(pri) Wie sehr sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich vom Bundesverfassungsgericht ausgebremst fühlt, zeigt seine dünnhäutige Reaktion auf die Mahnung von dessen Präsidenten Andreas Voßkuhle, nach dem Terroranschlag in Boston Besonnenheit zu wahren. Denn Voßkuhles Hinweis galt überhaupt nicht ihm direkt, sondern war eine Reaktion auf – wie stets in solchen Fällen – reflexartige Forderungen nach schärferer Überwachung. Friedrich hatte freilich dazu beigetragen, indem er eine Ausweitung der ohnehin schon überzogenen Bestückung des öffentlichen Raums mit Polizeikameras verlangte und dabei keinen Gedanken an die Verfassung dieses Landes verschwendete – ganz in der Tradition eines seiner CSU-Vorgänger , nämlich Hermann Höcherls, der bereits 1963 bekannte, man könne »nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen«.
Voßkuhle ist es aber, der solch hemdsärmligen Umgang mit dem Verfassungsrecht hernach ausbaden muss. Seit Übernahme der Regierung durch CDU/CSU und FDP hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt deren Handeln korrigieren müssen, weil Schwarz-gelb – nicht selten mit dem so genannten Verfassungsminister Friedrich an der Spitze – verfassungswidrige Gesetze erließ. So 2010 das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das der CSU-Spitzenmann nichtsdestotrotz immer wieder gebetsmühlenartig einfordert. Auch die Hartz-IV-Gesetzgebung und die staatlichen Leistungen für Asylbewerber fanden in Karlsruhe keine Gnade. Der Reduzierung der Rechte des Parlaments – bei den dubiosen EU-Rettungsaktionen für bankrotte Banken – schob das Verfassungsgericht ebenfalls einen Riegel vor.
Verfassungsrechtler haben das nassforsche Vorgehen der Bundesregierung wiederholt gerügt, ohne allzu großen Erfolg. Dies mag Voßkuhle bewogen haben, nicht weiter schlechtes Regieren zu tolerieren und hinterher die Sache gerade zu rücken, sondern gewissermaßen prophylaktisch das Karlsruher Gericht als Kontrollinstanz in Stellung zu bringen. Er hat seine Kontakte zu den Medien intensiviert und greift ein, wenn er sieht, wie sich die schwarz-gelbe Koalition einmal mehr auf einen verfassungsrechtlichen Irrweg begibt. Das kann man nur begrüßen. Friedrichs beleidigte Reaktion jedoch beweist einmal mehr, dass er weder das Grundgesetz verinnerlicht hat noch in der Lage ist, seine Aufgaben auch nur annähernd so kompetent und souverän zu erfüllen wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts es tut.