(pri) Es ist nicht nur der Druck seitens der CSU und Horst Seehofers, der Angela Merkel nun zum nahezu gänzlichen Einschwenken auf den Rechtskurs der Alt- und Wertkonservativen in der Union veranlasste; es ist auch und vor allem ihre nüchterne Analyse des politischen Kräfteverhältnisses hierzulande, die ihr diesen Kurswechsel geraten erscheinen lässt.Nach dem Wahlergebnis vom 24. September sieht sie keine Notwendigkeit mehr, wie bisher Zugeständnisse in Richtung links zu machen, um ihre Macht zu erhalten. Jetzt geht es vielmehr um Angebote nach rechts zur Sicherung auch künftiger Mehrheiten.
Überraschend ist das freilich nicht, hat sich doch die CDU-Vorsitzende bereits seit langem auf diesen Weg begeben. Nur kurz währte die Phase ihrer »Willkommenskultur« gegenüber Flüchtenden, die zudem von vornherein mehr eine schöne rhetorische Floskel als stringentes politisches und organisatorisches Projekt war. Schon sehr bald nach der unerwartet noblen Geste der Grenzöffnung im Herbst 2015 war klar geworden, dass die neuen Kleider der Kanzlerin keine waren und sie nackt dastand, als es um die Umsetzung ihres großspurigen »Wir schaffen das!« ging.
Von da an schaltete sie sukzessive – und getrieben sowohl von der CSU und ihrem Vorsitzenden als auch den Sicherheitsfetischisten der CDU um Thomas de Maizière und Wolfgang Schäuble – auf Rückwärtsgang. Es ging nun nicht mehr um Bewältigung der Aufgabe, den wegen akuter Todesbedrohung oder permanenter existentieller Perspektivlosigkeit nach Europa Drängenden zunächst erste Hilfe zu leisten und sie dann schrittweise und klug in unsere Gesellschaft einzugliedern, sondern um ihre Abwehr, um Abschottung, Zurückweisung und Abschiebung. Nahezu alle gesetzlichen Regelungen, die vielfältig auf den Weg gebracht wurden, zielten darauf – und nicht auf menschenwürdige Behandlung und Integration.
Übrig blieb allein der Mythos ihrer kurzzeitigen Großzügigkeit, die Erzählung von Empathie und Menschlichkeit, die sie 2015 geleitet hatten, als immer fadenscheinigere Hülle über den – vor allem für die Geflüchteten – harten und brutalen Tatsachen. Nun hat Angela Merkel auch diesen letzten Schleier abgeworfen und sich dadurch wenigstens ehrlich gemacht. Sie hat mit der Festlegung auf eine Zahl faktisch die aus München gebetsmühlenartig immer wieder angemahnte Obergrenze akzeptiert und mit ihr weitere Forderungen der CSU. Wie die bayerische Staatspartei und die Hardliner in den eigenen Reihen steht auch sie damit für eine Politik, die täglich Ertrinkende im Mittel- wie im Schwarzen Meer ebenso in Kauf nimmt wie Gepeinigte in libyschen Internierungslagern und hoffnungslos Umherirrende an den Stacheldrahtgrenzen und Betonmauern quer durch die Europäische »Union«.
Wie alles, was Merkel tut, hat auch dies Kalkül. In den letzten Jahren, als es im Bundestag noch eine rechnerische linke Mehrheit gab und sie wohl auch im Lande eine solche – möglicherweise längst geschwundene – vermutete, öffnete sie sich und ihre Partei ab und an gen links. Das Ergebnis waren teilweise überraschende Kurskorrekturen, die in der Bevölkerung durchaus auf Zustimmung stießen, weniger jedoch oft in der CDU und erst recht der CSU. Die Kanzlerin focht das nicht an; sie konnte sich auf diese Weise Mehrheiten sichern und ihre Macht festigen, indem sie der eigentlich »linken« Kraft in der Großen Koalition, der SPD, den Wind aus den Segeln nahm.
Jetzt aber mutmaßt Merkel eine Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse nach rechts, damit der Diagnose der CSU folgend, die in ihren jüngsten »Zehn-Punkte-Plan« frohlockt: »Es gibt keine linke Mehrheit mehr.« Und daran die Forderung nach einer Renaissance des Konservativen knüpft: »Deshalb brauchen wir eine bürgerliche Ordnung der Freiheit: das heißt einen durchsetzungsfähigen Staat, eine klare Begrenzung der Zuwanderung und einen Richtungspfeil für die Integration.« Jens Spahn, der Vorkämpfer der Wertekonservativen in der CDU, haut in die gleiche Kerbe: »Unser Land ist bürgerlich wie lange nicht … Es könnte unser politisches Jahrzehnt werden.« Und Angela Merkel hat verstanden: Es geht jetzt um die Einfügung in die rechte Flanke der Union als Voraussetzung des Machterhalts. Die kurzzeitige Hoffnung, doch mit der SPD wie gewohnt weitermachen zu können, hat sie aufgegeben und sich in den neuen Zeitgeist der Union eingereiht.
Damit rechnet sie sich künftig einem Lager auf der Rechten zu, das nicht nur ihre Partei und die FDP einschließt, sondern auch die AfD. Denn die neue Mehrheit rechts von der Mitte ergibt sich nur mit den 12,6 Prozent der Rechtsaußenpartei. Wie selbstverständlich vereinnahmt also der neue Konservatismus der Union die AfD schon als potentiellen Partner. Auch das keineswegs überraschend, rekrutiert sich doch die Führungsriege der AfD in großer Mehrheit aus ehemaligen Mitgliedern der Unionsparteien. Und gibt es in den Landtagen Sachsens und Sachsen-Anhalts bereits seit längerem unübersehbare Sympathien von CDU-Abgeordneten mit der AfD, wird dort hinter vorgehaltener Hand auch schon mal über ein Bündnis diskutiert.
Ganz offensichtlich wächst immer mehr zusammen, was zusammen gehört. Und Angela Merkel säumt in Erkenntnis dieses neuen Kräfteverhältnisses nicht, sich rechtzeitig an die Spitze der Bewegung zu stellen – letztlich mit dem Ziel, das ihr Handeln stets motivierte – an der Macht zu bleiben.