(pri) Nun spielt Russland in puncto Machtgebaren endgültig wieder in der Liga der Supermächte, auf Augenhöhe mit den USA. Und Wladimir Putin ist dort angekommen, wo sich vor mehr als zehn Jahren bereits George W. Bush als Bestimmer über die Geschicke anderer gerierte. Ohne Rücksicht auf das Völkerrecht und bar jedes Unrechtsbewusstseins zog damals der eine seine Show ab und folgt ihm darin nun der andere – mit Ausflüchten, Lügen, Tricks und Finessen zur Verschleierung des tatsächlichen Vorgehens und gleichzeitiger Entschlossenheit, die eigenen Ziele ohne Rücksicht auf (vor allem fremde) Verluste durchzusetzen.
Dabei scheint jedoch der russische Präsident die besseren Karten zu haben. Wo Bushs Ambitionen auf gefügige Vasallenstaaten Irak und Afghanistan endeten, können wir gerade in Echtzeit beobachten. Da wie dort schuf US-amerikanische Interventionspolitik neue Brutstätten des Terrors, und der Bush-Erbe Barack Obama hat keinerlei Konzept, damit fertig zu werden. Wo Putin hingegen derzeit interveniert, wird er vielleicht nicht von allen mit offenen Armen empfangen, aber vor die Wahl zwischen Kiew und Moskau gestellt, neigt doch eine beträchtliche Mehrheit der Ost-Ukrainer eher ihm und seinem Reich zu; jedenfalls ist die Fluchtbewegung nach Osten beträchtlich stärker als jene nach Westen.
Es ist das Manko des Oligarchen Poroschenko, der wohl auch seinen Aufstieg der Praxis verdankt, Widerstand mit Gewalt zu brechen, dass er für die Wünsche und Bedürfnisse seiner ost- ukrainischen Mitbürger kein Ohr hat, sondern von Anfang an glaubte, die Sprache der Waffen genüge. Auf die Idee, die Zivilbevölkerung zu schonen oder wenigstens ihre Not zu lindern, kam er nicht, so dass ihn selbst Putins wohl kalkulierter Hilfstransport in die Defensive brachte. Er verkalkulierte sich auch hinsichtlich seiner westlichen Sponsoren, die selbst mit Geldspritzen zögern, solange das Chaos im Lande anhält, und sich erst recht in keine militärischen Abenteuer für ein solches Bankrottunternehmen stürzen.
Putin hingegen nutzte die vielfältigen Kontakte zur EU, zur OSZE, zur Bundesrepublik und anderen Staaten, um die Stimmungslage im westlichen Lager zu erkunden. Er verifizierte seine Eindrücke durch wohldosierte Versuchsballons, so den schließlichen Grenzübertritt des Hilfskonvois ohne ukrainische Genehmigung, und spielt nun auf begrenztes Risiko, d. h. wartet ab, wie die Gegenseite reagiert. Sein Ziel dürfte sein, zwischen sich und die Kiewer Administration einen Pufferstaat zu schieben, den er bereits jetzt schon nur noch »Neu-Russland« nennt und der ihm sowohl einen Landzugang zur Krim sichert als auch den Zugriff auf Teile der im Osten der Ukraine ansässigen Schwerindustrie erlaubt. Das Szenarium gleicht jenem gegenüber Georgien (mit Südossetien und Abchasien) und Moldawien (mit Transnistrien) und könnte langfristig auf die Schaffung eines »Cordon sanitaire« an Russlands östlichen Grenzen hinauslaufen.
Auf all das hat der Westen keine wirksame Antwort. Die Hoffnung, mit Wirtschaftssanktionen das russische »Roll-back« zu stoppen, war angesichts der Potenzen und der autoritären Verfasstheit des Landes von vornherein zum Scheitern verurteilt; je weiter der Westen hiermit voranschreitet, umso stärker werden die Folgen im eigenen Bereich wirksam werden und die schon jetzt nur mühsam aufrecht erhaltene »Solidarität« mit Kiew ins Wanken bringen. Die USA als einziger potenter Widerpart des Kreml sind derzeit viel stärker mit dem nahöstlichen Geschehen beschäftigt; es birgt für sie die größeren Gefahren, weshalb außer einigen scharfen Depeschen auch künftig nichts aus Washington zu vernehmen sein wird, was Putin Sorgen machen müsste.
Dennoch wird der russische Präsident – wie bisher – vorsichtig taktieren, alles vermeiden, was zusätzlich Öl ins Feuer gießt, vielleicht auch einmal einen Schritt zurückgehen, um dann neu auszuschreiten. Eine Rückkehr zu den westlichen »Regeln«, auf die man Russland seit 25 Jahren festzulegen versuchte, anfangs sogar mit einigem Erfolg, was einigen der Strategen in Washington, Brüssel, London und Berlin offensichtlich zu Kopf gestiegen war, wird es mit Putin nicht mehr geben. Er hatte dem Westen mehrfach erfolglos die Chance zu Beziehungen auf Augenhöhe eingeräumt und dabei mögliche Illusionen bald verloren. Jetzt gibt es für ihn kein Zurück. Er spielt die wenigen ihm verbliebenen Trümpfe aus – und hat eines bereits geschafft: die Rückkehr in die gleiche Liga, in der die Vereinigten Staaten spielen.
Die Mehrheit der Russen stellt zufrieden fest: „Wir sind wieder wer – Putin sei Dank!“
Ende des 20. Jahrhunderts drohte Rußland das Schicksal Jugoslawiens, der Zerfall in machtlose Kleinstaaten. Das wäre dann die Krönung der Roll back – Politik der USA gewesen! Diese unmittelbare Gefahr einer „Neuen Tatarenzeit“ für Rußland brachte einen Putin hervor, der die Galerie der schwachen Herrscher im Moskauer Kreml – von Breshnews Endzeit bis Jelzin – beendete.
Nun ist der Blowback-Effekt eingetreten: Putin destabilisiert gezielt den Westen, in dem er dessen (unüberbrückbare) Widersprüche ausnutzt. Angesichts des Aufstieges Chinas zur (erwarteten) Weltmacht des 21. Jahrhunderts, müssen die USA ihre „Hauptfront“ zur Selbstbehauptung in den Pazifik verlegen.
Das Ergebnis ist ein zunehmend lähmendes Entsetzen ihrer alten und neuen Bündnispartner in Europa. Ohne diese „Schutzmacht“ könnte auch EU-Europa in die eigenen (offenen) Rivalitäten zurückfallen.
Putin hat das mit kaltem Verstand einkalkuliert. Deutschland muß sich jetzt grundlegend entscheiden: mit oder gegen Rußland zu handeln. Für eine Angela Merkel eine unlösbare Aufgabe. Merkel ist nicht Bismarck!
Der Westen wird sich in eine hinhaltende Kontroverse retten müssen, um eine Hoffnung zu erhalten auf eine (andere) Nach-Putin-Zeit.
Doch Rußland hat (wieder einmal) bitter gelernt: ein Gorbatschow oder gar ein Jelzin wird in absehbarer Zeit nicht mehr auf den „Thron des Monomach“ gelangen können.