(pri) Es grenzt schon ans Groteske, wenn europäische Politiker landauf, landab, deutsche dabei in vorderster Front und mit den auf sie fixierten Medien im Gefolge, bei einem Treffen der Präsidenten der beiden stärksten Atommächte befürchten, sie könnten sich verständigen. Offensichtlich hofften sie, die beiden, die ohnehin schon die schlechtesten Beziehungen zwischen den USA und Russland seit den 90er-Jahren konstatierten, würden nun einmal mehr heftig aufeinander stoßen; das jedenfalls hätte bei ihnen offenbar keinerlei Befürchtungen geweckt, dafür aber umso mehr, das dies nicht geschah. Verkehrte Welt, könnte man meinen; tatsächlich aber ist es nur die konsequente Fortsetzung jener irrationalen Politik, die der Westen seit dem Zusammenbruch des Sowjetsystems mit dem Ziel betreibt, dessen verbliebene Hauptmacht Russland einzukreisen und zu demütigen.
Dass nun ausgerechnet der Präsident der westlichen Vormacht dieses Konzept zu verwerfen scheint, ist der eigentliche Grund der Besorgnis bei den Anhängern der Eindämmungsstrategie gegenüber Russland. Sie konnten mit den Spannungen zwischen den Supermächten sehr gut leben und an diesem Feuer gern auch einmal ein nationalistisches Süppchen kochen – ungeachtet der Folgen, den solches Balancieren am Rande des Krieges für die Welt haben kann. Nicht letzteres dürfte Trump bei seinem Streben nach einem Übereinkommen mit Russland angetrieben haben; dafür fühlt er sich mit seiner riesigen Militärmacht im Rücken viel zu stark. Vielmehr stört ihn der Preis, den er als die eigentliche westliche Schutzmacht für die Interessenpolitik anderer Staaten, vor allem in Europa, zahlen muss. Zu seinem Credo von »America first« gehört es, von anderen zu verlangen, ihre Interessen selbst zu vertreten bzw. die Kosten zu tragen, wenn sie amerikanische Hilfe in Anspruch nehmen wollen.
Dieses Ansinnen eines Kapitalisten par excellence sollte eigentlich den anderen westlichen Staatslenkern nicht fremd sein – und ist es wohl auch nicht. Aber sobald es sie selbst betrifft, mögen sie es nicht akzeptieren. Trump tut nicht mehr und nicht weniger, als sie selbst mit den Folgen konsequenten kapitalistischen Agierens, das auf den Prinzipien Konkurrenz und Gewinnmaximierung beruht, zu konfrontieren – und schon ist das Wehklagen groß, aber völlig fehl am Platze. Denn auf die Herausforderung durch Trump kann der übrige Westen auf eine Weise reagieren, die geradezu positive Wirkungen hat; das freilich setzt eine andere, realistische, auf gegenseitigem Vorteil beruhende Politik voraus, zu der der Westen derzeit offensichtlich noch nicht in der Lage, weil in seiner Mehrheit nicht willens ist. Es gibt eine Dialektik, wonach auch negatives Verhalten positive Weiterungen haben kann, wie schon Goethe mit seinem Wort von »jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft«, erahnte; zwar eine teuflische Dialektik, aber gerade deshalb passt sie wohl auch auf Donald Trump.
Und gerade deshalb ergibt sich aus Trumps Politik gegenüber Russland für den Westen, vor allem für Europa, eine Chance. Sie beruht durchaus auch auf der jetzt häufig artikulierten Forderung, die Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen; nur muss das in der richtigen Weise geschehen. Wer dies gegenwärtig fordert, meint oft nur die Ersetzung der USA-Militärmacht durch eine entsprechende europäische – eine von vornherein unrealistische Forderung, an deren Verwirklichung der Kontinent mit seinen gravierenden sozialen Ungleichgewichten vollends auseinanderfallen würde. Schon ein Blick in die Geschichte zeigt, dass ein Europa, das derzeit mehr denn je wieder einem Europa der Vaterländer zustrebt, niemals Parität gegenüber dem russischen Riesenreich erlangen kann. Seine einzige Chance besteht in der Gestaltung eines Verhältnisses zu Russland, das auf Interessenausgleich und gegenseitigem Vorteil beruht. Maximale Aufrüstung, wie sie Trump fordert, steht dazu in diametralem Widerspruch. Sie zielt natürlich am Ende auf die strategische USA-Überlegenheit gegenüber Russland; auch dies letztlich ein nicht realisierbares Unterfangen und zugleich Quelle der Gefahr der Selbstvernichtung unseres Planeten.
D0ch ungeachtet dessen wird eine solche Politik von zahlreichen westlichen Politikern bis hinein in die SPD und ihren publizistischen Hilfstruppen, hierzulande zum Beispiel in »Welt« und »Tagesspiegel«, eindeutig favorisiert. Jene, die eben noch nicht laut und sarkastisch genug über die Umgangsformen des amerikanischen Präsidenten herzogen, blasen im nächsten Moment unverhohlen in Trumps Aufrüstungs-Horn. Devot geloben NATO-Generalsekretär Stoltenberg wie Bundeskanzlerin Merkel, inhaltlich volle Gefolgschaft; in ihrer Unfähigkeit, eine neue Politik gegenüber Russland zu formulieren, erklären sie wider besseres Wissen diese Seite der Trumpschen Politik für alternativlos.
Gleichzeitig hoffen sie auf einen baldigen Sturz dieses US-Präsidenten und eine Rückkehr zur für sie so segensreichen, für das amerikanische Volks aber offenbar in weiten Teilen desaströsen Politik der Demokraten, was eigentlich einer Einmischung in die US-Innenpolitik gleichkommt. Diese sehen sie jedoch – wie die Demokraten – nur in angeblicher Cyberspionage Russlands gegen die USA, wobei sie geflissentlich ausblenden, dass es dieser so genannte Bündnispartner war, der das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel via NSA anzapfte. Gerade die USA sind es, die mit ihren technischen Mitteln weltweit alles ausspionieren, was ihnen wichtig erscheint, und dabei helfen ihnen auch noch ihre geheimdienstlichen Partner, wie der BND. Insofern erweisen sich die Vorwürfe amerikanischer Ermittler gegen russische Geheimdienstler als nicht mehr denn bodenlose Heuchelei; möglicherweise hatte Trump das im Hinterkopf, als er jetzt in Helsinki diese innenpolitischen Querelen ignorierte.
In Europa aber möchten viele weiter auf diesem Schlachtfeld agieren, es ist ihnen aus dem Kalten Krieg vertraut und hat in den letzten Jahren seine Renaissance erlebt. Das Trump auch diesbezüglich Kosten und Nutzen nüchtern gegeneinander abwägt, grenzt für sie an Hochverrat. So ist zu befürchten, dass Europa die Chance einer Neujustierung der Politik gegenüber dem großen Nachbarn im Ostgen verstreichen lässt – mit negativen Auswirkungen für seine Integration wie für das politische Weltklima. Zwar kann das Trumpsche Prinzip des Egoismus durchaus etwas Vernünftiges hervorbringen, aber als teuflisches Prinzip hat es genügend Feinde, die es am Ende zu verhindern wissen. Es sei denn diese Gegenkräfte werden neutralisiert – durch den Widerstand der Völker und ihren Kampf für eine neue Politik, die auf friedlichen Ausgleich setzt.