Wie eine demokratische Großtat der SPD zum Schuss in den Ofen wird

(pri) Bei aller Kritik an der SPD und ihrem unbedingten Willen, trotz Wahlniederlage und auch dadurch bedingtem Minimalergebnis in den Koalitionsverhandlungen mit der Union ein weiteres Mal zu »regieren«, hat sie beinahe nebenbei doch auch eine demokratische Großtat vollbracht. Erstmals lässt eine Partei in der Bundesrepublik ihre Mitgliedschaft ohne Wenn und Aber über das Verhandlungsergebnis abstimmen und macht sie damit zum Souverän statt – wie bislang in aller Regel – zum ohnmächtigen Zuschauer. Eine ganz andere Frage ist, ob und wie die Mitglieder dieses unverhoffte Mandat nutzen.

 

Natürlich ist dieser bemerkenswerte Schritt der SPD-Führung nicht allein, vielleicht auch nicht überwiegend plötzlicher Wertschätzung der Basisdemokratie geschuldet, sondern wohl eher der Panik, die im Willy-Brandt-Haus nach dem Wahldebakel ausbrach. Weil dadurch das fest ins Auge gefasste Regieren unmöglich geworden zu sein schien – eben wegen dieser Parteibasis, die nun von einer Regierungsbeteiligung nichts mehr wissen wollte – weder von jener desaströsen der Jahre 2005 bis 2009 noch von der verkappten und dadurch noch verheerenderen der letzten Legislatur.

 

Diese Basis musste beruhigt und zugleich mitgenommen werden. Man besann sich auf die Anhänglichkeit der sozialdemokratischen Mitgliedschaft gegenüber ihrer Führung, die Georg Schramm mit seiner Kunstfigur des SPD-Genossen und hessischen Druckers August so treffend zu beschreiben weiß, und lag damit wohl richtig. Und man wird nach dem mehr oder minder deutlichen Pro des Mitgliedervotums zugleich ein Stück weit von eigener Verantwortung frei sein, kann man doch künftig darauf verweisen, dass nicht eine abgehobene Parteiführung, sondern die Mehrheit der abstimmenden Genossen diese Regierung wollte und sich daher später nicht beklagen sollte.

 

Doch all das mindert keineswegs den Wert des Mitgliederentscheids als Schritt hin zu mehr Basisdemokratie, vor allem deshalb, weil er in einer Zeit kommt, in der die Bemühungen – hierzulande wie global – unübersehbar sind, das ohnehin schon sehr fadenscheinig gewordene Gewand der sich als demokratisch verfasst verstehenden Staaten vor allem in Europa und Nordamerika weiter und zum Teil großflächig zu durchlöchern. Denn auf die wachsenden Schwierigkeiten der Herrschaftseliten, ihre vor allem ökonomischen Ziele hemdsärmlig und ohne Rücksicht auf fremde Verluste durchzusetzen, wird allenthalben mit dem Eingriff in politische Prozesse geantwortet, mit der schon sprichwörtlichen Merkelschen »marktkonformen Demokratie«. Da durfte in Griechenland das Volk nicht über seine Meinung zur von der EU verordneten Politik befragt werden, wurde in Italien eine »Experten«-Regierung ohne parlamentarische Legitimation installiert, ist vor allem in Südeuropa eine »EU-Troika« unterwegs, um das EU-Finanzdiktat durchzusetzen. Und wo konservative, sich der Wirtschaft unterwerfende Regierungen im Amt sind, wächst die Neigung, die eigene Macht zu zementieren, indem demokratische Rechte beschnitten und vor allem Wahlgesetze so zugeschnitten werden, dass echte Alternativen kaum noch möglich sind.

 

Zu letzterem gehören auch die Bemühungen, Medien so auszurichten, dass sie zwar – wie einmal Walter Ulbricht sinngemäß sagte – demokratisch aussehen, aber nichtsdestotrotz so unter Kontrolle sind, dass sie überwiegend die aktuelle Regierungspolitik propagieren. In Großbritannien, das sich einmal als das Mutterland der Pressefreiheit verstand, drohen dem tatsächlich noch unabhängigen »Guardian« derzeit juristische Konsequenzen, weil er die Wahrheit über die flächendeckende Überwachung des globalen Datenverkehrs durch US-amerikanische und britische Geheimdienste schrieb. Politiker und gar Medienkollegen sind offensichtlich angetreten, diese Stimme zum Verstummen zu bringen. Aber auch dass hierzulande allen Ernstes eine Debatte auch in zahlreichen Medien über die Rechtmäßigkeit des SPD-Mitgliederentscheids begann und so getan wurde, als hätten die Wähler mit großer Mehrheit für eine große Koalition gestimmt, was durch die SPD nun möglicherweise unterlaufen werde, verrät einiges über die demonstrative Parteilichkeit des hiesigen Journalismus.

 

Doch so erfreulich die Entdeckung der Basisdemokratie bei der SPD auch ist, so wenig dürfte sie ihr bei der Bewältigung ihrer eigentlichen, nämlich der inhaltlichen Probleme ihrer Politik helfen. Was die Mitglieder vermutlich jetzt gut heißen, wird sich am Ende als weiterer Rückschritt erweisen, weil der proklamierte Politikwechsel damit nicht zu erreichen ist. Ganz im Gegenteil: Der Koalitionsvertrag ist auch ein Vertrag gegen den Politikwechsel und für die weitgehende Fortführung der Merkel-Politik. Und damit hat die SPD zugleich die Chance verspielt, in vier Jahren ein wesentlich besseres Ergebnis bei den Bundestagswahlen 2017 zu erreichen. Denn die Kanzlerin wird es auch diesmal verstehen, populäre Entscheidungen einschließlich jener sozialdemokratischen Ursprungs aufs eigene Konto zu buchen und ansonsten dem Regierungspartner keinen Spielraum zu lassen, mit den er sich für den nächsten Wahlgang empfehlen könnte. Und sollte die SPD dennoch versuchen, eigene Positionen im Kabinett zu artikulieren, wird man sie auf den Vertrag verweisen und – wie schon im letzten Wahlkampf geschehen – der Unzuverlässigkeit zeihen.

 

Der Mitgliederentscheid der SPD ist eine zwar wichtige, aber dennoch nur eine Form-, eine Stilfrage, die nichts über den Inhalt der Politik aussagt, die zur Entscheidung steht. Und dieser Inhalt ist zwar ein kleiner Schritt weg vom vormaligen in vielem wirtschaftsliberalen Kurs der Parteiführung, aber noch längst keine Wende, keine Rückkehr zu den eigentlichen sozialdemokratischen Prinzipien. Und deshalb wird er sich letztlich als ein Schuss in den Ofen erweisen.

One Reply to “Wie eine demokratische Großtat der SPD zum Schuss in den Ofen wird”

  1. Die Mitgliederbefragung der SPD ist ein Hilferuf der Parteiführung, den rasenten Niedergang der „linken bürgerlichen Mitte“ seit 1990 aufzuhalten.
    Erinnert sei an das damalige „Zittern“ der CDU/CSU, die „Sozen“ würden den beigetretenen Osten politisch übernehmen können!

    Doch auch die CDU mußte seit 1990 in ihrem Mitgliederbestand mächtig Federn lassen, da sie ihre vollmundigen Versprechungen neoliberaler Färbung nicht einlösen konnte. Die Totalabwahl ihres Partners FDP aus dem Bundestag unterstreicht dieses Scheitern der „marktkonformen Demokratie“ am Widerstand des Wahlbürgers. Allein die gefühlt „überparteiliche“ Bundeskanzlerin trägt (noch) die CDU in die unverdiente Zustimmung der Wähler.

    Die „Notgemeinschaft“ zwischen SPD und CDU könnte zu einer vorläufigen
    Stabilisierung der antiquierten Parteienherrschaft in Deutschland führen.
    Die Mitgliederbefragung der SPD soll den Anschein erwecken, daß Elemente der direkten Demokratie an Bedeutung gewinnen.
    Hier haben die Parteioberen wenigstens erkannt, wohin der Weg zur Weiterentwicklung der Demokratie führen muß.

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