(pri) Manchmal hat es den Anschein, dass sich Geschichte doch wiederholt. Vor 30 Jahren brach Michail Gorbatschow, als Generalsekretär der KPdSU der Führer einer unumstrittenen Großmacht, aus den festgefügten Gepflogenheiten seines Systems aus und verordnete Perestroika und Glasnost: Umbau der Gesellschaft und Offenheit des Denkens. Das konnte das System nicht verkraften; es erodierte und zerbrach. Jetzt, 30 Jahre später, bricht erneut der Führer einer unumstrittenen Großmacht, USA-Präsident Donald Trump, aus den festgefügten Gepflogenheiten seines Systems aus und verordnet – es ist ein ganz anderes System – brutalen Egoismus und Stärke vor Recht. Und wieder zeigt sich das System überfordert, es erodiert und droht ebenfalls zu zerbrechen. Die Blöcke, zu denen beide Systeme jeweils geworden waren, lösten und lösen sich auf.
So erleben wir derzeit den unglaublichen Vorgang, dass sich die Staaten des westlichen Bündnisses von ihrem vermeintlichen Hauptverbündeten, den USA, zum Satellitenklub herabgestuft sehen – ganz ähnlich wie dereinst die Warschauer Vertragsstaaten durch die Sowjetunion. Darauf sind sie so wenig vorbereitet wie die früheren sozialistischen Länder. Hilflos suchen sie nach Auswegen – und finden diese ausgerechnet dort, wo sie gerade noch den gemeinsamen Feind orteten. Von heute auf morgen sieht sich vor allem Westeuropa plötzlich vor der Aufgabe, mit dem Iran einen der Erzfeinde des eigenen Verbündeten USA eben gegen diesen zu verteidigen und sich dabei auch noch der Hilfe Russlands, das man in den vergangenen Monaten doch gerade zum Feindbild aufgebaut hatte, zu versichern. Wahnsinn!°
Um den Bestand des Vertrages, der den Iran weitgehend auf den Verzicht auf die Atombombe festlegte, fürchtet der Westen – und das nicht wegen von ihm selbst als Lügen erkannten angeblichen Verstößen des Landes gegen die Vereinbarung, sondern weil Donald Trump ihn mutwillig aufkündigte und damit eine völlig unberechenbare Kriegsgefahr heraufbeschwor. Plötzlich braucht man Moskau um zu verhindern, dass der Iran die Gelegenheit nutzt, nun zum eigenen Schutz sofort wieder an der Entwicklung der Bombe zu arbeiten, ist Russland doch von den Großmächten die einzige, die einigermaßen normale Beziehungen zum Mullah-Regime unterhält.
Damit wurden die westlichen Feindbild-Strategen von der Realität schneller eingeholt, als sie wohl ahnten. Auch Heiko Maas, der schon nach zwei Monaten im Amt in seinen Ambitionen, den kalten Krieg gegen Russland ein wenig zu befeuern, abrupt ausgebremst worden ist. Eben noch heftig gen Moskau wetternd, ist er bei seinem ersten Besuch eben dort plötzlich Bittsteller. Geschäftsmäßig spulte er zwar sein vor allem durch das Kanzleramt vorgegebenes Latein über die »Regelverletzungen« Russlands ab, womit vor allem solche dubiosen Vorgänge wie die Skripal-Affäre und vorgebliche Cyberangriffe sowie die Krim-Problematik und das russische Engagement in Syrien, das freilich zu einer starken Einschränkung des Kriegsgeschehens geführt hat, gemeint sind. Sein Gegenüber Sergej Lawrow hielt sich denn auch damit nicht lange auf und charakterisierte die Einlassungen des deutschen Außenministers als Pflichtübung, die er schon von seinen Vorgängern kannte. Brav dankte ihm Maas für diese Klarstellung, die er zu Hause gut gebrauchen kann, denn hierzulande und vor allem in seiner Partei sind die aggressiven Töne des Ministers gegen Russland auf wenig Verständnis gestoßen. Nun kann er sagen: So anders bin ich doch gar nicht.
Tatsächlich tun sich Maas und die meisten anderen westlichen Politiker schwer, die neuen Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Noch immer hoffen sie, dass Trump sie verschonen könnte, wenn sie ihm entgegen kommen. Also riefen sie laut: Haltet den (natürlich iranischen) Dieb, als von Syrien aus Raketen auf die von Israel besetzten Golan-Höhen abgefeuert wurden. Dies sei eine »schwere Provokation«, ließ die deutsche Bundesregierung verlauten, die zuvor kein Wort über israelische Raketenangriffe unmittelbar nach Trumps Iran-Entscheidung verloren hatte. Stattdessen: Israel habe das »Recht auf Selbstverteidigung«, Syrien offenbar nicht. Maas wie Wirtschaftsminister Altmaier ließen zudem durchblicken, dass deutsche Firmen, die entgegen amerikanischen Befehlen weiter mit dem Iran Handel treiben, aus Berlin keine Unterstützung zu erwarten hätten. Vielmehr signalisierte man den USA, dass man deren Forderung zustimme, dem Iran auch keine Raketenabwehr mehr zu erlauben und zu bestimmen, wie er seine Beziehungen zu arabischen Nachbarländern zu regeln habe.
Helfen wird das freilich wenig, denn Donald Trump benutzt die Iran-Problematik nur dazu, entsprechend seiner »America-first«–Rhetorik viel weitergehende Ziele durchzusetzen. Er betrachtet all jene Staaten, die sich bislang auf die Rolle der USA als Weltgendarm verließen, als Schmarotzer, die dem amerikanischen Bürger unendlich viel Geld kosteten. Damit will er Schluss machen und präsentiert den einstigen Verbündeten die Rechnung für den USA-»Schutzschirm«. Die NATO hat das mit seinem Beharren auf eine drastische Steigerung der Rüstungsausgaben bereits erfahren müssen. Ebenso die EU-Staaten, denen er unfaire Handelspraktiken vorwirft, nicht zuletzt unter Verweis auf den Iran, in dem nur sie Geschäfte machen können, nicht aber die seit dem Schah-Sturz zutiefst mit ihm verfeindeten USA. Und er hat auch schon den arabischen »Verbündeten« eine Rechnung geschickt – über sieben Billionen Dollar, die das US-Engagement im Nahen Osten gekostet habe. »Sie würden sich keine Woche halten«, soll es darin heißen und weiter: »Wir beschützen sie. Sie müssen nun für das bezahlen, was passiert.«
Donald Trump, der seinen Wählern versprochen hat, ihre soziale Lage, substanziell zu verbessern, hat dabei bisher wenig erreicht. Das macht ihn vor den Zwischenwahlen im Herbst nervös, und natürlich denkt er auch schon an seine Wiederwahl in zwei Jahren. Er will Verbesserungen erzwingen, zumindest aber zeigen, dass er seine Wahlversprechen nicht vergessen hat und sie entschlossen realisieren will. Verbündete, Partner sind ihm dabei gleichgültig, mehr noch: Er sieht in ihnen selbst und ihrem vermeintlichen Unwillen, mehr für den eigenen Schutz zu tun, die Ursache allen Übels.
Damit liegt der US-Präsident durchaus im Trend. Die Krise des sozialistischen Lagers begann auch mit der Verstärkung nationaler Interessen und weitete sich bis hin zu radikalem Nationalismus aus, vor allem in den Teilrepubliken der einstigen Sowjetunion. Das westlicher Bündnissystem erlebt gegenwärtig sehr ähnliche Tendenzen. Derr Brexit ist nur ein Beispiel dafür, die wachsende Distanz der Türkei zur NATO ein anderes. Dazu kommen die Sonderwege vor allem jener Staaten, die früher zum sozialistischen System gehörten und nun nicht von einer anderen »Gemeinschaft« erneut dominiert werden wollen. Nach der Auflösung des Ostblocks ist jene des Westbündnisses schon seit einiger Zeit in vollem Gange. Die faktische Aufkündigung der transatlantischen Partnerschaft durch Trump ist gewissermaßen das I-Tüpfelchen dieser Entwicklung, freilich besonders schwungvoll und kräftig gesetzt, wie es die Art des derzeitigen Herrschers über das Weiße Haus ist.