(pri) Möglicherweise werden Historiker dereinst einmal sagen, der Abstieg Angela Merkels als Kanzlerin habe zwischen Allerheiligen und dem Jahrestag der russischen Oktoberrevolution 2015 begonnen. Denn in dieser gerade abgelaufenen Woche zeigte sich, dass es nicht nur ein verängstigter Horst Seehofer ist, der gegen die Flüchtlingspolitik des Kanzleramts Sturm läuft, sondern dass sich hinter ihm der schon lange unzufriedene konservative Teil der Union versammelt und offen auf Distanz zu Merkel geht. Und das nicht zufällig, sondern offensichtlich nach einem genau kalkulierten Plan.
Begonnen hatte die Operation vergangenen Dienstag mit einer Weisung von Innenminister Thomas de Maizière an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, »ab sofort Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien nur subsidiären Schutz zu gewähren« – was hieße, sie vorerst nur ein Jahr zu dulden und einen Nachzug de Familie nicht zuzulassen. Dies blieb zunächst unbeachtet; erst als de Maizière am Freitag in einem Interview diese Absicht ausdrücklich bekräftigte, war das offensichtliche Ziel erreicht: nach der Niederlage Seehofers in der Frage der Transitzentren nun den nächsten Kriegsschauplatz innerhalb der Koalition zu eröffnen – und zwar einen weitaus erfolgversprechenden.
Denn hätten in den von Seehofer geforderten Transitzonen nur relativ wenige Flüchtlinge ausgesiebt werden können, ist das mit den Syriern anders. Da künftig nur noch jene uneingeschränkt als Asylbewerber zugelassen werden sollen, die individuelle Verfolgung nachweissen können, verkleinerte sich die Zahl jener, die aufgenommen werden, erheblich. Das ermöglicht es, den Druck auf die Bundeskanzlerin zu erhöhen, nach den bisher schon das Asylrecht verschärfenden, aber die Flüchtlingszahl kaum mindernden Maßnahmen nun förmlich »Nagel mit Köpfen« zu machen.
Dass die CSU mit Horst Seehofer an der Spitze uneingechränkt hinter de Maizières überraschender Interpretation der im koalitionären »Asylkompromiss« vom Donnerstag bereits allgemein enthaltenen Einschränkung des Familienzuzugs, die die SPD konkret nur auf 1700 Balkanflüchtlinge angewandt sah, steht, überrascht nicht. Auch nicht die Unterstützung durch den notorischen Dampfplauderer Wolfgang Bosbach. Dass jedoch Finanzminister Wolfgang Schäuble, ohne Zweifel ein Schwergewicht der Regierung, sich ebenfalls offen hinter den Innenminister stellte, offenbart die allmähliche Bildung einer Fraktion innerhalb der Union, die sich dezidiert gegen die Politik der Regierungschefin richtet.
Schäuble konterkarierte mit seiner Feststellung, man müsse »natürlich den Familienzuzug begrenzen, denn unsere Aufnahmefähigkeit ist nicht unbegrenzt«, die nur wenige Stunden alte Erklärung des Merkel-Vertrauten und Kanzleramtsminister Peter Altmaier: »Für all die Menschen, die entweder einen Asylanspruch haben oder als Flüchtling nach der Genfer Konvention anerkannt sind, besteht der Anspruch auf Familiennachzug. Und niemand in der Bundesregierung denkt daran, diesen Anspruch infrage zu stellen.«
Schäuble hat sich damit zum zweiten Mal – nach seinem rigorosen Agieren in der Griechenland-Frage – als Widersacher Angela Merkels inszeniert. Schon damals fand er große Zustimmung in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und man kann sicher sein, dass sie in dieser Frage nicht geringer ist. Schon ist einer der Stellverteter Merkels im Parteivorsitz, der baden-württembergische Landesvorsitzende Thomas Strobl, übrigens Schäubles Schwiegersohn, diesem beigeasprungen: »Natürlich kann jeder es menschlich nachvollziehen, wenn Flüchtlinge ihre Familie nachholen möchten. Wer in und für Deutschland Verantwortung trägt, muss aber bedenken, was das angesichts von 300.000 anerkannten syrischen Flüchtlingen bedeutet.«
Dass Angela Merkel erstmals in ihrer Kanzlerinnen-Laufbahn damit rechnen muss, das Amt durch einen Putsch der eigenen Partei zu verlieren, hat sie sich freilich in erheblichem Maße selbst zuzuschreiben. Sie hatte ihre nachvollziehbare Entscheidung, die deutsche Grenze für die Flüchtlinge zu öffnen, nicht nur in keiner Weise vorbereitet, sondern tat auch danach außer anfeuernden Reden kaum etwas, diese gewaltige Herausforderung zu meistern. Statt nach vorn zu denken und entsprechende Entscheidungen zu treffen, die bei der damaligen Stimmungslage auf große Zustimmung in der Bevölkerung getroffen wären, schaltete sie den Rückwärtsgang ein und ließ sich von den konservativen Bedenkenträgern in CDU und CSU zu Maßnahmen drängen, die in immer größerem Widerspruch zu ihren Worten standen. Damit verlor sie nach den Konservativen auch viele ihrer anfänglichen Unterstützer.
Offensichtlich halten ihre Gegner in der Union sie inzwischen für so angeschlagen, dass sie zum direkten Angriff übergehen. Sie lassen ihr nur die Wahl, die Forderung nach einer grundsätzlichen Korrektur ihrer Flüchtlingspolitik zu akzeptieren oder zu gehen. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl hatte bereits zu Anfang der Woche unverblümt diese Perspektive aufgezeigt. Es werde »eine Schließung der Grenze mit Merkel oder eine Schließung der Grenzen ohne Merkel« geben.
Putsche innerhalb von Parteiführungen sind nicht ungewöhnlich. Die spöttische Steigerung einer erklärten Feindschaft unterstreicht das: Feind-Erbfeind-Parteifreund.
Die meisten dieser Putsche verlaufen intern und ohne Echo in den Medien. Lediglich bei deutlich herausgehobenen Personen innerhalb der jeweiligen Partei tritt ein breites öffentliches Interesse hinzu.
Bei Frau Merkel von der CDU wäre das der Fall. Sie selber ist durch einen Putsch gegen ihren politischen Ziehvater Helmut Kohl Generalsekretärin geworden und nach Mattsetzung des „Kronprinzen“ Wolfgang Schäuble dazu noch Kanzlerin.
Mit ungewöhnlichen Erfolg konnte sie bisher auch alle möglichen Konkurrenten ausschalten. Das hat Angela Merkel aber leichtsinnig gemacht zu glauben, alle Probleme „aussitzen oder ausschweigen“ zu können. Mit ihrer individualistischen Meinung und dem Festhalten an „ihrer“ Flüchtlingspolitik hat sie einen politischen Rubikon überschritten.
Ob ihr nun der „Rückzug über das Wasser“ gelingt, ist ungewiß! Für ihren Parteifreund Schäuble besteht jetzt jedoch noch einmal die Möglichkeit, die „Mutti der Nation“ wegen „Handlungsunfähigkeit“ zu entthronen. Die Anzahl der Rachebereiten in den CDU/CSU – Vorständen ist dafür ausreichend. Auch die Medien verweisen bereits „besorgt“ (und damit begleitend) auf das schwindende Ansehen der Kanzlerin und der CDU unter dem Wahlvolk.
Angela Merkel muß nun einen Zweifronten-Krieg führen: gegen die Widerständler im Inneren der Bundesrepublik Deutschland und gegen die zunehmend grollenden „Freunde“ in der Europäischen Union. Selbst ihre mächtigen Verbündeten in Washington äußern teilweise harrsche Kritik (innerhalb der dort stattfindenden Vorwahlkämpfe) an der Untätigkeit ihrer „lieben Freundin Angela.“
Inwieweit alle diese „Freunde und Bündnispartner“ aber einen Trend zu einer erneuten deutschen Nationalisierung (mit neuen Parteien) dulden würden, bleibt ungewiß. Auch die Haltung der deutschen Industrie- und Finanzmagnaten läßt bisher keine Zustimmung zu einer politischen Veränderung aufkommen. Für diese Kreise bleibt Frau Merkel die Vorkämpferin für eine „marktkonforme Demokratie.“
Die rasante Zunahme der Terrorgefahr in Europa kann für die Kanzlerin „Rettung in höchster Not“ bedeuten. Die nun erforderlichen Aussetzungen und Einschränkungen demokratischer Grundrechte verlangen nach einer „starken Hand“, die Sondererlasse zu Notverordnungen durchsetzen muß.
Diese „Sporengebung“ zwänge die Opposition gegen Merkel in nationale Verantwortung und Selbstdisziplin – und im Galopp ist nun mal kein „Pferdewechsel“ möglich!
Frau Merkel hatte ganz recht, als sie vor einigen Monaten feststellte:“Dann ist das nicht mehr mein Land“. Gegen das Land hatte sie eigentlich nichts, nur das Volk passte irgendwie nicht mehr. Also suchte sie sich ein anderes und Alle Alle kamen.
Jetzt gibt es Tote und Frau Merkel weint. Paris traut den Tränen nicht und das ist gut so.