(pri) Der demnächst ausscheidende NATO-Generalsekretär Rasmussen will wohl nach ziemlich frustrierenden Jahren in einem Amt, das kaum noch jemand ernst genommen hatte, am Ende ein wenig Krieg spielen. Anders sind seine hysterischen Reaktionen auf die Ukraine-Krise, die ihn und sein Bündnis überhaupt nichts angeht, nicht zu verstehen. Er kündigt verstärkte Manöver an Russlands Grenzen an und verlangt zugleich den Rückzug russischer Truppen ins Landesinnere. Und er plädiert für eine schnelle Erweiterung der NATO – etwa durch Georgien, Montenegro, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Beides ist nur als gezielte Provokation gegen Russland zu verstehen, hat aber einen ziemlich entlarvenden Nebeneffekt: Es verdeutlicht die verderbliche Rolle, die die NATO in der Weltpolitik spielt – und dies mehr denn je, seit ihr der einstige Feind abhanden gekommen ist, den sie aber immer wieder beschworen und mit ihrer Politik der letzten 25 Jahre geradezu neu herangezüchtet hat. Nun steht er beinahe in alter Gestalt wieder vor ihr, und einige vor allem in den neuen NATO-Staaten können sich vor Begeisterung kaum noch bremsen. Auch sie beweisen damit aber nur, wie sehr sie das westliche Militärbündnis von Anfang an als Speerspitze gegen Moskau betrachteten.
Es war ein Grundfehler der ersten Nach-Wende-Jahre, dass nach der Auflösung des Warschauer Vertrages nicht auch die NATO ihre Tätigkeit beendete. Statt dessen suchte sie krampfhaft nach einer angeblich neuen Bestimmung, blieb aber sich selbst stets treu. Ihr Feind lag im Osten, und was früher die Sowjetunion mit ihren Satelliten war, das war nun Russland. Die Chance einer gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur, von vielen damals gefordert und auch von Putin befürwortet, wurde vertan – mit voller Absicht. Denn unverändert ging es dem Westen um den totalen Sieg über diesen östlichen Feind. Ein Krieg schied zwar angesichts der Nuklearrüstung weiterhin aus, doch unterhalb militärischer Aktionen war alles erlaubt. Und wurde alles praktiziert – mit beträchtlichem Erfolg, weil Russland lange, sehr lange all dem zusah und wenig unternahm, diese Entwicklung zu stoppen. Bis jetzt, wo Putin sich entschloss, ein Zeichen zu setzen – zum Erschrecken der einen, die sich schon fast am Ziel sahen, aber auch zum Entzücken anderer, die aus ihrer bellizistischen Haltung nie einen Hehl machten und längst wieder im strategischen Sandkasten sitzen, um einen neuen Feldzug gen Osten zu planen.
Noch immer leitet ideologisch geprägte Politiker des Westens der Irrglaube, es sei möglich, das riesige russische Reich unter den eigenen Stiefel zu zwingen. Das ist weder Napoleon noch dem deutschen Kaiser noch Hitler gelungen. Und wenn auch die USA militärisch bis an die Zähne hochgerüstet sind, würde es ihnen als Angreifer bei einem Waffengang an jener Motivation fehlen, die ein Volk aufbringt, das sich und seine Werte verteidigt. Nicht das kleine Vietnam, nicht den Irak und auch nicht Afghanistan haben die USA als Sieger verlassen; da stellt sich Obamas Charakterisierung Russlands als »Regionalmacht«, die die USA zugleich als Weltmacht erscheinen lassen soll, als hohle Phrase dar. Beruhigend ist solcher Realitätsverlust freilich nicht, kann er doch durchaus zu gefährlichen Abenteuern führen. Die Ukraine-Krise ist das aktuellste Beispiel dafür.
Denn diese Krise ist auch durch die Politik in einigen der neuen NATO-Staaten ausgelöst worden, die in klarem Widerspruch zu den oft beschworenen »Werten« der westlichen Gemeinschaft stand und steht. In fast allen von ihnen wurden russischstämmige Bürger von Anfang an diskriminiert, waren »Nichtbürger«, hatten kein Wahlrecht, keine freie Berufswahl. Sie waren notgedrungen geduldet und konnten sich nur integrieren, wenn sie sich unterwarfen, assimilierten. Die EU sah zu, obwohl sie derartige Praktiken ansonsten – mit vollem Recht – als Menschenrechtsverletzungen geißelt. Gegen »Russen« aber war fast alles erlaubt, und nicht zuletzt das stand den zahlreichen russischstämmigen Ukrainern vor Augen, als ihre demokratisch gewählte Regierung durch Gewalt hinweggefegt wurde.
Wo die russische Bevölkerung stark ist, wehrt sie sich – oft übrigens mit den gleichen Methoden, die in Kiew als »demokratische Revolution« bejubelt, nun aber auf der Krim, in Donezk und Charkow als »Ausschreitungen« verdammt wurden bzw. werden. Wieder wird mit unterschiedlichem Maß gemessen, und ganz im Unterschied zu Kiew, wo die Massen angeblich ohne jede westliche Einflussnahme aufstanden, sind die Proteste in der Ostukraine durch russische Provokateure organisiert. Die NATO, die EU setzen ihr Spiel fort, selbst immer das Gute, das Richtige zu tun, während der »böse Russe« nur Infames im Sinn hat. Damit soll das hemdsärmlige Vorgehen Putins auf der Krim nicht gerechtfertigt werden, doch hat es seine Vorgeschichte, die nicht ihm angelastet werden kann. Und – nicht zu vergessen – für die überwältigende Mehrheit der Krimbewohner war es eine Erlösung, das Erwachen aus einem Alptraum, der andere in der Ukraine noch immer umtreibt.
Unter diesen Umständen bleibt abzuwarten, ob es in der Ukraine am 25. Mai tatsächlich eine freie, demokratische Wahl gibt. Denn auch für Wahlen hat sich die EU inzwischen auf eigene Kriterien festgelegt, bei denen das – erwünschte – Ergebnis wichtiger ist als die Einhaltung demokratischer Regeln. Jüngstes Beispiel dafür ist Ungarn, wo der machtbewusste Orban ein maßgeschneidertes Wahlrecht einführte, die Medienfreiheit weit mehr einschränkte als Putin, die Justiz auf die eigene Linie festzulegen versucht. Die EU ließ es bis auf einige lauwarme Distanzierungen geschehen; vor allem die konservative Fraktion im EU-Parlament, zu der auch CDU und CSU gehören, verteidigte den undemokratischen Kurs Orbans gar. So brachte der ungarische Ministerpräsident ein Wahlergebnis zustande, das sich mit dem Putins in jeder Hinsicht durchaus messen kann, aber während es bezüglich Russlands Anlass zu heftiger Kritik war, ist Vergleichbares über Ungarn nicht zu hören. Selbst jetzt fehlt in den Analysen der als kollektiver Propagandist wirkenden hiesigen Medien fast völlig jeder Hinweis auf die »gelenkte Demokratie« Orbans.
In der Ukraine ist auffällig, dass Umfragen zur anstehenden Wahl sehr unvollständig sind. Während man dem Milliardär und Oligarchen Poroschenko 25 Prozent der Stimmen voraussagt, der Ex-Ministerpräsidentin Timoschenko acht Prozent, noch einige weniger dem Profiboxer Klitschko, der bereits verzichtete, und nur minimale Prozente rechten Präsidentschaftsbewerbern, bleibt offen, wofür die weitaus mehr als 50 Prozent der Ukrainer stimmen würden, die in den genannten Zahlen nicht auftauchen. Über Kandidaten anderer Parteien wird kaum berichtet; für die Partei der Regionen des gestürzten Präsidenten Janukowitsch geht Michail Dobkin, Ex-Gouverneur von Donezk, der allerdings unter Hausarrest steht, ins Rennen. Angesichts all dieser Ungereimtheiten ist nicht verwunderlich, dass die Unruhe in der Ost-Ukraine über die künftige Entwicklung wächst und man beginnt – wie auf dem Maidan in Kiew – die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen. Durch die militanten Töne aus NATO- und EU-Kreisen wird dies eher befördert als gedämpft.
Putin führt den Westen am Nasenring durch die Weltmanege. Dieser Zustand erbittert natürlich Herrn Rasmussen, der sich lediglich als Sprecher der NATO verstehen kann.
Ohne die USA wäre die NATO ein Kartenhaus, das bei einer ernsthaften Prüfung zusammenfallen würde – ähnlich dem Warschauer Pakt ohne Moskau.
Die USA haben kein Interesse, Krieg in Europa zu führen. Die Kontrolle der aufstrebenden Weltmacht China und des weltweiten islamischen Fundamentalismus binden alle militärischen Potentiale auf Jahrzehnte. Im Gegenteil, die US-Army muß sogar deutlich verkleinert werden – aus Kostengründen.
Die USA stolpern von Beinahe-Staatsbankrott zu Beinahe-Staatsbankrott: Auch die Folge der (alle) verlorenen Kriege nach 1945!
Darum müssen sich die NATO-Europäer „friedlich“ zeigen. Die geplante „Einbindung“ der Ukraine – seit 2004 versucht – ist damit gescheitert!
Großindustrie und Hochfinanz scheinen diesen West-Ost-Kräftezustand eher zu erkennen, als die Politik. Handel bringt ihnen jetzt (!) mehr Gewinn, Krieg dagegen nur (langfristige) Verluste und Existenzgefährdung.