(pri) Manchmal genügt schon ein Kinoprogramm, um Zusammenhänge in dieser unübersichtlichen Welt sichtbar zu machen. Zum Beispiel, wenn zu gleicher Zeit solche doch total unterschiedlichen Filme wie »Zero Dark Thirty« und »Hannah Arendt« in den Lichtspielhäusern laufen, zwischen denen sich plötzlich ein überraschender Bezug auftut. »Zero Dark Thirty« beschreibt die Jagd der CIA auf Bin Laden, angefangen von seiner Suche über mögliche Kontaktpersonen, die weniger von akribischer geheimdienstlicher Kleinarbeit als von brutaler Folter aller möglicher Verdächtiger gekennzeichnet war, bis hin zur schließlichen Identifikation seines Kuriers, der längst im ungeheuren und deshalb unübersichtlichen Datenkonvolut der CIA einlag, und dem nächtlichen Einsatz in pakistanischen Abbottabad mit der Erschießung des Terroristen. »Hannah Arendt« ist bezüglich dieses Stoffes vor allem deshalb von Interesse, weil der Film über die Politologin und Philosophin, die als Journalistin vom Eichmann-Prozess in Jerusalem berichtete, Originalszenen dieses Verfahrens enthält, die ein grelles Licht auf Eichmann, den kaltblütigen Organisator des Judenmords, werfen und in dem Arendt die »Banalität des Bösen« erkannte.
Eichmann war es, der persönliche Schuld stets verneinte und die ihm gegebenen Befehle, die selbstverständlich außerhalb einer eigenen Meinung zu befolgen waren, als die Ursache seines Handelns benannte. »Weltanschauliche Erziehung, Drill …«, nannte er im Prozess achselzuckend als Hintergrund eines solchen Denkens, in dem Arendt hingegen die Verweigerung von Denken sah. Für sie war Eichmann »schier gedankenlos« und statt dessen »nur beflissen, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte«. Wie ähnlich doch die CIA-Agentin Maja in »Zero Dark Thirty«, die ohne einen Gedanken an die Umstände und Folgen ihres Tuns verbissen den Auftrag verfolgt: Bin Laden zur Strecke zu bringen, eher tot als lebendig. Dazu ist ihr jedes Mittel recht, einschließlich der Folter, die sie zwar anwidert, aber die dann doch nur ein »Kollateralschaden« auf ihrem Weg zum Ziel ist.
Ihr CIA-Kollege Daniel ist gar schon einen Schritt weiter und zelebriert die Folter geradezu genüsslich, wenn er seinem Opfer ankündigt, dass er ihm gleich sehr weh tun werde, was der natürlich durch Informationen, sprich: die Denunziation und damit Auslieferung weiterer Folteropfer, abwenden könne – und sich dann an der Hilflosigkeit, dem Entsetzen des Gegenübers weidet, das an seinen Armen an der Decke hängt und im nächsten Moment einen brutalen Schlag bekommt. Und so wie sich Nazi-Folterer nach dem blutigen Werk ans Klavier setzten, ihre Kinder streichelten oder mit den Kameraden ein Bier tranken, fragt Daniel die Agentin hier danach, ob sie auch einen Kaffee wolle, füttert er die Äffchen, die er im Folter-Gefängnis hält.
Gerade in dieser Bereitschaft zum Quälen und Töten ohne jede Empathie für das Opfer sah Hannah Arendt die »Banalität des Bösen« bei Eichmann. Sie machte klar, dass der Angeklagte von Jerusalem kein einzigartiges Monster, kein seltener Unhold war, sondern gewissermaßen eine Person von nebenan, der man so etwas nicht zugetraut hätte, die aber darin kein Verbrechen sah – gab es doch eine höhere Rechtfertigung, im Befehl, in der Ideologie, in der politischen Vorgabe. Nicht um die Singularität des Judenmordes ging es Arendt in ihrer Analyse, sondern um die Universalität der Unmenschlichkeit, um den gewöhnlichen Menschenschinder, der nur eines Befehls oder einer Indoktrination, gewissermaßen die »Premium«-Version des Befehls, bedarf, um tätig zu werden – gegen jeden, der ihm als unter sich stehend, als minderwertig, als Feind dargestellt wird.
Das waren im Nationalsozialismus vor allem Juden, aber nicht nur sie, sondern auch Sinti und Roma, Homosexuelle, politisch Andersdenkende vom Sozialdemokraten bis Kommunisten, schließlich die Bürger der überfallenen Staaten, die nicht zum »Herrenvolk« gehörten. Das waren unter Stalin dessen politische Konkurrenten, vermeintlich Unzuverlässige, auch ganze Volksgruppen, an deren Loyalität er zweifelte. Unter Pol Pot Intellektuelle, Gebildete, politische Gegner. Inzwischen hat sich die Banalität des Bösen vervielfacht. Immer wieder lieferten Herrscher Begründungen, weshalb dieser oder jener es nicht wert war weiterzuleben. Aber immer fanden sie auch Willige, die das blutige Geschäft des Folterns und Tötens für sie erledigten. Um beim Kino zu bleiben:
Dieser Tage lief im Programm der Berlinale der Dokumentarfilm »The Act of Killing«. Der US-amerikanische Regisseur Joshua Oppenheimer schildert darin den Massenmord indonesischer Todesschwadrone an weit über einer Million Menschen, die sie »Kommunisten« nannten, hinter denen sich aber auch hier Andersdenkende aller Art, Vertreter verschiedener Nationalitäten und Religionen verbargen. Oppenheimer fand keine Opfer, die sich trauten, vor der Kamera darüber zu sprechen, denn die Täter stehen im Land noch immer in hohem Ansehen, werden als Helden gefeiert, besetzen gar wichtige politische Positionen. Also ließ er sie, die Mörder und Folterer, über die damalige Zeit und ihre »Heldentaten« berichten. Sie taten es nicht nur bereitwillig, sondern geradezu begeistert, führten vor, wie sie ihre Opfer massakrierten, knüpften noch einmal die Drahtschlinge an den Türpfosten, wickelten sie um den Hals des Opfers und griffen das andere Ende am Holzscheit, das besser als der scharfe Draht zu packen war, um dann mit aller Kraft zu ziehen, bis die Kehle zugeschnürt und das Genick gebrochen war. Dann lächelte Anwar Congo, alt und würdig gewordener Massenmörder, und zeigte einige Tanzschritte, mit denen sie sich vom grausigen Tun abgelenkt hatten.
Für diese Taten wurden die Mörder nicht nur belobigt, sondern hoch geehrt. Folglich kreieren sie für die Kamera eine Szene, in der zwei Getötete ihre Drahtschlingen vom Hals nehmen und statt dessen Ordensbänder aus der Tasche ziehen, um sie ihren Peinigern umzulegen, begleitet vom Lobgesängen, sie hätten dafür gesorgt, dass sie eher in den Himmel kamen. Die positive staatliche Sanktionierung bis auf den heutigen Tag nimmt den Tätern jedes Schuldgefühl, erzeugt die Banalität des Bösen immer neu, staatlich gefördert.
Und in dieses Bild passt eben auch die US-amerikanische Folterpraxis, von George W. Bush im »Krieg gegen den Terrorismus« erst heimlich zugelassen, dann sogar in ein zurechtgeschustertes Regelwerk gepresst und offen verteidigt, um den Folterern alle Skrupel zu nehmen. Wie auch den Mördern, die im Computerraum am Joystick sitzen und die Drohne auslösen, die dann unbeirrt auf das ihnen vorgegebene Ziel zusteuert und unaufhaltsam tötet, einschließlich all jener, die zufällig in der Nähe waren. Die Drohne, inzwischen das Hauptkampfmittel des Friedensnobelpreisträger Barack Obama, ist dann nichts anderes als die Drahtschlinge, nur noch viel geräuschloser und »sauberer« für die Täter. Sie ist im Kern nichts anderes als der Sprengstoffgürtel des Selbstmordattentäters, denn sie tötet wie er auf Verdacht und nicht nach Beweis; beide töten mögliche Schuldige wie Unschuldige, beide sind Instrumente des Terrors.
Den Auslöser des Drohnenangriffs verschont seine Waffe, den Träger des Sprengstoffgürtels dieser nicht. So wird der Täter am Joystick zum Eichmann, zum Anwar Congo, und es ist schlüssig, dass ihm der Befehlshaber dafür die moralische Unterstützung nicht versagt. Gerade erst hat der US-amerikanische Verteidigungsminister für die »Kämpfer« an der Drohnenfront einen neuen Orden gestiftet, eine »Medaille für herausragende Kriegführung«. Sie sollen funktionieren wie staatlich bestellte Mörder überall auf der Welt, wie Eichmann, wie die stalinistischen Erschießungskommandos, wie Pol Pots Schlächter mit der Spitzhacke, wie Anwar Congo mit der Drahtschlinge, wie Maya und Daniel im amerikanischen Foltergefängnis. Sie sollen die Banalität des Bösen wieder und wieder reproduzieren.
Gefährlich an der Sache ist vor allem, dass diese neuen „Herrenmenschen“ (wie im Film „Zero Dark Thirty“ gesehen) uns als obercoole Typen präsentiert und auf den roten Teppichen dieser Welt von Berlin bis L.A. gefeiert werden. Anzunehmen ist allerdings auch, dass weit weniger Cineasten den „Hannah Arendt“ Film sehen werden (oft in Programmkinos versteckt), als den hoch gelobten Streifen „Zero Dark Thirty“. Man muss also keine große Angst haben, dass all zu viele Leute diese Parallelen der „Banalität des Bösen“ gestern wie heute ziehen.
Sollte je ein „Drohnenmörder“ vor Gericht stehen braucht man wenig Fantasie wie seine Verteidigung sein wird – banal.
Mit den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts wurde die US-amerikanische Filmindusrie zu einem Instrument der US-Außenpolitik. Der Film entwickelte sich zu einem Propagandainstrument des global vermittelten „amerikan way of life“. Bis heute werden die Staaten der Welt mit US-amerikanischen Filmproduktionen „zugeschüttet“ und müssen dafür noch „Filmförderung“ für Los Angeles leisten. Die US-Filmproduzenten verbergen nicht einmal ihre kartellähnlichen Kontakte zum CIA, zur Rüstungsindustrie und zum Heimatschutz-Ministerium. Die mächtigen Bankiers und Großindustriellen würden sich geradezu wünschen, wenn der beliebteste Film-Super-Star gleichzeitig der US-Präsident sein könnte. Ronald Reagan war dafür ein (bescheidener) Anfang.
Ein „schwülstiger Patriotismus“ soll das Innland stärken und das Ausland warnen: wer nicht mit uns ist, ist gegen uns! Für die Kriegs-Politik des „lockeren Knüppels“ nach 1990, wird mit derartigen Filmen geworben und das Bild des „aus der Not heraus harten Welt-Sherrifs“ dem „gläubigen“ Konsumenten vermittelt – bei US-Popkorn und US-Cola vom letzten Taschengeld.