar nicht um intellektuelle Höhenflüge oder gar historisch wegweisende Ideen, sondern konzentrierte sich auf das kleinteilige und daher überschaubare Geschäft des unmittelbaren Regierens. Wenn Probleme an sie herantraten, analysierte sie sie akribisch, wog Für und Wider von Lösungsmöglichkeiten ab und entschied sich schließlich in der Regel für jene Variante, die die geringste Unruhe hervorrief. Sie verwaltete das Land, sie genügte sich als Verwaltungskanzlerin.
Dabei war sie allerdings mitnichten so erfolgreich, wie sie uns jetzt in ihrer Parteitagsrede vormachen wollte. Sie lag falsch, als sie die Atomausstieg rückgängig zu machen versuchte und zu einer abrupten Kehrtwende gezwungen wurde. Sie verkalkulierte sich mit ihrer Schützenhilfe für die baden-württembergischen CDU-Dampfwalze Mappus und half damit den ersten grünen Ministerpräsidenten etablieren. Und der für sie so pflegeleichte Christian Wulff wurde im Schloss Bellevue zu Blamage und Belastung. Die Reihe ließe sich fortsetzen – und dennoch steht Angela Merkel nicht nur in ihrer Partei unangefochten da, sondern hat auch passable Umfragewerte in der Bevölkerung. Denn in den meisten Fällen ging ihr Konzept auf, Politik auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu betreiben und die dürftigen Resultate als Erfolge eigenen Mühens zu verkaufen.
Dass ihr das gelang und vermutlich bis zum Wahltag weiter gelingt, verdankt sie mehr als eigenen Anstrengungen der Kapitulation der SPD. Nicht einmal in der gegenwärtigen Legislaturperiode hat die größte Oppositionspartei die Regierung wirklich mit einer klaren Alternative herausgefordert, sondern im Gegenteil bei allen wichtigen Fragen mit ihr gestimmt und damit im Wahlvolk den Eindruck vermittelt, die Kanzlerin mache schon alles richtig, ihr Handeln sei, wie sie gern zu betonen pflegt, »alternativlos«. Die Selbstsicherheit Angela Merkels vor dem kommenden Wahlgang rührt auch daher, dass sie mit Peer Steinbrück einen »Gegner« bekommen hat, der ihrer Politik in allen wesentlichen Belangen zustimmt und überhaupt nicht die Absicht hat, ihre konservative Agenda mit klar linken Positionen herauszufordern. Die SPD hat sich, wenn auch manchmal mit zusammengebissenen Zähnen, hinter ihm versammelt, und es sind paradoxerweise die überwiegend bürgerlich sozialisierten Grünen, die verzweifelt versuchen, dem angestrebten neuen »rot-grünen Projekt« ein wenig linken Flitter anzuhängen.
Die von der SPD oft beklagte »Sozialdemokratisierung« der Union ist also Legende. Angela Merkel hat bei aller Beliebigkeit noch immer gewusst, dass der Standort ihrer Partei auf der rechten, der begüterten, konservativen Seite der Gesellschaft ist. Daher gibt es von ihr und ihrer Partei auch keine wirksamen Konzepte gegen Armut, Rentenabsenkung für die künftigen Generationen, Billiglöhne und Mietsteigerungen. All dies fehlte weitgehend auf der Tagesordnung des Parteitages, selbst das Thema Europa, das in der Sichtweise der Union und Merkels vor allem eins der Abschaffung in Jahrzehnten erkämpfter sozialer Errungenschaften ist. Lediglich zu einigen weniger brisanten Fragen wurden Diskussionen zugelassen. Dies schadet ihr nicht, weil zu all diesen Fragen auch nichts wirklich Alternatives von der SPD kommt. Die Sozialdemokratie mit ihrer heutigen Führung hat sich – mit Gerhard Schröder beginnend – dem Kurs der Union weitgehend angepasst, und Angela Merkel kann sicher sein, dass bei einem Scheitern von Schwarz-Gelb Schwarz-Rot eine realistische Option ist, auch wenn sie lieber mit der schwachen FDP weiterregieren würde.
Der FOCUS Nr. 28/2004 titelt „Besser als Schröder? DIE RAFFINIERTE – Von der Pfarrerstochter zum knallharten Politboss – Angela Merkels Weg an die Macht“. Danach folgt ein Porträt der „Königin der Macht“ über 10 Journalseiten in Wort und Bild. Damals wurde noch „locker“ über das Phänomen Merkel geplaudert. Sie war gerade erst seit 2 Jahren CDU-Parteivorsitzende. Die gebürtige Hamburgerin wurde in der DDR sozialisiert, machte dort Karriere – wie übrigens auch ihr Bruder Marcus – als Wissenschaftlerin und schaffte gerade noch den Aufsprung auf die Plattform der Bürgerbewegung des „Demokratischen Aufbruch“ im Dezember 1989. Der weitere rasante Aufstieg der „unheimlichen Frau aus dem Osten“ (so 23 Prozent der Befragten einer Studie vom Juni 2004) ist dann medial extensiv begleitet worden. Heute ist bereits ein „Angela-Kult“ entstanden, der zu einer „Verewigung im Amt“ beitragen soll. Ihren Machtvorbildern Adenauer und Kohl will sie auch hierin folgen.